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Das sind die Gründe, warum polnisch-ukrainische Beziehungen zusehends hässlicher werden

Die Kluft zwischen den Polen und den Ukrainern ist auf emotionaler Ebene spürbar geworden. Erstere werfen ihren Nachbarn Undankbarkeit vor, Letztere schlagen mit Vorwürfen von Egoismus und Gier zurück. Gleichzeitig geraten die Staats- und Regierungschefs der EU zunehmend ins Kreuzfeuer.
Das sind die Gründe, warum polnisch-ukrainische Beziehungen zusehends hässlicher werdenQuelle: www.globallookpress.com

Von Maxim Jussin 

Die Europäische Kommission hat die polnischen Sicherheitskräfte aufgefordert, den Transit ukrainischer Waren über die EU-Grenze zu gewährleisten. Die Behörden seien für die Aufrechterhaltung von Recht und Ordnung verantwortlich, daher müsse Warschau die Rechte der Reisenden und den freien Warenverkehr schützen, weil diese für die Lieferketten des EU-Binnenmarkts von entscheidender Bedeutung seien, ließ Brüssel verlautbaren. 

Unterdessen gesellen sich zu den Bauern und Lastwagenfahrern, die seit November ukrainische Lastwagen blockieren, nun auch Jäger dazu, die sich gegen die Umweltpolitik der neuen polnischen Regierung stellen. Die Bauern selbst planen, ihre Proteste auszuweiten und Kontrollpunkte entlang der Grenze zur Ukraine zu errichten sowie Verkehrsknotenpunkte und Zufahrtsstraßen zu Bahnterminals und Seehäfen zu blockieren.

Die Krise in den ukrainisch-polnischen Beziehungen mag auf den ersten Blick völlig unlogisch und paradox erscheinen. Schließlich war es Warschau, das sich nach dem 24. Februar 2022 als Kiews zuverlässigster und entschlossenster Verbündeter in Europa positionierte und die härtesten Maßnahmen gegen Moskau forderte. Selbst dann noch, als Paris und Berlin zögerten, Präsident Emmanuel Macron vorschlug, den Dialog mit seinem russischen Amtskollegen fortzusetzen und Kanzler Olaf Scholz zunächst hoffte, sich auf die Lieferung von 5.000 Helmen an die ukrainische Armee beschränken zu können.

Heute, zwei Jahre später, sind die Rollen vertauscht. Frankreich und Deutschland gelten heute als bedingungslose Unterstützer der ukrainischen Behörden und vermeiden öffentliche Kritik an Kiew – selbst dann, wenn sie angebracht wäre. Auf der anderen Seite haben die Polen eine Kehrtwende vollzogen; sie haben aufgehört, sich zurückzuhalten und lassen stattdessen ihrem Unmut freien Lauf. Sie scheuen sich nicht davor, beleidigt zu sein und äußern freimütig ihre Klagen über Kiew.

In diesem Zusammenhang war die Erklärung des stellvertretenden Sprechers des polnischen Parlaments, Piotr Zgorzelski, bemerkenswert, der den Bürgermeister von Lemberg, Andrei Sadowyi, beschuldigte, "die Stepan-Bandera-Sprache des Nazi-Kollaborateurs der 1940er-Jahre zu verwenden", und seine Überzeugung zum Ausdruck brachte, dass eine solche Rhetorik in der heutigen Ukraine keinen Platz mehr haben sollte.

Solche Worte wurden im westlichen Lager seit zwei Jahren nicht mehr geäußert – es sei denn, man berücksichtigt die Ministerpräsidenten Ungarns und der Slowakei mit ihrer Sonderhaltung. Die Verehrung in der Ukraine von Stepan Bandera, Roman Schuchewitsch und anderen umstrittenen Persönlichkeiten wird weitgehend ignoriert. Vor dem Hintergrund des Konflikts der Ukraine mit Russland wurde dies als eine unbequeme Nuance betrachtet, die besser nicht angesprochen werden sollte, um das bequeme Schwarz-Weiß-Bild nicht zu stören.

Ein weiterer ukrainischer Staatsbeamter, der stellvertretende Wirtschafts- und Handelsminister Taras Katschka, geriet ebenfalls ins Fadenkreuz des stellvertretenden Sprechers des polnischen Parlaments. Zgorzelski forderte ihn auf, seine Rhetorik zu mäßigen und polnische Bauern, die an den Grenzübergängen protestieren, nicht zu beleidigen. Es sei darauf hingewiesen, dass Zgorzelski die "Allianz der dritten Kraft" vertritt, die Teil der Regierungskoalition des liberalen Premierministers Donald Tusk ist. Kiew hatte gehofft, dass nach dem Regierungswechsel in Polen, dem Übertritt der nationalkonservativen Partei "Recht und Gerechtigkeit" in die Opposition und dem Siegeszug der proeuropäischen Kräfte die Spannungen mit Warschau der Vergangenheit angehören würden. Aber wie wir jetzt sehen, ist nichts dergleichen eingetreten.

Während die Regierung Tusk ein Lippenbekenntnis gegenüber Kiew abgegeben hat, stellt sie die ukrainischen Behörden an der Grenze in Wirklichkeit vor enorme Probleme – oder vielmehr unternimmt die polnische Regierung nichts, um diese zu lösen und aus der Welt zu schaffen. Unterdessen beklagt Kiew, dass die Blockade der Grenzübergänge bereits zu Problemen bei der Lieferung nicht nur humanitärer, sondern auch militärischer Güter geführt hat. Dies kommt zu einem Zeitpunkt, an dem sich die Situation an der Front für die ukrainische Armee bereits dramatisch zugespitzt hat.

In ukrainischen sozialen Netzwerken werden den Polen Hochverrat und Dolchstöße vorgeworfen. Alle Postings auf Telegram-Kanälen, die das Vorgehen der polnischen Landwirte und Lastwagenfahrer zum Thema haben, werden von Hunderten von wütenden – und ehrlich gesagt grob beleidigenden – Kommentaren begleitet, darunter Vorschläge wie: "russische Truppen durch die Ukraine durchzulassen, damit sie mit den Pšeks (Polaken) fertig werden können", was noch zu den milderen Kommentaren gehört. Eine ukrainische Flüchtlingsfrau, die nach Warschau gezogen ist, erzählte mir, dass sie in den vergangenen Monaten zunehmend feindselige Einstellungen erlebt habe. Ihr Auto, das Kiewer Nummernschilder trägt, wurde bereits dreimal beschädigt.

Die Kluft zwischen den Polen und den Ukrainern ist auf emotionaler Ebene spürbar geworden. Erstere werfen ihren Nachbarn Undankbarkeit vor, Letztere schlagen mit Vorwürfen von Egoismus, Gier und mangelndem Einfühlungsvermögen zurück. Gleichzeitig geraten die Staats- und Regierungschefs der EU zunehmend ins Kreuzfeuer.

Sie waren es, die voller Emotionen und ohne Abwägen der Vor- und Nachteile die Entscheidung trafen, die Zölle auf ukrainische Waren, vor allem landwirtschaftliche Produkte, abzuschaffen. Sie dachten nicht an die sich daraus ergebenden Konsequenzen. Diese erwiesen sich als gravierend, sowohl für die Landwirte, die nicht nur in Polen protestieren, als auch für die Lkw-Fahrer, deren Kollegen aus der Ukraine zu viel niedrigeren Löhnen und Transportkosten arbeiten und somit das gesamte Geschäft ruinieren.

Generell lassen uns die turbulenten Ereignisse an der ukrainisch-polnischen Grenze über die Folgen einer möglichen EU-Mitgliedschaft Kiews nachdenken, den die derzeitigen Spitzenpolitiker in Brüssel zumindest in Worten anstreben. Angesichts der bevorstehenden Wahlen zum Europäischen Parlament im kommenden Juni wird es jedoch interessant sein zu sehen, inwieweit die Wähler in der EU mit diesen Ambitionen einverstanden sind.


Ersterscheinung in der russischen Zeitung Kommersant.

Maxim Jussin ist russischer Journalist und politischer Beobachter für die Zeitung "Kommersant".

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