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Südafrikas Außenministerin fragt: Warum Haftbefehl gegen Putin, aber nicht für Netanjahu?

Obwohl sich bereits zahlreiche Staaten den Klagen Südafrikas gegen Israel angeschlossen haben, verläuft der Prozess ungewöhnlich zäh. Deutlich schneller handelten die Richter, als sie einen Haftbefehl gegen den russischen Präsidenten ausstellten. Das Messen mit zweierlei Maß erweckt den Verdacht der Befangenheit.
Südafrikas Außenministerin fragt: Warum Haftbefehl gegen Putin, aber nicht für Netanjahu?Quelle: Gettyimages.ru © Natalia Campos/Getty Images

Von Maria Müller

Die südafrikanische Ministerin für internationale Beziehungen und Zusammenarbeit, Naledi Pandor, richtete bei ihren Gesprächen in Den Haag vor einer Woche einige brisante Fragen an den Präsidenten und obersten Ermittler des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH), Karim Khan. Der IStGH ist für Tatbestände wie Völkermord, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zuständig, wenn Einzelpersonen dafür verantwortlich sind.

"Ich fragte ihn, warum er in der Lage sei, einen Haftbefehl für Herrn Putin auszustellen, während er nicht in der Lage sei, dies für den israelischen Premierminister zu tun", sagte Frau Pandor. "Er konnte diese Frage nicht beantworten und hat sie auch nicht beantwortetIch habe auch unsere Sorgen über das langsame Tempo in dem Verfahren gegen Netanjahu zum Ausdruck gebracht."

Südafrika hatte bereits im November vor diesem internationalen Gericht ein Verfahren eingereicht, in dem der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu des Kriegsverbrechens beschuldigt wird. Auch Mexiko und Chile haben solche Verfahren gegen den Staatschef Israels vor dem IStGH angestrengt. Doch seitdem hüllt sich diese Institution in eisernes Schweigen.

Die Gerichte sind – theoretisch – dem internationalen Recht verpflichtet, das die unmittelbare Prävention eines solchen Verbrechens vorsieht. Daraus resultiert die "Verpflichtung, einen Völkermord zu verhindern, wenn die Gefahr besteht, dass sich ein solcher ereignet oder wenn anzunehmen ist, dass er sich schon ereignet oder ereignen könnte".

Südafrika präsentierte zwei Klagen in Den Haag

Am 29. Dezember reichte Südafrika eine zweite Klage ein, diesmal beim Internationalen Gerichtshof (IGH) und beschuldigte Israel, während des Krieges in Gaza womöglich einen Völkermord gegen die palästinensische Bevölkerung zu begehen. Der IGH ist das wichtigste justizielle Organ der UNO. Er untersucht und verurteilt Konflikte zwischen Staaten auf Antrag eines Staates oder einer Regierung und liefert eine juristische Beratung im Falle zwischenstaatlicher Konflikte.

Dieses Gericht reagierte schneller und verkündete am 26. Januar ein erstes Urteil. Darin fordert es Israel auf, "alle in seiner Macht stehenden Maßnahmen zu ergreifen, um einen Völkermord in Gaza zu verhindern" und "sofortige und wirksame Maßnahmen" zu ergreifen, um die Bereitstellung von Hilfe für die belagerte Enklave Gaza zu erleichtern.

Laut einer Meldung von AP vom 27. Januar sei das UN-Gericht jedoch "daran gescheitert", einen sofortigen Waffenstillstand zu fordern – obwohl diese Maßnahme sehr wohl "in der Macht Israels" stehen würde. Andererseits sei es ohne einen Waffenstillstand oder eine Unterbrechung der Kämpfe schwierig, die Anordnungen des Gerichts durchzusetzen.

In Israel sagten Kommentatoren, die Entscheidung, keinen Waffenstillstand anzuordnen, sei dort mit einiger Erleichterung aufgenommen worden, da sie Israel geholfen habe, eine Kollision mit einem hochrangigen UN-Gremium zu vermeiden.

Nach Auffassung palästinensischer Stimmen verstärke das Urteil dennoch den wachsenden internationalen Druck, die fast vier Monate andauernde militärische Offensive zu stoppen, bei der bislang mehr als 28.000 Palästinenser getötet, darunter 10.000 Kinder, weite Teile des Gazastreifens zerstört und fast 85 Prozent der 2,3 Millionen Einwohner aus ihren Häusern vertrieben worden sind.

Südafrikanische Delegation zur ersten Urteilsverkündung in Den Haag

Zu der Verkündung dieses Zwischenurteils reiste eine südafrikanische Delegation unter Leitung von Außenministerin Naledi Pandor nach Den Haag, um die höchste Aufmerksamkeit Südafrikas zu verdeutlichen und Fragen in Bezug auf die laufenden Verfahren abzuklären.

Der Internationale Gerichtshof IGH forderte Israel in diesem ersten Urteilsspruch dazu auf, einen Bericht über die Verwirklichung der geforderten Maßnahmen vorzulegen. Dessen Bewertung durch den IGH und mögliche daraus folgende Konsequenzen für Israel sollen am 24. Februar verkündet werden.

Allerdings beklagte die Außenministerin Südafrikas auf einer Pressekonferenz eine Woche nach dem Urteil in Johannesburg, dass Israel die vom IGH auferlegten Verpflichtungen vollständig ignoriert.

"Ich muss ehrlich sein. Ich glaube, dass die Urteile des Gerichts ignoriert wurden", sagte die südafrikanische Außenministerin. "Hunderte Menschen wurden in den letzten drei oder vier Tagen getötet. Und offensichtlich glaubt Israel, dass es die Erlaubnis hat, zu tun, was es will."

Die halbe Welt unterstützt die Klagen Südafrikas und weiterer Staaten

Der Klage Südafrikas vor dem IGH hat sich die halbe Welt angeschlossen, darunter Nicaragua, Brasilien, Kuba, die Türkei, Bolivien, Kolumbien, Jordanien, Venezuela, Pakistan, Bangladesch, Malaysia und Namibia. Zudem unterstützten die 57 Mitgliedsstaaten der Organisation für islamische Zusammenarbeit (OIC*) am 31. Dezember offiziell das Verfahren. Die BRICS-Staaten (Brasilien, China, Russland, Indien und Südafrika) forderten gleich zu Beginn des israelischen Feldzugs einen sofortigen Waffenstillstand. Doch selbst diese Tatsachen können Israel und die USA (sowie die Unterstützer Deutschland, Großbritannien, Kanada und die Niederlande) nicht bremsen.

Südafrikanische Außenministerin fühlt sich durch Israels Geheimdienst bedroht

Naledi Pandor gab laut der Nachrichtenagentur EFE auf einer Pressekonferenz am 9. Februar bekannt, der israelische Geheimdienst versuche, sie einzuschüchtern.

Nach dem Urteil des IGH seien in den sozialen Netzwerken in Südafrika immer häufiger Drohbotschaften gegen sie und ihre Familie aufgetaucht. Pandor sagte, sie sei um die Sicherheit ihrer Familie besorgt und habe das Polizeiministerium des Landes gebeten, ihre Sicherheit zu verstärken.

"Ich hatte das Gefühl, dass es besser wäre, wenn wir zusätzliche Sicherheit hätten. Aber was mir mehr Sorgen bereitet, ist meine Familie, denn in einigen Social-Media-Nachrichten werden meine Kinder erwähnt und so weiter", sagte sie.

Und weiter:

"Aber das ist selbstverständlich. Die israelischen Agenten, die Geheimdienste, reagieren und versuchen, uns einzuschüchtern, also dürfen wir uns nicht einschüchtern lassen. Wir können jetzt nicht zurückgehen. Wir müssen ihnen (den Palästinensern) beistehen. Ich denke, eines der Dinge, die wir nicht zulassen dürfen, ist mangelnder Mut. Es ist äußerst wichtig, dass wir so weitermachen."

Die eklatante Befangenheit des IStGH ist unübersehbar

Die extremen Unterschiede im Umgang mit internationalem Recht durch den IStGH sind eklatant und unübersehbar. Auf der einen Seite eine Schnellverurteilung ohne reguläre Untersuchung samt Haftbefehl gegen den russischen Präsidenten und die russische Kinderbeauftragte, auf der anderen Seite die bis heute andauernde Weigerung dieses Gerichts, sich zu den Klagen mehrerer Staaten gegen den israelischen Staatschef zu äußern.

Zur Erinnerung: Im ersten Fall ging es um eine angebliche "Verschleppung" ukrainischer Kinder aus den Kriegsgebieten im Donbass in russische Ferienheime, unter allerbester pädagogischer und materieller Unterbringung. Die russischen Behörden halfen den Angehörigen, ihre Kinder abzuholen, bis heute ist kein einziges Kind vermisst. Im zweiten Fall geht es um Zehntausende ermordete Zivilisten, darunter Tausende Kinder.

Muhammed Demirel, Rechtsanwalt und außerordentlicher Professor für Strafrecht an der Universität Istanbul, sagte

"Wenn der IStGH der Welt zeigen will, dass er objektiv ist, sollte er gegenüber Netanjahu den gleichen Ansatz verfolgen wie gegenüber Putin."

Im normalen Justizbetrieb eines Staates werden solche Beamten wegen Befangenheit aus einem Verfahren entfernt. Wer entfernt Karim Khan? Die neue multipolare Weltordnung wird auch neue, unabhängige internationale Justizorganismen benötigen – die nicht von privaten Stiftungen und Multimillionären gesponsert werden.

(*) Die Mitglieder der Organisation für muslimische Zusammenarbeit (OIC) sind Länder mit einer mehrheitlich muslimischen Bevölkerung oder einer bedeutenden Gemeinschaft, mit Mitgliedsstaaten und Beobachtern aus Afrika, Asien, Europa und Südamerika.

Afghanistan, Albanien, Saudi-Arabien, Algerien, Aserbaidschan, Bahrain, Bangladesch, Benin,Brunei, Burkina Faso, Kamerun, Katar, Tschad, Komoren, Elfenbeinküste, Ägypten, Vereinigte Arabische Emirate, Gabun, Gambia, Guinea, Guinea-Bissau, Guyana, Indonesia, Iran, Irak, Jordanien, Kasachstan, Kirgistan, Kuwait, Libanon, Libyen, Malaysia, Malediven, Mali, Marokko, Malawi, Mauretanien, Mosambik, Niger, Oman, Pakistan, Palästina, Senegal, Sierra Leone, Somalia, Sudan, Surinam, Tadschikistan, Togo, Tunesien, Türkei, Turkmenistan, Uganda, Usbekistan, Jemen, Dschibuti.

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