Demilitarisierte Zone in der Ukraine – wie es damit wirklich laufen wird
Von Geworg Mirsajan
Seinen Artillerieterror gegen Belgorod, Lissitschansk, Donezk und andere russische Städte hat das Kiewer Regime in letzter Zeit intensiviert. Experten sind sich einig, dass dies Teil einer asymmetrischen Taktik ist, um Russland zu schaden – die ukrainische Regierung ist unfähig, Russlands Militär auf dem Schlachtfeld aufzuhalten, vom Zurückwerfen ganz zu schweigen.
Daher soll also die russische Bevölkerung eingeschüchtert werden. Washington macht derweil beim augenscheinlichen Gutheißen dieser Taktik nicht Halt – denn es gibt Kiew Werkzeuge zu deren Umsetzung an die Hand, wie etwa Raketen mit ausreichender Flugweite.
Russland kann dem natürlich etwas entgegenzusetzen. Einerseits ist das der Ausbau der Maßnahmen der elektronischen Kampfführung (dies speziell gegen die Lenkflugkörper) sowie der Ausbau der Flugabwehr vor Ort. Andererseits jedoch erklärte Moskau seine Bereitschaft, eine demilitarisierte Pufferzone zwischen Russlands Staatsgebiet und den vom Kiewer Regime kontrollierten Territorien zu schaffen. Davon sprach jüngst Wladimir Putin:
"Diese Linie muss von unserem Territorium in einem Abstand liegen, der die Sicherheit gewährleisten würde – eingedenk der Waffen mit großer Reichweite vor allem aus westlicher Herstellung, die die ukrainische Regierung zum Beschießen friedlicher Städte benutzt."
Nun kennt die Geschichte Beispiele für derartige Zonen oder Linien. Nehmen wir die demilitarisierte Zone zwischen Nordkorea und Südkorea: Dort ist die Dislozierung von Streitkräften und die Einrichtung militärischer Objekte verboten. Allerdings ist diese Linie bloß vier Kilometer breit und verläuft gänzlich durch leeres Territorium.
Doch im Fall der Ukraine sollte man sinnvollerweise von 150 bis 200 Kilometern Breite sprechen – oder von noch mehr, falls die USA dem Kiewer Regime Raketen entsprechend großer Reichweite liefern. Von Russlands Grenze bis, sagen wir, Charkow sind es lediglich 30 Kilometer. Sprich, Teil einer solchen, von Russlands Militär im Rahmen der Sonderoperation zu schaffenden, demilitarisierten Zone wären nicht bloß Siedlungen und Städtchen – sondern auch große Städte. Überhaupt würde sie durch Gebiete verlaufen, die dicht von Menschen besiedelt sind. Und natürlich wird das Kiewer Regime seinen Artillerieterror dann eben gegen diese Menschen richten: Von dort wird Russlands Militär die ukrainischen Truppen ja vertrieben haben, und die dort gebliebene Zivilbevölkerung werden Selenskij und Co. automatisch als Separatisten qualifizieren. All diese Menschen von dort zu evakuieren, um eine 150 oder gar 200 Kilometer breite Pufferzone einzurichten, wird unmöglich sein. Womit das Risiko, dass russische Menschen sterben, erneut besteht.
Wo, fragt sich der aufmerksame Leser, liegt da denn die Logik? Tja, eine Logik liegt dem Ganzen durchaus zugrunde, und sie wird dem Kiewer Regime kaum schmecken.
Antikolonial legitimierte Gebietskontrolle
Realisiert wird hier eine mehrzügige Schachkombination, die weder an Kiew gerichtet ist noch an den Westen – sondern an Russlands Partner in den Staaten des Globalen Südens. Dabei werden Schritte legitimiert, die Russland zum Gewährleisten seiner eigenen Sicherheit ergreifen muss und ohne die ein Ende der militärischen Sonderoperation unwahrscheinlich ist.
Im ersten Zug stellt Moskau die Forderung, den Beschuss auf russische Städte einzustellen – und nicht nur einzustellen, sondern zu garantieren, dass er nicht von einem Augenblick zum nächsten wiederaufgenommen wird.
Weder das Kiewer Regime noch dessen westliche Sponsoren können oder wollen in diese Forderung einwilligen.
Für Selenskij – oder auch seinen Nachfolger – wird der Truppenabzug aus Charkow, Dnjepropetrowsk, Nikolajew und anderen großen Städten ein wahrhaftiger politischer Selbstmord sein. Zumal vor dem Hintergrund der ganzen Erklärungen, dass das ukrainische Militär die NATO vor theoretischer russischer Aggression schütze. Für die westlichen Regierungen wiederum wird ein solcher Truppenabzug eine geopolitische Niederlage sein – dann nämlich werden alle Pläne, eine wie auch immer zum Stumpf zurechtgestutzte Ukraine zu einem antirussischen Aufmarschgebiet auszubauen, wertlos.
Im zweiten Zug – nachdem Kiew und der Westen die freiwillige Schaffung demilitarisierter Zonen verweigert haben werden – darf Russland demonstrativ seine Hände in Unschuld waschen. Es richtet die demilitarisierten Zonen dann auf eigene Faust und ohne jegliche Absprachen mit irgendjemand anderem ein. Sprich, die Russische Föderation macht sich dann daran, Gebiete zu befreien, die historisch russisch genannt wurden –wobei Russland ohne die Kontrolle über diese Gebiete seine Sicherheit einfach nicht wird gewährleisten können. Zum Beispiel die ganzen Gebiete links des Dnjepr – vom noch ukrainischen Gebiet Sumy bis Moskau sind es, zur Erinnerung, nur 450 Kilometer.
Auch Odessa und Nikolajew gehören dazu; nicht zuletzt wird Russlands Kontrolle über diese Gebiete die Restukraine vom Meer abschneiden.
Wohlgemerkt wird es dann gerade um die Befreiung dieser Gebiete gehen, und nicht mehr nur um eine Demilitarisierung. Sicher, zunächst wird eine Zone eingerichtet, die Russland vom ukrainischen Militär befreit haben wird. Theoretisch kann Moskau diese Zone sogar seinerseits räumen, falls eine handfeste Garantie dafür vorgelegt wird, dass die Ukraine ein demilitarisierter, entnazifizierter, neutraler Staat ist. Denn ursprünglich – daran sei hier erinnert – gehörte es nicht zu Russlands prioritären Plänen, sich mit den Gebieten Cherson und Saporoschje wiederzuvereinigen. Ja, nicht einmal für die beiden Volksrepubliken Donezk und Lugansk lagen derartige Pläne oben auf dem Stapel. Das war aber nur so lange der Fall, wie man in Moskau hoffte, dass auch eine "große" Ukraine für Russland keine Bedrohung darstellt.
Offen auf der Hand liegt heute hingegen, dass weder eine "große" noch eine "kleine", und auch keine Rumpfukraine den Prozess einer Demilitarisierung zu durchlaufen bereit ist. Ein jedes übriggebliebene Stück der Ukraine – zum Beispiel deren westliche Gebiete – wird entweder weiterhin ein Anti-Russland bleiben, oder sogar gleich der NATO beitreten. Dass Russland in einem dieser Szenarien die demilitarisierten Territorien räumen wird, ist unmöglich – noch unmöglicher ist nur der Erhalt des demilitarisierten Status dieser Gebiete. Dafür wird kein Beobachter mit auch nur einem Fitzelchen gesunden Menschenverstandes Russland beschuldigen können, es habe diese Gebiete aus irgendwelchen aggressiven, expansionistischen Beweggründen erobert.
Heute macht Moskau seine sehr maßvollen und logischen Forderungen sehr deutlich. Und ebenso deutlich macht es die Schritte, die es bei Nichterfüllung dieser Forderungen unternehmen wird.
Auf diese Weise hat Russland die Krim befreit. Als und weil sich dadurch weder die Ukraine noch der Westen wieder zur Ruhe bringen ließen, befreite Russland auf dieselbe Weise den Donbass. Weil auch dies auf Kiew und den Westen nicht gewirkt hat, befreite Russland anschließend die Gebiete Cherson und Saporoschje. Und jetzt kommen eben weitere russische Städte an die Reihe, die das antirussische Kiewer Regime heute besetzt hält. Alle auf dieselbe Weise.
Übersetzt aus dem Russischen und zuerst erschienen bei Wsgljad.
Geworg Mirsajan ist außerordentlicher Professor an der Finanzuniversität der Regierung der Russischen Föderation, Politikwissenschaftler und eine Persönlichkeit des öffentlichen Lebens. Geboren wurde er 1984 in Taschkent. Er machte seinen Abschluss an der Staatlichen Universität im Kuban und promovierte in Politikwissenschaft mit Schwerpunkt Vereinigte Staaten. Er war von 2005 bis 2016 Forscher am Institut für USA- und Kanadastudien der Russischen Akademie der Wissenschaften.
Mehr zum Thema – Neue Taktik Russlands im Ukraine-Krieg: "Reparationszahlungen" haben begonnen
RT DE bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion widerspiegeln.
Durch die Sperrung von RT zielt die EU darauf ab, eine kritische, nicht prowestliche Informationsquelle zum Schweigen zu bringen. Und dies nicht nur hinsichtlich des Ukraine-Kriegs. Der Zugang zu unserer Website wurde erschwert, mehrere Soziale Medien haben unsere Accounts blockiert. Es liegt nun an uns allen, ob in Deutschland und der EU auch weiterhin ein Journalismus jenseits der Mainstream-Narrative betrieben werden kann. Wenn Euch unsere Artikel gefallen, teilt sie gern überall, wo Ihr aktiv seid. Das ist möglich, denn die EU hat weder unsere Arbeit noch das Lesen und Teilen unserer Artikel verboten. Anmerkung: Allerdings hat Österreich mit der Änderung des "Audiovisuellen Mediendienst-Gesetzes" am 13. April diesbezüglich eine Änderung eingeführt, die möglicherweise auch Privatpersonen betrifft. Deswegen bitten wir Euch bis zur Klärung des Sachverhalts, in Österreich unsere Beiträge vorerst nicht in den Sozialen Medien zu teilen.