Meinung

Anzeige gegen Kaya Yanar: Wenn rassistische Hetzer die Antisemitismuskeule schwingen

Dem Satiriker Kaya Yanar wird "antisemitische Volksverhetzung" vorgeworfen. Wegen eines Videos, in dem er Israels Krieg im Gazastreifen kritisiert und Kriegslügen aufdeckt, wurde er angezeigt. Als Moralapostel schwingt sich auch ein Verbreiter rassistischer Kollektivschuld-Thesen auf.
Anzeige gegen Kaya Yanar: Wenn rassistische Hetzer die Antisemitismuskeule schwingenQuelle: www.globallookpress.com © IMAGO/Christoph Hardt

Von Susan Bonath

Große moralische Floskeln über "humanitäre Werte" zu schwingen, ist eine Spezialität deutscher Politiker. Doch wehe, jemand fordert Humanismus für die "falschen" Menschen ein, zum Beispiel für Palästinenser. Der bekannte deutsch-türkische Satiriker Kaya Yanar wurde deshalb angezeigt, die Staatsanwaltschaft Osnabrück prüft den Vorwurf der Volksverhetzung gegen ihn. Sein "Vergehen": Yanar kritisierte in einem Video die israelische Kriegsführung im Gazastreifen, die bereits zu Zehntausenden Toten führte.

Antisemitismuskeule

Zuerst berichtete das Schweizer Onlineportal 20 Minuten über den Fall. Ihm bestätigten die Polizei und die Staatsanwaltschaft in Osnabrück den Eingang der Strafanzeige wegen eines "Verdachts auf Volksverhetzung". Der Tatvorwurf werde geprüft, heißt es.

Yanar wurde als Sohn türkischer Gastarbeiter in Deutschland geboren, heute lebt er mit seiner Schweizer Ehefrau in Zürich. Er startete 2001 mit der Sat.1-Satireshow "Was guckst du" als Komiker durch und wurde bundesweit bekannt. In seinen Shows schlüpft er in verschiedene Rollen, nimmt die Eigenheiten verschiedener Gruppen aufs Korn und setzt sich so für Integration und Zusammenhalt ein.

Auch privat engagiert sich Yanar gegen Diskriminierung von Minderheiten, zum Beispiel als Pate beim Projekt "Schule ohne Rassismus". Ihm also rassistische Ambitionen vorzuwerfen, ist, gelinde gesagt, schwer. Leichter lässt sich die Antisemitismuskeule schwingen. Die trifft ihn nun hart. Was hat er getan?

Kritik an Israels Kriegsführung

In einem Ende Januar auf YouTube veröffentlichten Video schlüpfte Yanar in die Rolle des türkischen Fahrschullehrers Yıldırım, der sein "Statement zum Nahen Osten" abgibt. Im Westen könne man sich "nicht vorstellen, was die schrecklichen Ereignisse vom 7. Oktober und der darauffolgende Krieg im Gazastreifen für die Zivilbevölkerung in Israel und Palästina bedeuteten", schreibt Yanar dazu keineswegs so einseitig, wie es ihm vorgeworfen wird.

Die Reaktion Israels auf den Anschlag der Hamas und anderer bewaffneter Gruppen aus dem Gazastreifen gehe weit über Selbstverteidigung hinaus. Es sei ein bekannter Fakt, so Yanar am Ende des Videos, "dass im Gazastreifen täglich unschuldige Zivilisten sterben". Getötet worden seien bereits "tausende Kinder, tausende Frauen, hunderte medizinische Kräfte, hunderte UN-Mitarbeiter und Journalisten". Über zwei Millionen Einwohner habe Israel zudem hin und her vertrieben, für sie gebe es keine Schutzzonen.

Als Yıldırım prangerte Yanar unter anderem die westlichen Rüstungsexporte nach Israel an. "Wie würde die IDF aussehen, ohne US-Waffen?", fragte er rhetorisch. Keine israelischen Geiseln habe Israels hochgerüstete Selbstverteidigungsstreitkräfte (IDF) durch die Bombenteppiche über dem Gazastreifen befreien können, betonte er.

Kriegslügen und rassistische IDF-Clips

Scharf kritisierte "Yıldırım" die westliche Propaganda. Das erste Opfer im Krieg sei die Wahrheit, zitierte er, um dann eine Reihe bereits durch Medien aufgedeckter Kriegslügen Israels vorzuführen. Dazu gehört etwa die Behauptung, die Hamas habe am 7. Oktober 40 israelische Babys enthauptet. Auch die Erzählung, die IDF hätten in einem Tunnel unter einem Krankenhaus einen "Terroristenplan" gefunden, entpuppte sich als Lüge – tatsächlich handelte es sich um einen Kalender, auf dem Wochentage eingetragen waren.

Yanar präsentierte Auszüge aus einem inzwischen als gefälscht enttarnten Video, in dem die IDF eine als palästinensische Krankenschwester verkleidete Frau behaupten ließ, die Hamas besetze und nutze eine ganze Klinik. Zudem erklärte er eine Aussage des israelischen Staatspräsidenten Jitzchak Herzog für unglaubwürdig, wonach die IDF in einem zerbombten Kinderzimmer – ganz unversehrt! – Adolf Hitlers Buch "Mein Kampf" gefunden hätten.

"Yıldırım" präsentierte zudem einen Auszug aus einem der vielen von IDF-Soldaten im Internet verbreiteten Videos mit teils menschenverachtender Hetze gegen Palästinenser. Im gezeigten Beitrag feierten IDF-Soldaten die Bombardierung einer Universität im Gazastreifen, verhöhnten getötete Palästinenser und bezeichneten Tiere als "einzige unbeteiligte Zivilisten".

Aussagen eines Arztes im Gazastreifen

Schließlich lässt "Yıldırım" den norwegischen Arzt Mads Gilbert zu Wort kommen, der 16 Jahre lang im Al-Schifa-Krankenhaus in Gaza Stadt gearbeitet und bereits 2008 und 2009 palästinensische Opfer der israelischen Militäroperation "Gegossenes Blei" operiert hatte. Die Behauptung der israelischen Regierung, keine unschuldigen oder zumindest möglichst wenig unbeteiligte Zivilisten in den Kampfhandlungen zu töten, sei "Teil des Propagandakrieges, einer Desinformationskampagne", so Gilbert, und weiter:

"Ich denke, dass die Palästinsener derzeit auf dieser Welt die Einzigen sind, die beweisen müssen, dass sie getötet werden."

Dies sei nicht neu, betonte Gilbert in der Erklärung. Er forsche seit 20 Jahren dazu und habe dieses Vorgehen immer wieder erlebt. Die Propaganda suggeriere, alles, was Palästinenser sagen, sei gelogen, während Israel und der Westen stets die Wahrheit sprächen.

Medienkampagne gegen Yanar

Kaum hatte Yanar sein Video veröffentlicht, schlug die mit viel Staatsgeld ausgestattete deutsche Israellobby zu. Die vom Zentralrat der Juden in Deutschland herausgegebene Jüdische Allgemeine warf dem Satiriker Antisemitismus vor. Nur wenige Tage zuvor, am 18. Januar, hatte dieselbe Zeitung einen menschenverachtenden Kommentar des Autors Tobias Huch (FDP) veröffentlicht, dessen Überschrift und Unterzeile lauteten:

"Die Zivilisten in Gaza sind nicht unschuldig – Wenn es so etwas wie kollektive Verantwortung für Verbrechen gibt, dann trifft diese im Falle des 7. Oktober zu."

Huch kreierte in diesem Beitrag eine Kollektivschuld aller Palästinenser und erklärte, warum Israel die Palästinenser zu Recht in Sippenhaft nehme und kollektiv bestrafe – ein schwer zu überbietender Fall von Rassismus. Erst als die Zeitung daraufhin scharf kritisiert wurde, änderte sie zehn Tage nach der Erstveröffentlichung die Überschrift, nahm die Unterzeile und ein ganzes Stück Text heraus – viel ist nicht übrig geblieben von Huchs Beitrag.

Hetzer mimt Moralapostel

Völlig unbeeindruckt von seiner eigenen rassistischen Hetze, die sogar die Jüdische Allgemeine zensieren musste, warf Huch dem Satiriker bereits am Tag des Erscheinens von dessen Clip auf X vor, ein "ekelhaftes Video" zu verbreiten. Dieses sei angeblich gespickt mit antisemitischen Fake News und werde von "Antisemiten, Israelhassern, Islamisten, Fake-News-Journalisten, bildungsfernen Menschen" gefeiert.

Na klar, bei rechten Hardlinern wie Huch darf auch ein pauschaler Tritt gegen eine angeblich "bildungsferne" Unterschicht nicht fehlen. Offenbar war Huchs Posting, dem er tags darauf ein YouTube-Video hinterherschob, der Anstoß für den Artikel in der Jüdischen Allgemeinen und die anschließende Kampagne in weiteren Medien gegen Yanar, beispielsweise in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ).

Ob Huch, der mit seinen eigenen Ergüssen eindeutig ein rassistisch minderwertiges Kollektiv kreierte, auch selbst Anzeige erstattete, ist nicht bekannt. Dazu angeregt hat er allemal.

Andichten von Kollektivschuld "fühlt sich rassistisch an"

Auf der sozialen Plattform Instagram hat sich Yanar nun auch selbst zu den Vorwürfen geäußert. Er bezeichnete den Antisemitismusvorwurf als "herbei gedichtet" sowie "haltlos und verletzend", und weiter:

"Wie kann man aus einer Kritik an einem militärischen Vorgehen einer Regierung schlussfolgern, dass man das Volk Israels und sogar darüber hinaus alle Menschen jüdischen Glaubens zur Verantwortung zieht? Diese Denke fühlt sich für mich rassistisch an und entspricht nicht meiner Art zu denken."

Yanar hat recht: Es gibt viele jüdische Gemeinschaften, sogar in Israel, die das Vorgehen der IDF scharf kritisieren und laut gegen die seit 75 Jahren von Israel praktizierte Vertreibung von Palästinensern und die Besetzung ihrer Gebiete protestieren. Viele Juden sind ganz und gar nicht einverstanden mit Israels Führung.

Ganzen Bevölkerungsgruppen einheitliche politische oder religiöse Einstellungen oder aber eine Kollektivschuld an den Taten Einzelner oder Herrschender anzudichten, ist eindeutig Rassismus – egal, ob es Palästinenser, Araber, Muslimen oder eben Juden trifft.

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