Montenegro und Russland: Was will das Volk – und was die Regierung?
Von Marinko Učur
Wenn heute im kleinsten Balkanstaat Montenegro ein Volksbegehren stattfinden würde mit der Frage: "Sind Sie dafür, dass die auf Druck von Brüssel und Washington gegen die Russische Föderation verhängten Sanktionen aufgehoben werden", würde die Antwort sicher mit der Entscheidung des offiziellen Podgorica, also der Regierung, im Widerspruch stehen.
Es gibt nämlich viele Stimmen in diesem Land, die eine Überprüfung seiner Außenpolitik fordern, insbesondere des Teils, der unter anderem die Beziehungen zu Russland betrifft.
Obwohl die Sanktionen und die Distanzierung von Russland, insbesondere nach dem NATO-Beitritt des Landes im Jahr 2017, mit der vorherigen Regierung des autokratischen Führers Milo Đukanović in Zusammenhang stehen, ist klar, dass sein Nachfolger Jakov Milatović und die neue Parlamentsmehrheit Schwierigkeiten haben werden, über Nacht jenes wiedergutzumachen, was vom alten Regime geerbt wurde.
Dennoch zweifelt niemand daran, dass das Ergebnis eines Volksbegehrens zugunsten derjenigen ausfallen würde, die die Beziehungen zur Russischen Föderation ausdrücklich aufgrund ihrer eigenen politischen und wirtschaftlichen Interessen auf schnellstem Wege neu starten würden. Wenn schon aus keinem anderen Grunde, dann doch wegen der Tatsache, dass im kleinen Montenegro mit seinen 600.000 Einwohnern derzeit rund 27.000 Russen leben.
Sie alle haben ihren rechtmäßigen Wohnsitz, sind Eigentümer zahlreicher Immobilien und leiten Geschäftsvorhaben, insbesondere in der Tourismusbranche. Und dann, nach dem Beginn der russischen Spezialoperation in der Ukraine, ist alles in Stillstand geraten. Brüssel und Washington beendeten nach ihrem bewährten Rezept anstelle von Bürgern und legitimen Behörden die russische Vorherrschaft im Bereich ausländischer Investitionen und den sichtbaren Wohlstand, den russisches Kapital und russische Einlagen dem Land brachten.
Die Regierung musste widerwillig zeigen, dass sie der Brüsseler Politik blind folgt und alle Ströme von Menschen, Gütern und Kapital stoppt. Zahlreiche Fluglinien zwischen den beiden Ländern wurden eingestellt, und das offizielle Podgorica hoffte vergeblich, dass aus Brüssel und Washington eine Entschädigung käme, abgesehen von leerem Gerede über eine "glänzende europäische Perspektive".
Kenner der Lage auf dem Balkan müssen nicht belehrt werden, wie viele historische Gründe Montenegro hat, den Kreml als seinen Freund, Gönner und traditionellen Verbündeten anzusehen.
In der Geschichte beider Länder ist das Jahr 1711 als das Jahr der offiziellen Aufnahme politischer Beziehungen verzeichnet, und 2011 wurde der 300. Jahrestag der Aufnahme politischer Kontakte feierlich begangen. Bei dieser Gelegenheit erklärte der russische Außenminister Sergei Lawrow, dass Russland die europäische Integration Montenegros nachdrücklich unterstütze und in diesem Moment hoffe, dass Montenegro einige Jahre später (doch) nicht Mitglied der NATO und der antirussischen Koalition beitreten werde.
Die Erwartungen des russischen Ministers erfüllten sich nicht, und das Balkanland begab sich auf seinen eigenen Weg, der von den westlichen Zentren vorgezeichnet wurde, und eine der Hauptaufgaben war eine starke Abkehr und Distanzierung von dem Land, das unter verschiedenen historischen Umständen im 18. und 19. Jahrhundert ein Garant für den Fortbestand seiner Staatlichkeit war.
In diesen Tagen waren wir in Montenegro Zeugen der Unterzeichnung einer Unterstützungserklärung einiger russischer Bürger für Boris Nadeschdin, einen von Putins möglichen Kontrahenten bei den bevorstehenden Präsidentschaftswahlen. Dies ist überhaupt nicht umstritten und gehört zum demokratischen Anstand in Russland selbst, wo der derzeitige russische Präsident Wladimir Putin von mehreren anderen Kandidaten, darunter Nadeschdin, herausgefordert wird.
Bekanntlich nominierte die Partei der Bürgerinitiative Nadeschdin am 17. März für die Kandidatur bei den bevorstehenden Wahlen in Russland und reichte nach Medienberichten seine Kandidatur am letzten Januartag mit 150.000 Unterschriften ein. Es ist nicht klar, ob sich unter diesen Unterschriften auch die symbolische Zahl von 1.700 Unterschriften jener 27.000 russischen Bürger befindet, die ihn angeblich mit der Gunst der Überreste der besiegten montenegrinischen Regierung unterstützt haben.
Zuvor, am 26. Januar, gab das russische Außenministerium bekannt, dass im Ausland lebende Russen auch in "feindlichen" Ländern ihre Stimme bei Präsidentschaftswahlen abgeben werden können.
Es bleibt unklar (man kann aber vermuten), ob diese symbolische Unterstützung für Nadeschdin eine wahre pazifistische Haltung jener Unterzeichner ist, die sich selbst als "Antikriegsaktivisten" gegenüber "Putins Regime" erklären, oder nur eine kleine Show, die von ausländischen Geldgebern des Wahlkampfes angeordnet und durchgeführt wird, um die Beziehungen zwischen den beiden Ländern und den beiden Völkern weiter zu schänden.
Den prowestlichen Medien in der Hauptstadt Montenegros gelang es trotz großer Anstrengungen nicht, viele russische Gesprächspartner zu finden, die öffentlich gegen die aktuelle Politik des Kremls aufgrund seines "aggressiven Vorgehens in der Ukraine" aussagen würden. Deshalb kommen sie selbstbewusst zu dem Schluss, dass ihr Schweigen in Wirklichkeit eine Angst vor Vergeltungsmaßnahmen gegen ihre in Russland verbliebenen Verwandten und Freunde ist.
Obwohl nur sechs Prozent der Russen in Montenegro ihre Unterstützung für Nadeschdin unterzeichnet haben, sind die Organisatoren mit der Beteiligung zufrieden, da sie davon überzeugt sind, dass viele Russen angeblich davor zurückschrecken, ihre politischen Ansichten öffentlich zu äußern.
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