Die USA erkennen das Unvermeidliche
Von Dawid Narmanija
"Heute erleben wir die ersten Jahre einer neuen Ära. Die Großmächte sind viel mehr voneinander abhängig, als zu jedem Zeitpunkt des Kalten Krieges. Doch wir stehen auch in harter Konkurrenz um die Art der Welt, die wir bauen wollen", hat der Sicherheitsberater des US-Präsidenten, Jake Sullivan, während des Weltwirtschaftsforums in Davos behauptet.
In diesem Geständnis ist die Verbitterung des US-Establishments durch die Anerkennung der Realität zu spüren. Natürlich versuchte Sullivan, wie es sich für einen Politiker seines Kalibers gehört, allen den Eindruck zu vermitteln, dass Washington die Geschehnisse unter Kontrolle habe. Sein eigentlicher Auftritt war für einen dermaßen geringen Inhalt unverzeihlich lang und ähnelte eher einer öffentlichen Autosuggestion. Natürlich musste dabei viel gelogen werden.
Gelogen werden musste über den Konflikt in der Ukraine, über die Lage im Nahen Osten und sogar über die Beziehungen zwischen Washington und seinen Verbündeten.
Insbesondere behauptete Sullivan, dass die USA in die Quellen der nationalen Stärke des eigenen Landes und dessen Partner investieren. Eine steile These, wenn man berücksichtigt, dass Washington mit der Überzeugungskraft eines Gefängniswächters seine Satelliten zwingt, die Ukraine zu unterstützen und sie in immer neue Abenteuer in anderen Teilen des Erdballs hineinzieht. Doch die Ironie des Schicksals fand für diese Äußerung einen noch eindrücklicheren Hintergrund. Bundeswirtschaftsminister und Vizekanzler Robert Habeck sagte bei seinem Auftritt vor dem Bundestag, dass Deutschland wegen des Verzichts auf das russische Gas leide.
"Deutschland befindet sich in der Tat aus zweierlei Gründen in einer besonders schwierigen Situation. Anders als bei anderen Ländern, mit denen wir uns auch im Wettbewerb befinden, ist die deutsche Energieversorgung ganz maßgeblich auf der Abhängigkeit von russischem Gas aufgebaut worden. Das hat uns in der Vergangenheit einen Wettbewerbsvorteil gebracht; es war eben sehr günstig", sagte er. Muss man da noch erwähnen, dass die großzügige Befreiung Berlins von dieser Abhängigkeit den USA ermöglichte, den eigenen Flüssiggasexport nach Europa fast zu verdreifachen?
Doch es gibt auch gute Nachrichten für die Deutschen – diesmal vom französischen Historiker Emmanuel Todd, der im Jahr 1976 in seinem Buch "La chute finale" den Zerfall der Sowjetunion voraussagte. Seiner Meinung nach sind Washingtons Versuche, einen Keil zwischen Deutschland und Russland zu schlagen, zum Scheitern verurteilt: Früher oder später werden Moskau und Berlin beginnen, zusammenzuarbeiten. Und wenn sich die USA aus Europa zurückziehen, werden wir verwundert sehen, wie die Sonne über einem befriedeten Planeten aufgeht, schlussfolgerte er.
Und hier finden sich bemerkenswerte Parallelen zwischen den Gedanken des Historikers und Sullivans Geständnis. Wir erleben tatsächlich die ersten Jahre einer neuen Ära. Die Epoche der Post-Jalta-Weltordnung endete im Februar 2022. Die Epoche der Hegemonie der USA nähert sich ihrem Ende.
Hätte der Hegemon etwa früher die Angriffe der Huthi geduldet? Vor einem Dutzend Jahren hätten US-Soldaten bereits Sanaa erobert und begonnen, im Jemen eine Demokratie zu bauen. Freilich würde sie mit der Entstehung eines weiteren "Islamischen Staats" enden, doch wen kümmert das schon?
Würde der Hegemon die Angriffe erst der iranischen Proxys, und später unmittelbar der Revolutionsgarde dulden? Würde er sich auf Erklärungen im Sinne von "ihr habt nicht getroffen, versucht es nochmal" beschränken? Wohl kaum.
Der Nahe Osten spürt die Änderung des Kräfteverhältnisses viel intensiver und reagiert daher dynamischer. Doch auch Europa erwarten Veränderungen. Und die USA erwarten Isolationismus und eine Rückkehr zur Monroe-Doktrin.
Manch ein US-Amerikaner mochte da an Marylin denken. Doch sie werden sich an ihren Namensvetter James aus dem 19. Jahrhundert – den fünften Präsidenten der USA – erinnern müssen.
Übersetzt aus dem Russischen und zuerst erschienen bei RIA Nowosti.
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