Meinung

Halle: Die gar schauerliche Moritat vom angefahrenen grünen Landtagsabgeordneten

Man stolpert immer wieder über eigenartige Beziehungen zwischen Presseberichten, politischer Reaktion und der Wirklichkeit. Das Beispiel aus Halle ist besonders deutlich, weil das Video, das die vordergründige Deutung Lügen straft, ausnahmsweise gleich mitgeliefert wurde.
Halle: Die gar schauerliche Moritat vom angefahrenen grünen Landtagsabgeordneten

Von Dagmar Henn

Wenn man nach den Formulierungen der Presseberichte geht, muss das, was da in Halle an der Saale passiert ist, ganz schrecklich gewesen sein: "Grünen-Politiker von Auto angefahren" (t-online), das Auto "erfasste auf dem Fußweg einen Reporter und einen grünen Landtagsabgeordneten" (BR), "Auto raste über den Gehweg".

Der Landtagsabgeordnete Sebastian Striegel habe zusammen mit den Lokaljournalisten "unweit der Sitzblockade auf dem Gehweg" gestanden. Striegel selbst erklärte, ihn entsetze die aus dem Vorfall ersichtliche Verrohung einiger Menschen. Sie werde "zur Gefahr für die Demonstrierenden und Unbeteiligten".

Er sei leicht am Knie verletzt worden, heißt es dann in den Artikeln, wobei auch das letztlich auf nicht mehr basiert als auf seiner Äußerung, ihm täte das Knie etwas weh und er wolle vielleicht zum Arzt gehen.

Ja, manchmal ist es ein Fehler, das Video eines solchen Vorfalls zu veröffentlichen. Man kann nämlich deutlich sehen, dass der Fahrzeugführer zwar versuchte, die Blockade auf dem Gehweg zu umfahren, aber dabei von Rasen keine Rede sein kann; das Fahrzeug bewegt sich brav in Schrittgeschwindigkeit. Und Striegel wurde mitnichten "erfasst", sondern versucht vielmehr selbst aktiv, sich vor das Fahrzeug zu stellen. Damit machte er sich im Grunde zum Teil der Blockade und beging auch selbst ein Delikt der Nötigung, stünden nicht nach wie vor die Klimakleber samt ihrer Komplizen unter Artenschutz.

Vor einigen Tagen kursierte sogar ein anderes Video, auf dem Polizisten die Kleber mit Decken ausstatteten, damit die Armen bei Erfüllung ihres Demonstrationsauftrags nicht frieren müssen. Der besondere Schutz für diese bezahlten Nötiger ist also nach wie vor nicht aufgehoben.

Aber natürlich wird in diesem Kontext plötzlich wieder die Bedeutung des Demonstrationsrechts hervorgeholt und betont. Die Vorsitzende der SPD-Landtagsfraktion äußerte ihre Betroffenheit und erklärte dann:

"Wir verurteilen jede Form von Gewalt und rücksichtslosem Verhalten in der politischen Auseinandersetzung. Das Recht auf freie Meinungsäußerung und friedlichen Protest ist ein Grundpfeiler unserer Demokratie. Gleichzeitig muss aber unmissverständlich klar sein, dass die körperliche Unversehrtheit und Sicherheit aller Beteiligten, auch von Journalisten und Politikern, unantastbar ist."

Wenn man die Abläufe der verschiedensten Demonstrationen in den vergangenen Jahren  und die reflexartige Dämonisierung aller Proteste gegen die Regierung noch einmal betrachtet, ist das schon charmant, ausgerechnet angesichts der Erpresserbande "Letzte Generation", die sozusagen die bezahlten Sturmtruppen einer Klimapolitik darstellen, die vor allem den Lebensstandard der Werktätigen angreift, plötzlich den "Grundpfeiler der Demokratie" zu entdecken. Vor allem stellt sich bei diesen Straßenblockaden erstens die Frage, was ein bezahltes Besetzen von Fahrbahnen mit Demokratie zu tun hat, und zweitens, ob Nötigung jetzt generell als "friedlicher Protest" gilt.

Es war schon klar, dass nach den Bauernprotesten wieder geklebt werden musste. Schließlich muss man ja die mediale Aufmerksamkeit behalten. Da dürfte also in den kommenden Wochen noch eine beträchtliche Aktivität entfaltet werden.

Beim Betrachten des Videos kommen dem neutralen Zuschauer noch ganz andere Gedanken. Ganz unabhängig von der Frage des juristischen Umgangs, gäbe es eine einfache Strategie, mit diesen "Protesten" umzugehen – zumindest an Stellen, die so aussehen wie jene im Video.

Wenn sich die Polizei an jeder dieser Stellen damit befassen würde, den Verkehr um sie herum zu leiten, ansonsten aber jede Meldung über diese Blockaden unterließe und die Teilnehmer schlicht ein Dokument unterzeichnen ließe, mit dem sie bestätigen, aus freiem Willen und auf eigene Gefahr dort am Boden zu sitzen, dann könnte man sie einfach ignorieren. Würden die Festgeklebten nicht mehr auf öffentliche Kosten abgelöst, wäre das Problem in kurzer Zeit erledigt (die Haftungsfragen klärt man mit besagtem Papier). Wobei jene, die nicht bereit wären, ein derartiges Dokument zu unterzeichnen, dann zwar abgelöst, aber im Grunde anschließend auf ihren Geisteszustand untersucht werden müssten.

Das war jetzt nur einmal ein Gedankenspiel, um ins Gedächtnis zu rufen, dass derartige Handlungen mitnichten hingenommen werden müssen, sondern hingenommen werden, weil sie einen Zweck erfüllen, der den Auftraggebern der Bundesregierung genehm ist. Das ist ein klein wenig so wie beim Gesundheitsminister Karl Lauterbach, der gerade den dicken Maxe gibt, um Homöopathie als Krankenkassenleistung zu streichen und damit zehn Millionen einzusparen. Und das mit der Begründung, sie sei unwirksam, nachdem er Milliarden für ein nicht nur unwirksames, sondern sogar schädliches Präparat verschleudert hat, das den Empfängern im Gegensatz zu den homöopathischen Präparaten sogar aufgezwungen wurde. Der höchste Wert, dem diese Bundesregierung wie auch die EU eben folgen, ist, alles für die maximalen Renditen der Produzenten zu tun, und der "Klimaschutz" bietet so viele weitere schöne Möglichkeiten.

Der Autofahrer, der versuchte, der Blockade zu entrinnen, wird nun, weil sich Striegel vor sein Auto gestellt hat, wegen angeblicher Fahrerflucht gesucht, was Striegel bestimmt freut – denn mit dem Delikt der Fahrerflucht kennt er sich selbst bestens aus. Sein eigenes Opfer überschlug sich allerdings seinerzeit mit dem Auto und wurde dabei schwer verletzt. Und sein Opfer hatte sich ihm auch nicht in den Weg gestellt, sondern Striegel hatte dem die Vorfahrt laut Straßenverkehrsordnung genommen.

Das ist auch eher das, was man sich vorstellt, wenn von "angefahren", "vom Fahrzeug erfasst" die Rede ist, und nicht das, was Striegel jetzt von sich gab. Nein, wenn man die Art und Weise, wie die Fakten des Videos sprachlich umgesetzt wurden, schlicht in die Gegenrichtung dreht, hätte man genauso gut die fiktive Meldung schreiben können:

"Grünen-Politiker schockt unschuldigen Autofahrer am Rande von Klimablockade – er wirft sich vors Auto."

Sechs Stunden lang blockierten die vier Kleber übrigens die Straße, weil sie sich mit einer besonders haltbaren Mischung aus Kleber und Sand festgeklebt hatten. Insofern hatte der besagte Autofahrer durchaus den richtigen Instinkt. Andernfalls hätte er nämlich stundenlang dort ausharren müssen. Wobei sich bei derartigen Zeiträumen und winterlichen Temperaturen durchaus die Frage stellt, ob da nicht eher die blockierten Verkehrsteilnehmer mit Decken und heißen Getränken versorgt werden müssten. Ganz zu schweigen davon, dass auch nur ein einziges E-Fahrzeug in dem Stau die Blockade durchaus weiter verlängern könnte, weil nach sechs Stunden in der Kälte vermutlich die Batterie leer ist.

Im Grunde genommen liefert das Ganze gute Argumente dafür, den Verkehr in diesem Fall ganz offiziell über den Bürgersteig umzuleiten. Die Rechnung für die Wiederherstellung des Straßenrands kann man ja dann den Auftraggebern der Kleber schicken.

Nein, das wird alles nicht passieren. Wie man an dieser Geschichte erneut sehen kann, wird inzwischen aus jeder Mücke ein Elefant herbeigedichtet, wenn es der gewünschten Erzählung dient. Bestimmt erweist sich dann der Fahrer dieses Wagens auch noch als politisch suspekt, was ganz anders aussähe, wenn – sagen wir – einmal eine schwere Baumaschine mitten auf einer zentralen Kreuzung liegenbliebe, um gegen die Regierungspolitik zu protestieren. Das Vergehen wäre dann mit Sicherheit wieder Gewalt und Nötigung.

Die ganze Geschichte ähnelt sehr jener Situation, als ein LKW-Fahrer ganz vorsichtig einen dieser Kleber gestupst hatte und ihm zur Strafe per Führerscheinentzug gleich noch ein Berufsverbot erteilt wurde. Äquivalent müsste man eigentlich den Klebern selbst ebenfalls den Führerschein dauerhaft entziehen, weil sie schließlich belegt haben, dass sie den Straßenverkehr gefährden. Aber wie auch immer, nach über einem Jahr dieses Theaters gerät einem das Denken gewaltig in UNOrdnung, wenn man einen neuen Akt des miesen Schauspiels ertragen muss.

So, wie diese Sache politisch wie medial behandelt wurde, gibt es ohnehin nur eine Abhilfe: schafft ein, zwei, hundert Blockaden. Das mag dann zwar womöglich immer noch nicht reichen, um die Bundesregierung zur Vernunft zu bringen. Aber es könnte wenigstens ein Ende dieses elenden Kleberdramas erzwingen und es verhindern, dass einem derartig verzerrte Erzählungen den Tag trüben.

Mehr zum Thema - Klimakleber: Gibt es ein Versammlungsrecht für bezahlten Protest?

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