Das hell leuchtende Jahr 2024 wird den Fortschritt eines vernetzten Eurasiens bestimmen
Von Pepe Escobar
Zu Beginn des hell leuchtenden Jahres 2024 werden vier große Trends den Fortschritt eines vernetzten Eurasiens bestimmen.
Erstens: Die Integration der Finanz- und Handelswirtschaft wird zur Norm werden. Russland und Iran haben ihre Systeme für internationale Zahlungsanweisungen bereits integriert, wodurch das westliche und von den USA kontrollierte System SWIFT umgangen und in iranischem Rial und russischem Rubel gehandelt wird. Russland und China begleichen ihre Zahlungen bereits in Rubel und Yuan, wodurch die enorme chinesische Industriekapazität mit den enormen russischen Ressourcen verknüpft wurde.
Zweitens: Die wirtschaftliche Integration des postsowjetischen Raums, mit Schwerpunkt Eurasien, wird im Großen und Ganzen nicht so sehr über die Eurasische Wirtschaftsunion (EAWU) erfolgen, sondern vielmehr über die Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ).
Drittens: Es wird keine nennenswerten pro-westlichen Vorstöße im sogenannten Kernland geben: Die zentralasiatischen Staaten werden schrittweise in ein vereinigtes eurasisches Wirtschaftsgebiet integriert, die über die SOZ organisiert wird.
Viertens: Der Konflikt mit den USA wird sich verschärfen, da der Hegemon und seine Vasallen – die Europäische Union, Japan, Südkorea und Australien – gegen die eurasische Integration antreten werden, die durch die drei führenden BRICS-Staaten Russland, China und Iran, sowie die Demokratische Volksrepublik Korea und die arabische Welt in Form der BRICS-10 vertreten wird.
An der russischen Front hat der unnachahmliche Sergei Karaganow den Grundsatz formuliert:
"Wir sollten unsere europäischen Wurzeln nicht leugnen, sondern wir sollten sie mit Sorgfalt behandeln. Schließlich hat uns Europa viel gegeben. Aber Russland muss vorankommen. Und vorwärts bedeutet nicht nach Westen, sondern nach Osten und Süden. Darin liegt die Zukunft der Menschheit."
Und das führt uns zum Drachen – im chinesischen Jahr des Drachen.
Die Wegweiser Mao und Deng Xiaoping
Im Jahr 2023 fanden satte 3,68 Milliarden Einzelfahrten auf dem chinesischen Bahnnetz statt – ein Allzeit-Rekord. China ist auf dem schnellsten Weg, bis 2030 weltweit führend im Bereich der künstlichen Intelligenz zu werden. Der chinesische Technologiegigant Baidu hat beispielsweise kürzlich ErnieBot herausgebracht, um mit ChatGPT zu konkurrieren. Künstliche Intelligenz breitet sich in China rasant in den Bereichen Gesundheitswesen, Bildung und Unterhaltung aus.
Effizienz ist der Schlüssel dazu. Chinesische Wissenschaftler haben den ACCEL-Chip entwickelt, der 4,6 Billiarden Berechnungen pro Sekunde durchführen kann – dies im Vergleich zum A100 von NVIDIA, der eine Leistung von 0,312 Billiarden Berechnungen pro Sekunde liefert. In China verlassen Jahr für Jahr nicht weniger als eine Million mehr Studenten in den Bereichen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik (MINT) die Universitäten als in den USA. Das geht weit über künstlichen Intelligenz hinaus.
Asiatische Nationen finden sich bei Wettbewerben in Naturwissenschaften und Mathematik immer unter den besten 20 Prozent.
Das australische Institut für Strategische Politik (ASPI) ist in Bezug auf Geopolitik möglicherweise schlecht aufgestellt. Dennoch hat es zumindest der Öffentlichkeit einen Dienst erwiesen, indem es Nationen aufgelistet hat, die in 44 kritischen Technologiesektoren weltweit führend sind. China ist die Nummer eins und führt in 37 Sektoren. Die USA führen lediglich in sieben Sektoren. Alle anderen führen in keinem der Sektoren. Zu diesen Sektoren gehören Verteidigung, Raumfahrt, Robotik, Energie, Umwelt, Biotechnologie, fortschrittliche Materialien, wichtige Quantentechnologie und natürlich künstliche Intelligenz.
Wie aber ist China dorthin gekommen? Es ist heute ziemlich aufschlussreich, das Buch von Maurice Mesner aus dem Jahr 1996 noch einmal zu durchstöbern: "Die Deng-Xiaoping-Ära. Eine Untersuchung über das Schicksal des chinesischen Sozialismus von 1978 bis 1994".
Zunächst muss man wissen, was unter Mao passiert ist:
"Von 1952 bis Mitte der 1970er Jahre stieg die landwirtschaftliche Nettoproduktion in China durchschnittlich um 2,5 Prozent pro Jahr, während die Zahl in der intensivsten Periode der japanischen Industrialisierung – von 1868 bis 1912 – bei 1,7 Prozent lag. Im gesamten Industriebereich in China stiegen alle Indikatoren: Stahlproduktion, Kohle, Zementproduktion, Holzproduktion, Elektrifizierung, Förderung von Rohöl, Herstellung von chemischem Dünger. Mitte der 1970er Jahre produzierte China auch eine beträchtliche Anzahl von Düsenflugzeugen, schweren Traktoren, Lokomotiven und modernen Hochseeschiffen. Die Volksrepublik wurde darüber hinaus zu einer bedeutenden Atommacht, einschließlich der Entwicklung von Interkontinentalraketen. Der erste erfolgreiche chinesische Atombombentest fand 1964 statt, die erste chinesische Wasserstoffbombe wurde 1967 gezündet und 1970 wurde ein chinesische Satellit in die Erdumlaufbahn gebracht."
Für all das war Mao verantwortlich. Er baute bis Mitte der 1970er Jahre China von einem der rückständigsten Agrarländer der Welt zur sechstgrößten Industriemacht um. Bei den meisten wichtigen sozialen und demographischen Indikatoren schnitt China in Asien nicht nur im Vergleich zu Indien und Pakistan wesentlich positiver ab, sondern auch im Vergleich zu Ländern mit mittlerem Einkommen, deren Pro-Kopf-BIP fünfmal so hoch war wie das in China.
All diese Durchbrüche wiesen für Deng Xiaoping den Weg:
"Die erhöhten Erträge, die in der frühen Ära von Deng Xiaoping, durch einzelne Familienbetriebe erzielt wurden, wären nicht möglich gewesen ohne die riesigen Projekte zur Bewässerung und zum Hochwasserschutz – Dämme, Bewässerungsanlagen und Flussbegradigungen, die von landwirtschaftlichen Kolchosen in den 1950er und 1960er Jahren errichtet wurden."
Natürlich gab es Ausreißer – da der Tatendrang von Deng Xiaoping eine de facto kapitalistische Wirtschaft hervorbrachte, die von einer bürokratischen Bourgeoisie geleitet wurde:
"Wie es in der Geschichte aller kapitalistischen Volkswirtschaften der Fall war, war die Macht des Staates maßgeblich an der Schaffung von Chinas Arbeitsmarkt beteiligt. Tatsächlich spielte in China ein äußerst repressiver Staatsapparat eine besonders direkte und erzwingende Rolle bei der Kommerzialisierung des Arbeitsmarkts. Ein Prozess, der mit einer Geschwindigkeit und einem Ausmaß voranschritt, der in der Geschichte beispiellos ist."
Es bleibt eine unendliche Quelle der Debatte, inwieweit dieser fabelhafte wirtschaftliche große Sprung nach vorn unter Deng Xiaoping katastrophale soziale Folgen hatte.
Die Herrschaft der Schlechtesten
Während in der Ära von Xi Jinping das Drama definitiv in Angriff genommen und versucht wurde, es zu lösen, wurde es durch die ständige Einmischung der berüchtigten "strukturellen Widersprüche" zwischen China und dem US-Hegemon zusätzlich verkompliziert.
China-Bashing ist das politisch korrekte Spiel Nummer eins quer durch die Hallen der Macht in Washington – und das wird im Jahr 2024 zwangsläufig außer Kontrolle geraten. Geht man von einem Debakel der US-Demokraten im kommenden November aus, gibt es kaum Zweifel, dass eine republikanische Präsidentschaft – Trump hin oder her – den Kalten Krieg 3.0 auslösen wird, in dem China und nicht Russland als die größte Bedrohung angeprangert wird. Und dann ist da noch die soeben zu Ende gegangene Präsidenten- und Parlamentswahl in Taiwan. Wenn Kandidaten, die sich für die Unabhängigkeit einsetzen, gewinnen, werden die Spannungen in der Region exponentiell ansteigen. [Zum Zeitpunkt dieser Übersetzung sieht es ganz danach aus, dass es so gekommen ist – Anm. der Red.] Man stelle sich das nun in Kombination mit einem im Weißen Haus sitzenden China-Phobiker vor.
Selbst als China militärisch noch schwach war, hatte Washington weder im Korea- noch im Vietnam-Krieg Peking etwas entgegenzusetzen, wo Peking aktiv die jeweiligen Gegner der USA unterstützte. Die Wahrscheinlichkeit, dass Washington China jetzt auf einem Schlachtfeld im Südchinesischen Meer besiegen könnte, liegt bei weniger als null. Das US-amerikanische Dilemma ist somit als perfekter Sturm zusammengefasst. Die harte und die weiche Macht des US-Hegemons wurden durch die bevorstehende, gigantische Demütigung der NATO in der Ukraine, in Verbindung mit der Komplizenschaft des Westens beim Völkermord in Gaza, in einen dunklen Abgrund gestoßen.
Gleichzeitig steht die globale Finanzmacht des US-Hegemons vor einem schweren Schlag, da die strategische Partnerschaft zwischen Russland und China, als Führungsstaaten der BRICS-10, dem globalen Süden durchaus realistische Alternativen anbieten kann. Chinesische Gelehrte erinnern ihre westlichen Gesprächspartner immer gern daran, dass die Geschichte ein ständiger Spielplatz war, auf dem aristokratische und/oder plutokratische Oligarchien gegeneinander antraten. Der kollektive Westen wird nun zufällig von der giftigsten Variante der Plutokratie angeführt: Von der Kakistokratie – der Herrschaft der Schlechtesten
Was die Chinesen zu Recht als "Nationen der Kreuzfahrer" bezeichnen, ist inzwischen erheblich erschöpft – wirtschaftlich, sozial und militärisch – und schlimmer noch: fast vollständig de-industrialisiert. Zumindest diejenigen unter den "Kreuzfahrern" mit einem funktionierenden Gehirn haben verstanden, dass die "Abkopplung" von China zu einer großen Katastrophe führen wird. Doch nichts davon beseitigt ihren arroganten und ignoranten Drang nach einem Krieg gegen China – auch wenn Peking bisher größte Zurückhaltung geübt hat, indem es keinen Vorwand bot, einen weiteren ewigen Krieg zu entfesseln.
Stattdessen kehrte Peking die Taktik des US-Hegemons um, indem es beispielsweise den Hegemon selbst und einige seiner Vasallen wie Japan und Südkorea, beim Import seltener Erden sanktioniert hat. Und als noch effektiver erweist sich der konzertierte Vorstoß Russlands und Chinas, den US-Dollar zu umgehen und den Euro zu schwächen – mit voller Unterstützung der Mitglieder der BRICS-10, der OPEC+, der Mitglieder der Eurasische Wirtschaftsunion und jener der meisten SOZ-Mitglieder.
Die unbekannte Variable Taiwan
Kurz gesagt, der chinesische große Plan ist etwas Wunderbares: die "regelbasierte internationale Ordnung" zu zertrümmern, ohne einen einzigen Schuss abfeuern zu müssen. Taiwan wird das wichtigste, noch nicht verwickelte Schlachtfeld bleiben. Grob lässt sich mit Fug und Recht argumentieren, dass die Mehrheit der Bevölkerung Taiwans keine Wiedervereinigung mit China will. Gleichzeitig wollen sie aber auch keinen von den USA gesteuerten Krieg mit China. Die Bevölkerung Taiwans will im Wesentlichen den aktuellen Status quo bewahren, während China es nicht eilig hat. Der große Plan von Deng Xiaoping sah eine Wiedervereinigung irgendwann vor 2049 vor.
Der US-Hegemon hingegen hat es enorm eilig: Wieder einmal dreht sich alles um "teilen und herrschen", was Chaos fördert und Chinas unaufhaltsamen Aufstieg destabilisieren soll. Peking verfolgt buchstäblich alles, was sich in Taiwan bewegt – anhand umfangreicher, akribischer Beobachtung. China weiß, dass Taiwan verhandeln muss, damit es in einem friedlichen Umfeld gedeihen kann, solange es noch etwas zum Verhandeln hat. Jeder Taiwanese mit einem funktionierenden Gehirn – und es gibt viele erstklassige helle Köpfe auf der Insel – weiß, er kann nicht erwarten, dass Staatsbürger der USA für ihn in den Tod ziehen werden.
Vor allem, weil sie wissen, dass der US-Hegemon es nicht wagen wird, einen konventionellen Krieg mit China zu führen, weil er ihn verlieren wird – und zwar schwer. Das Pentagon hat alle Optionen ausgeschöpft. Und es wird auch keinen Atomkrieg wegen Taiwan geben.
Chinesische Gelehrte erinnern uns auch gern an die Zeit von 1644 bis 1912, als das Reich der Mitte unter der Qing-Dynastie völlig zersplittert und die chinesisch-mandschurische herrschende Klasse nicht in der Lage war, ihr Selbstbild aufzugeben und die notwendigen drakonischen Schritte zu ergreifen. Dasselbe gilt jetzt für die USA, als Reich der "Einzigartigkeit" – auch wenn sie regelmässig Purzelbäume schlagen müssen, um ihr eigenes, mythologisches Selbstbild zu bewahren. Man bedenke: Narziss ertrank in einem von ihm selbst geschaffenen Teich.
Man kann davon ausgehen, dass das Jahr des Drachen ein Jahr sein wird, in dem Souveränität vorherrschen wird. Hegemoniale Anfälle hybrider Kriegswut und Kollaborateurs-Eliten von Kompradoren werden allerdings Hindernisse sein, die den globalen Süden behindern werden. Dennoch wird es mindestens drei Pole mit Rückgrat, den Ressourcen, der Organisation, der Vision und dem Sinn für die universelle Geschichte geben, um den Kampf für ein gleichberechtigteres und gerechteres System auf die nächste Stufe zu heben: China, Russland und Iran.
Aus dem Englischen.
Pepe Escobar ist ein unabhängiger geopolitischer Analyst und Autor. Sein neuestes Buch heißt "Raging Twenties" (Die wütenden Zwanziger). Man kann ihm auf Telegram und auf X folgen.
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