Meinung

Raffelhüschen: Migration kostet, statt die Renten zu retten

Mal sehen, ob diese Veröffentlichung einen Aufschrei auslöst, und wenn ja, welchen. Bernd Raffelhüschen, neoliberaler "Rentenexperte", hat vorgerechnet, dass weitere Migranten mitnichten die Renten der Deutschen sicherer machen.
Raffelhüschen: Migration kostet, statt die Renten zu rettenQuelle: www.globallookpress.com © Reiner Zensen via www.imago-imag

Von Dagmar Henn

Es gibt Namen, deren Nennung sofort die Frage aufruft, welches Ziel sie diesmal verfolgen. So geht es mit dem Namen Bernd Raffelhüschen, einem Volkswirtschaftler und Versicherungslobbyisten, der seit vielen Jahren die Deutschen zu privaten Rentenversicherungen drängen will.

Jetzt hat Raffelhüschen eine Studie veröffentlicht, die sich eine der Lieblingsthesen der Migrationsbefürworter vornimmt: dass Deutschland beständige Einwanderung brauche, um zukünftig die Renten zahlen zu können. Und kommt zu dem Ergebnis, dem sei nicht so. Allerdings verknüpft er dies gleich mit einer weiteren Botschaft: Die Sozialleistungen seien nämlich viel zu hoch und nicht mehr finanzierbar.

Für Letzteres nutzt er ein Konstrukt, bei dem er "alle Ausgaben des Sozialstaats, die bei Beibehaltung der aktuellen rechtlichen Rahmenbedingungen nicht durch Einnahmen gedeckt werden können", zur "impliziten Staatsverschuldung" erklärt. Was kein wirklich lauteres Verfahren ist. Zum einen sind diese rechtlichen Rahmenbedingungen nichts Unveränderliches, was beispielsweise die Folgen des Heizgesetzes gerade eindringlich demonstrieren. Und zum anderen verschweigt er eine weitere Voraussetzung jeder Berechnung zukünftiger Entwicklungen: den Produktivitätsfortschritt.

Es soll zwar einer eingerechnet worden sein (dessen Höhe nicht genannt wird), aber wenn er auf den Daten der letzten Jahre beruht, ist er minimal – wenn die Investitionsquoten niedrig sind, also sich mögliche technische Entwicklung gar nicht mehr umsetzt, dann realisiert sich nur ein Bruchteil des möglichen Produktivitätsfortschritts. Seit 2008 sind auch in den Konzernen die Investitionsquoten so weit im Keller, dass nicht einmal das Vorhandene ersetzt wird. Allerdings wären ganz andere Entwicklungen möglich.

Dieser Punkt war bei allen bisherigen Darstellungen, die betonen sollten, man könne sich so viele Rentner nicht leisten (eine Geschichte, die schon seit den Zeiten von Norbert Blüm erzählt wird), übergangen worden, aber letztlich der entscheidende. Denn wie auch immer die Renten vermeintlich finanziert werden, ob über eine nebenwirkungsreiche Privatversicherung (im Zusammenhang mit der Signa-Pleite werden ein paar davon gerade vorgeführt) oder unmittelbar über Steuern – letztlich wird alles, die Aufzucht von Kindern, das Bildungssystem, der gesamte Staatsapparat wie auch die Renten der Rentner, aus der aktuellen Produktion finanziert, aus den Überschüssen, die zum jeweiligen Zeitpunkt gegeben sind. Und viele Jahrzehnte lang wuchsen eben diese Überschüsse weit schneller als das Verhältnis zwischen Rentnern und Erwerbstätigen.

Bei den Renten, das sagt Herr Raffelhüschen natürlich nicht, liegt Deutschland für große Teile der Bevölkerung im europäischen Vergleich sowieso weit hinten, und die Altersarmut steigt schon längst wieder.

Allerdings ist es durchaus interessant, dass er einige Dinge ausspricht, die selten gesagt werden. So wird nicht nur die Integrationszeit als Phase, in der die Gesellschaft erst einmal in die Migranten investieren muss, mit sechs Jahren angesetzt; es wird auch offen ausgesprochen, dass es bei der Migration letztlich darum geht, dass die ganze Phase des Heranwachsens und der Bildung von einem anderen Land finanziert wird, also schlicht Früchte geerntet werden sollen, die andere gesät haben. Und es wird wahrgenommen, dass mit der im Durchschnitt niedrigeren Qualifikation natürlich auch die jeweiligen Einzahlungen in die Rentenkassen niedriger sind; auch wenn hier der Denkfehler wiederholt wird, so zu tun, als läge dieses Geld auf irgendeiner Bank, bis dann die Einzahler selbst in Rente gehen.

Es werden unterschiedliche Szenarien durchgerechnet, die (was in der Praxis extrem unrealistisch ist) von unterschiedlichen Qualifikationsniveaus der eintreffenden Migranten ausgehen. Dabei ist das günstigste Ergebnis noch das, bei dem gar keine weitere Einwanderung stattfindet, das nächstgünstigste würde ein weit höheres Qualifikationsniveau der Einwanderer als heute erfordern. Völlig unrealistisch, wenn man wahrnimmt, dass gut Qualifizierte, selbst aus Afrika, längst nicht mehr nach Europa gehen, sondern viel eher nach China oder in andere Länder, in denen sie bessere Einkommen erwarten können; nur bei den schlechter informierten Geringqualifizierten hat sich noch nicht herumgesprochen, dass deutsche Löhne schlecht sind und das Land selbst wissenschaftlich auf dem absteigenden Ast ist.

Löhne sind natürlich das entscheidende Stichwort ‒ schließlich wären die Finanzierungsprobleme der Rentenkasse mit entsprechend höheren Löhnen gelöst. Aber faktisch erfüllt die Migration ja vor allem den Zweck, die unteren Einkommen noch weiter abzusenken, was das Loch weiter vergrößert, aber das sagt Raffelhüschen nicht.

Er lässt allerdings erkennen, dass die Erwartungen, die in Bezug auf "Fachkräfte" gepflegt werden, der Wirklichkeit nicht entsprechen; nimmt aber als Vergleichsmodell für eine "bessere Steuerung" unter anderem die Vereinigten Staaten, die faktisch derzeit überhaupt nichts steuern, was das Land gerade in einigen Regionen an den Rand des administrativen Zusammenbruchs und insgesamt an den eines Bürgerkriegs bringt. Auch Kanada hat zurzeit Probleme, wenn auch bei weitem nicht so ausgeprägt wie die USA. Einzig Australien mit seiner Insellage praktiziert noch, was Raffelhüschen darstellt.

Natürlich fehlen viele Aspekte. Wenn man die Bildungslandschaft betrachtet, so liegt die derzeitige Migration nicht nur in der Qualifikation unter der einheimischen Bevölkerung, sondern wird, wenn nicht massiv in eine Anpassung des Bildungssystems investiert wird, auch dazu führen, dass das Qualifikationsniveau der einheimischen Bevölkerung sinkt. Abgesehen von den Kindern reicher Eltern natürlich, die sich auf Privatschulen flüchten, was Raffelhüschen, der Erzneoliberale, mit Sicherheit begrüßt.

Und seine sozialpolitische Schlussfolgerung ist so neoliberal wie menschenfeindlich:

"Dementsprechend stellt auch eine gelungene Migrationspolitik keinen Ersatz für eine Anpassung der staatlichen Leistungen insbesondere in Hinblick auf die altersspezifischen Sozialausgaben dar."

Anpassung heißt in dieser Umgebung selbstverständlich Kürzung. Raffelhüschen war schon immer ein Fan noch niedrigerer Renten, weil das für die Wohlhabenderen einen Zwang zur "privaten Altersvorsorge" erzeugt, von der die Versicherungsunternehmen, für die Raffelhüschen schon immer vor allem dachte, profitieren könnten. Das Schicksal weniger Betuchter, gleich ob Migrant oder Einheimischer, war ihm schon immer gleich.

Aber es ist ein neuer Stein, den er da in den Teich geworfen hat, und es wird mit Sicherheit interessant, zu sehen, welche Interferenzmuster sich aus dem Zusammentreffen mit der offiziellen Erzählung ergeben, wenn beide aufeinanderprallen. Schließlich ist allein dieser Satz bereits an der Grenze zur Ketzerei:

"Die Zuwanderung nach Deutschland stellt unter den gegenwärtigen Bedingungen eine finanzielle Belastung dar."

Das zu widerlegen ist schwierig. Und das schafft ein Dilemma. Denn so willkommen eine Predigt für weitere Rentenkürzungen bei der Ampel oder ihren Nachfolgern sein dürfte, so störend ist es, wenn einer der Vorbeter des deutschen Neoliberalismus vorrechnet, dass Migration nur dann in Zukunft unschädlich wäre, wenn das Qualifikationsniveau weitgehend dem der einheimischen Bevölkerung entspräche. Weil das weder mit der deutschen noch mit der EU-Rechtslage auch nur ansatzweise zu verwirklichen wäre.

Werden die Anhänger der unbegrenzten Migration ‒ für die die Behauptung, sie sei nötig, um zukünftig die Renten zu finanzieren, geradezu zentral ist ‒ mit Gegenrechnungen kontern? Auf eine höhere Produktivität jedenfalls können sie sich schwer berufen; die nämlich ist mit der Qualifikation verknüpft, und um aus einem des Deutschen nicht mächtigen Analphabeten binnen weniger Jahre einen, sagen wir einmal, Metallfacharbeiter zu machen, bräuchte es historisch ungewöhnliche Umstände, vergleichbar etwa der frühen Sowjetunion, die solche Wunder vollbrachte, sprich, eine allgemeine Atmosphäre gesellschaftlichen Aufbruchs mit dem Versprechen einer deutlich besseren Zukunft. Ungefähr das Gegenteil des heutigen Deutschlands. Selbst unter großen Anstrengungen kann eine absteigende Gesellschaft schlecht integrieren.

Und die realen Voraussetzungen werden schlechter, nicht besser. Die derzeitige Deindustrialisierung spielt in diesen Szenarien noch keine Rolle, wird sich aber langfristig verheerend auf die Staatsfinanzen auswirken. Aspekte, die womöglich auftauchen werden, sollte es ernsthafte Bemühungen geben, das Rentenargument zu verteidigen. Manchmal sind Ausführungen, die zumindest teilweise falsch sind, zumindest zur Unterhaltung gut. Ein Schaukampf zwischen Raffelhüschen und grünen Migrationsfanatikern wäre das auf jeden Fall. Die übliche Methode, ihn schlicht zum Nazi zu erklären, dürfte jedenfalls nicht funktionieren.

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