Meinung

Der Konflikt in der Ukraine - Er wird nicht zu den Bedingungen von Wladimir Selenskij enden

Plan B für die Ukraine: Sowohl in Kiew als auch im Westen werden Forderungen nach Zugeständnissen an Russland immer lauter. Aber sind diese Forderungen realistisch? Alles hängt davon ab, ob Russland den Plänen des Westens für einen Waffenstillstand zustimmt.
Der Konflikt in der Ukraine - Er wird nicht zu den Bedingungen von Wladimir Selenskij endenQuelle: www.globallookpress.com © Keystone Press Agency via Global Look Press / Ashley Chan

Von Tarik Cyril Amar

Derzeit hört man zunehmend Stimmen, die fordern, dass sich Kiew auf einen Kompromiss mit Russland vorbereiten sollte. Insbesondere häufen sich Forderungen nach Gebietsabtretungen an Russland. Sowohl im Westen als auch in der Ukraine haben sich zwei Dinge geändert: Erstens gibt es jetzt zunehmende Forderungen nach einem "Plan B", wie die ehemalige ukrainische Premierministerin Julia Timoschenko es nannte, und, was noch wichtiger ist, das Tabu, über diese Notwendigkeit zu sprechen, ist weggebrochen.

Angesichts der schwierigen und gefährlichen militärischen, finanziellen und politischen Situation in der Ukraine – ganz zu schweigen davon, dass sich diese Situation noch rasant verschlimmern könnte – sind diese Forderungen keine Überraschung. Die eigentliche Frage ist nicht, warum dies geschieht, sondern was es für die Zukunft bedeuten könnte: Signalisieren diese Forderungen eine echte Bereitschaft, einen Waffenstillstand zu schließen? Und wenn ja, zu welchen Konditionen? Und ist das eine realistische Aussicht?

Beginnen wir mit einer Stimme aus dem Westen: James Stavridis, ein US-amerikanischer Admiral im Ruhestand, ehemaliger Militärchef der NATO und emeritierter Dekan der renommierten US-amerikanischen Fletcher School für Rechtssprechung und Diplomatie. Stavridis hat seine Position als Kolumnist für Bloomberg genutzt, um die Frage aufzuwerfen, wie dieser Krieg enden wird. Er kam zu dem Schluss, dass die Ukraine wahrscheinlich nichts von den Gebieten zurückerobern kann, die es an Russland verloren hat. Er empfiehlt der Ukraine praktisch, "die vorübergehende oder sogar dauerhafte Abtretung der Krim und der sogenannten 'Landbrücke', die sie mit Russland verbindet, in Erwägung zu ziehen".

Vor ein paar Monaten wäre eine solche Meinung skandalös gewesen. Jetzt ist es Teil des neuen Konsens. Und das, obwohl es den offiziellen Kriegszielen der Ukraine, absolut keine territorialen Zugeständnisse zu machen, direkt widerspricht. Und man beachte, dass ein solches Szenario das ist, was Stavridis als das wünschenswerteste Ergebnis einer anhaltenden westlichen Unterstützung anpreist. Dies ist ein ehemaliger NATO-Kommandeur, der dem Westen sagt, dass das beste Szenario ein Kompromissfrieden mit Russland sei, den Kiew offiziell verabscheut.

Und was hören wir aus der Ukraine? Die eindringlichste Botschaft kam von Julia Timoschenko. Einst eine gerissene und energische Top-Akteurin der ukrainischen Politik und immer noch Vorsitzende ihrer eigenen Partei, hat sie den Versuch eines Comebacks offensichtlich nicht aufgegeben: Kürzlich machte sie Schlagzeilen, indem sie sich einem neuen Mobilisierungsgesetz widersetzte und eine Offensive gegen die von Kiew angestrebte LGBTQ-Politik lancierte. Die beiden Themen haben wenig gemeinsam, außer dass die Themenwahl aufzeigt, dass Timoschenko das öffentliche Interesse in Betracht zieht. Beim Mobilisierungsgesetz gibt sie sich als Verteidigerin der nächsten Kohorte junger Rekruten aus, die in den Fleischwolf gehen sollen. Sie schlug vor, Polizisten und andere "Silowiki" – Beamte aus dem Sicherheitsapparat – an die Front zu schicken. Und in Bezug auf die LGBTQ-Politik präsentierte sie sich als Vertreterin traditioneller konservativer Werte.

Der provokativste Vorstoß von Julia Timoschenko bestand jedoch darin, Präsident Wladimir Selenskij aufzufordern, "seine Führungsstärke unter Beweis zu stellen", indem er einen "Plan B" für den Krieg vorlegt. Einen Plan, der einen "Ausstieg aus der derzeit schwierigen, durchaus tragischen Situation" bedeuten würde. Sie bekräftigte ihr Bekenntnis zum Sieg und zur "territorialen Integrität" der Ukraine, bestand aber dennoch darauf, dass ein "frontaler" Ansatz nicht mehr praktikabel sei, da die Ukraine einen endlos langen Krieg nicht durchhalten könne.

Und dann ist da noch Alexei Arestowitsch. Als ehemaliger Berater von Selenskij und Hauptbefürworter eines Krieges gegen Russland, als dieser noch hätte vermieden werden können. Er sorgte kürzlich für Aufsehen, indem er vorschlug, dass die Ukraine und Russland Frieden schließen und sich dann gegen den Westen vereinigen sollten. Das wäre, wenn es realistisch wäre, eine weitere Möglichkeit, den Krieg zu beenden.

Aber wie sieht es mit den Bedingungen aus, die Stavridis, Timoschenko und Arestowitsch vorhersehen?

Der ehemalige NATO-Kommandeur ist ein Beispiel dafür, dass auch diejenigen im Westen, die einen gewissen Realismus wiederentdeckt haben, immer noch an Wunschdenken leiden. Das Szenario, das Stavridis zur Beendigung der Kämpfe vorschwebt, sieht nicht nur eine Gebietsabtretung an Russland vor, sondern auch die Duldung Moskaus, dass Kiew der EU- und der NATO beitritt. Wenn er das ernst meint, dann skizziert er das, was für Russland ein perfekter Rohrkrepierer ist. Wie Präsident Wladimir Putin kürzlich bekräftigte, gehört zu den Kriegszielen Moskaus weiterhin die Neutralität der Ukraine.

Die Ideen von Julia Timoschenko sehen nicht viel hoffnungsvoller aus. Möglicherweise hat sie nur ein einziges wirkliches Ziel: Selenskij und seine "Führung" in Verlegenheit zu bringen. Ihr "Plan B" ist immer noch ein Plan "des Sieges" und ihre Rhetorik ist im Allgemeinen schrill geblieben: In einem kürzlich erschienenen Leitartikel betonte sie, dass die Ukraine bereits mehrere Schlachten "gewonnen" habe, beispielsweise als Teil des Westens anerkannt zu werden – viel Glück damit –, die innere Einheit erreicht und den russischen Einfluss zurückgedrängt zu haben. Und doch ist sie eine listige Akteurin: Könnte ihre Liste der bereits errungenen Siege auch als Signal dafür verstanden werden, dass vielleicht, zumindest vorerst, nicht noch mehr "Siege" nötig sind?

Arestowitsch wurde unterdessen von Jewgeni Kisseljow – einem russischen Journalisten, der sich derzeit im ukrainischen Exil befindet – herausgefordert, als er den ehemaligen Berater von Selenskij im Grunde dafür zur Rede stellte, dass er nicht mehr zuverlässig antirussisch sei. Als Reaktion darauf behauptete Arestowitsch, dass er nur versucht habe, "den Westen aufzuscheuchen", und dass er ernsthaft nach einer Möglichkeit suche, jahrelange zukünftige Kriege in Europa zu vermeiden, insbesondere mit der Ukraine als Schlachtfeld. Arestowitsch glaubt, dass eine umfassende Einigung zwischen den Großmächten der einzige Ausweg ist.

Aber welcher ist der wahre Arestowitsch? Derjenige, der ein antiwestliches Bündnis mit Russland fordert, oder derjenige, der auf einem Youtube-Kanal – von dem er anscheinend annimmt, dass niemand im Westen jemals etwas davon erfahren wird – sagt, dass alles nur ein Bluff war, um den Westen mit reinzuziehen? Oder derjenige, der weit über solchen taktischen Schachzügen schwebt, um über das große Ganze nachzudenken, nämlich wie man den Weltfrieden sichern kann?

Und doch könnte es auch hier komplizierter sein. Im selben Interview mit Kisseljow und im Anschluss an die jüngsten Enthüllungen des ehemaligen ukrainischen Vizeaußenministers Alexander Tschaly geht Arestowitsch auch ausführlich auf die große verpasste Chance der Gespräche im Frühjahr 2022 in Istanbul ein. Er bestätigt, dass Moskau Kiew sehr vorteilhafte Bedingungen anbot und dass der Waffenstillstand so gut wie besiegelt war. Heute nennt er das, was damals auf dem Tisch lag, eine "Parade unerwarteter russischer Großzügigkeit".

Vor den Gesprächen in Istanbul war Arestowitsch auch an den Minsker Vereinbarungen beteiligt. Zwischen Frühjahr 2015 und Anfang 2022 hätte insbesondere das von den Vereinten Nationen abgesegnete Minsk-II-Abkommen als Grundlage für eine friedliche Lösung des damals noch vergleichsweise begrenzten Konflikts dienen können. Doch weder die ukrainische Führung noch ihre westlichen Sponsoren waren daran interessiert, dass die Vereinbarung in Kraft tritt, wie ukrainische Politiker prahlten – üblicherweise in ukrainischen Medien – und was von westlichen Staatslenkern im Nachhinein zugegeben wurde. Es ist keine Überraschung, dass Arestowitsch damals die Minsker Vereinbarungen als "Falle" und "Sackgasse" verspottet hat. Doch obwohl dies lediglich die ukrainische Politik der Obstruktion bestätigt, von der wir bereits wussten, ist es dennoch interessant festzustellen, dass Kiew in seinen Augen bei den Gesprächen in Istanbul deutlich bessere Ergebnisse erzielen konnte.

Es wäre naiv, Arestowitsch einfach so zu glauben. Auch er ist, wie Timoschenko, ein listiger und rücksichtsloser Akteur, der mehr anstrebt, darunter auch, so seltsam es klingen mag, die ukrainische Präsidentschaft. Im Moment ist er daran interessiert, seinen ehemaligen Chef Selenskij so weit wie möglich zu schwächen. Für Arestowitsch macht es Sinn, den Eindruck zu vertiefen, dass Selenskij zu Beginn des groß angelegten Krieges eine hervorragende Gelegenheit verpasst hat, Frieden für die Ukraine zu schließen. Doch auch wenn Arestowitsch durch seine eigenen Ambitionen beeinflusst ist, ist seine Geschichte in diesem Fall wahr. Mittlerweile haben wir mehrere sich gegenseitig bestätigende Berichte, die in die gleiche Richtung weisen.

In diesem Sinne können die neuen Äußerungen von Arestowitsch zu Istanbul auch als Hinweise auf zukünftige Möglichkeiten gelesen werden. Wenn der Frieden einst so nah war, kann er jetzt nicht völlig unmöglich sein. Allerdings warnt der ehemalige Berater des Präsidenten auch – realistisch gesehen –, dass so gute Konditionen, wie man sie Kiew damals anbot, wahrscheinlich nicht erneut angeboten werden. Tatsächlich gesteht er damit seinen Pessimismus ein, hinsichtlich eines baldigen Endes des Krieges.

Das Team "Plan B" wagte es, wenn auch vorsichtig, sich in die Debatte einzumischen. Das sind gute Neuigkeiten. Doch ein genauerer Blick darauf ist enttäuschend. Wir finden nur wenige ernsthafte, konkrete und explizite Vorschläge, wie man einen Waffenstillstand erreichen könnte. Der ehemalige Admiral Stavridis, der die Freiheit hat, am offensten zu sprechen, verbindet seine realistische Forderung nach territorialen Zugeständnissen Kiews mit einer NATO-Mitgliedschaft der Ukraine – eine Idee, von der er wissen sollte, dass sie in Moskau niemals akzeptiert werden wird. Timoschenko und Arestowitsch bleiben zweideutig, ja sogar widersprüchlich. Und niemand macht sich ernsthaft die Mühe, darüber nachzudenken, was Stavridis – in seiner aufschlussreichsten Nebenbemerkung – zumindest erwähnt hat: dass alle Pläne davon abhängen, dass Russland diesen zustimmt.

Aus dem Englischen.

Tarik Cyril Amar ist Historiker an der Koç-Universität in Istanbul, befasst sich mit Russland, der Ukraine und Osteuropa, der Geschichte des Zweiten Weltkriegs, dem kulturellen Kalten Krieg und der Erinnerungspolitik. Man findet ihn auf X unter @tarikcyrilamar

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