Lesermeinung: Der "Balkonist" und die Bauernproteste
Eine Lesermeinung von Mikhail Balzer
Eine kurze Anmerkung des Autors (oder Herausgebers) der "Tagesaufzeichnungen des Balkonisten" zum Verständnis der Hauptperson, welche im Folgenden der Einfachheit halber zumeist als "der Balkonist" bezeichnet wird:
Der Balkonist, eine fiktive Person, hat vor etwas mehr als 30 Jahren, trotz noch nicht sehr fortgeschrittenen Alters, entschieden, sein Berufsleben zu beendigen und, schlimmer noch, seine Wohnung in der siebten Etage eines Mehrfamilienhauses am Stadtrand einer beliebigen deutschen Kleinstadt nicht mehr zu verlassen. Neben seiner viel zu liebenswerten Ehefrau pflegt er lediglich noch regelmäßigen Kontakt zu seinem Kater "Murr, der Dritte" (es ist der dritte Kater seit seiner Entscheidung, die Wohnung nicht mehr zu verlassen).
Mit Vorliebe, daher der beschreibende Name des Protagonisten, hält er sich tagsüber in seinem geräumigen überbauten Balkon auf, dessen Fensterfront eine weitläufige Sicht gewährt. So beobachtet er seine unmittelbare Umgebung, wie aber auch sein Land und die Entwicklungen der "Welt da draußen" quasi als neutraler Beobachter mit der gebotenen emotionalen Distanz.
Aus den Tagesaufzeichnungen des Balkonisten (9.1.2024)
Wie so oft wachte der Balkonist, mit Vornamen Michael genannt (aber was bedeuten volkstümliche Namen in diesen historischen Zeiten heute?), bereits vor Sonnenaufgang auf – nun ja: Vor Sonnenaufgang in den ersten Januartagen aufzustehen, bedeutet nun nicht zugleich, dass es sehr früh am Morgen wäre.
Dennoch konnte er, der keiner Arbeitsverpflichtung mehr nachgehen muss, nicht weiter schlafen, weil ihm plötzlich aus dem Traum heraus ein spezieller Gedanke, eine Art Analogieschluss befallen hatte in Anbetracht der seit dem 8. Januar deutschlandweit begonnenen Bauernproteste.
Was wäre, wenn es so unerquicklich weiterginge wie beim "Freedom Convoy" der Trucker vor zwei Jahren in Kanada, dessen Deutung und Bedeutung bis heute noch unklar erscheint, die aber dennoch bis heute eine Wirkung auf die gesamte Gesellschaft in Kanada entfaltet (NZZ 18.5.2022 "Die kanadische Gesellschaft ist nach den Truckerprotesten zerrissen")?
Oder wenn eine des Volkswillens, an die sie eigentlich gebunden sein sollte, enthobene und seiner überdrüssige Regierung zunächst die Angelegenheit ignorierte und gewisse sich ungünstig chaotisch entwickelnde Abläufe bewusst für eine spalterische Rhetorik gegenüber den protestierenden Gruppen eskalieren ließe? Für die Verbreitung einzelner provozierender oder unästhetischer Vorkommnisse (zum Beispiel Vermüllung und Gülleabwurf auf Hauptstraßen Berlins, die ansonsten auch nicht immer wirklich sauber sind; oder die Behinderung des Berufsverkehrs) würden sodann die der Macht und des fahlen Glanzes einer Regierung gewogenen Chefredakteure der druckenden, telegenen wie sonstigen Medien sorgen.
Dergestalt würde dann allmählich die Meinung in der Bevölkerung medial manipuliert, geknetet und verzerrt; bis man schließlich konstatieren würde, das jenes amorphe Etwas, Bevölkerung genannt, nun eigentlich und schon länger der Proteste überdrüssig sei. Zudem würden dann in den Berichten Personen und Meinungskundgebungen "aus dem rechten Spektrum" bei den Protestlern verortet, was gerade im "besten Deutschland aller Zeiten", im "Wir schaffen das"-Deutschland, überhaupt gar nicht angehe!
Daraufhin – und hier fühlt sich jener Balkonist erinnert an die seinerzeit vereinte politische wie mediale Umdeutung der Demonstrationen gegen überbordende (und grundrechtseinschränkende) Regierungsmaßnahmen im Rahmen der Corona-Pandemie – wird von der mit aller Moral gerechtfertigten Staatsmacht die "gebotene Durchsetzungskraft" angewendet, um den Protest zu beenden und die "Antreiber dieses unrechtmäßigen Widerstandes" mit der gebotenen Härte zu verfolgen. Aber nein: Solcherlei Gedankengänge dürfen dem treuen Staatsbürger sogar im träumerischen Halbschlaf nicht einfallen – so gemahnt sich der Balkonist mit staatsbürgerlichem Gewissen.
Aber bitte: Man ziehe auch keine Vergleiche mit dem Volksaufstand in der DDR am 17. Juni 1953, an welchen in der "alten Bundesrepublik" im Rahmen eines Gedenktages erinnert worden war (der historische/ frühere Feiertag am 17. Juni, auch als "Tag der deutschen Einheit" bezeichnet, welcher mit der Wiedervereinigung quasi entbehrlich geworden war)!
Beim nachdenklichen Genuss der zweiten Tasse frisch duftenden, althergebracht zubereiteten Filterkaffees fließen erneut trotzige Erinnerungsfäden und Bilder in den Kopf unseres Protagonisten: Wie nun, wenn es doch zu überschießender Anwendung von Staatsgewalt zur "Wiederherstellung der Ordnung" wie damals jenseits der Mauer käme (im Jahr 2013 führte der damalige Bundestagspräsident Norbert Lammert die diesbezüglichen Argumentationen der Regierung der DDR: "Während die DDR-Propaganda den 17. Juni zum faschistischen Putschversuch herabwürdigte und tabuisierte …")?
Was würde dies über die Rechtmäßigkeit einer (von der Volksmeinung womöglich entfremdeten) Regierung sagen, deren Akteure und nachgeordnete Parteifunktionäre womöglich nur noch einen Steinwurf entfernt sind von der Mentalität jener Blockparteien der ehemaligen "demokratischen deutschen Republik"?
Nochmals besinnt sich der Balkonist, gemahnt sich selbst zur Ruhe: "So sollst du nicht denken!", und nippt an den letzten merkwürdig schal schmeckenden Schlucken seines Kaffees.
Zwei frei und zufällig ausgewählte Zitate seien dem Autor dieser Zeilen noch erlaubt:
"Und um die Freiheit geht es! Um die Freiheit des Menschen, um die Freiheit der Menschen." (Bundespräsident Theodor Heuss am 21.6.1953)
"Hoffnung ist nicht die Überzeugung, dass etwas gut ausgeht, sondern die Gewissheit, dass etwas Sinn hat, egal, wie es ausgeht" (Václav Havel)
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