Rainer Rupp: Das massenhafte Töten von Zivilisten in Gaza geht weiter
Von Rainer Rupp
Nach einer ganzen Woche Waffenstillstand und sieben Runden des Geisel- und Gefangenenaustauschs befinden sich nach israelischen Angaben immer noch 137 Geiseln in Hamas-Gefangenschaft, darunter auch einige US-Amerikaner. Insgesamt wurden in der vergangenen Woche 110 Hamas-Geiseln, hauptsächlich Frauen und Kinder, gegen israelische Geiseln aus Gefängnissen ausgetauscht, vor allem palästinensische Frauen und Kinder, oft nicht älter als sechs Jahre.
Da fragt man sich, was sechs Jahre alte palästinensische Kinder in israelischen Gefängnissen machen, wo sie unzugänglich für ihre Eltern womöglich wie Tiere gehalten werden. Denn als "menschlich aussehende Tiere" hat der aktuelle israelische Kriegsminister Galant in einer öffentlichen Ansprache für seine Soldaten die Palästinenser bezeichnet, die entweder umgebracht oder vertrieben werden müssten.
Berichten zufolge drängten Katar und Ägypten darauf, die vorübergehende Kampfpause um weitere zwei Tage zu verlängern, aber die aus extremistischen Kräften bestehende Netanjahu-Regierung stellte sich quer. Diese Verbrecher wollen ihren öffentlich abgelegten Schwur erfüllen und ihr mörderisches Werk in Gaza vollenden. Mit der Wiederaufnahme der wahllosen Bombardierung und Zerstörung der noch intakten Stadtteile im Süden des Gazastreifens wollen sie mit der massenhaften Produktion toter Kinder und ihrer Familien – wie bereits 1948 bei der Nakba – so viel Angst und Schrecken in der Zivilbevölkerung erzeugen, dass eine Massenflucht der 2,2 Millionen Einwohner aus Gaza provoziert wird, entweder in die Wüste oder über die von ägyptischen Soldaten kontrollierte Grenze nach Ägypten. Das wäre "Mission Accomplished". Der Auftrag der ethnischen Säuberung Gazas von den "menschlichen Tieren", egal, ob es sich dabei um christliche oder islamische Palästinenser handelt, wäre erfüllt.
Natürlich versuchte die Netanjahu-Regierung, den Neustart ihrer Militärmaschinerie zu rechtfertigen. Dazu schoben sie zwei fadenscheinige Argumente vor, die natürlich von den prozionistischen Westmedien unkritisch nachgeplappert wurden. So wurde berichtet, dass die Hamas nur noch Geiseln angeboten habe, an denen die Regierung nicht mehr interessiert gewesen sei. Laut CNN sei Israel zum Beispiel "mit der Liste der angebotenen Gefangenen nicht zufrieden" gewesen. Und das obwohl, wie oben berichtet, laut israelischen Angaben 137 Geiseln weiter in Hamas-Gefangenschaft sind, darunter auch US-Amerikaner.
Als weiteren Vorwand zur Rechtfertigung der Wiederaufnahme der Bombardierung führte die israelische Regierung den Terroranschlag an, der am Donnerstag von zwei bewaffneten Palästinensern mit MPi- und Pistolenfeuer auf eine Menschenmenge an einer Bushaltestelle in Jerusalem verübt worden war, wobei drei Israelis getötet und 16 verletzt wurden. Das sei ein Bruch der Waffenpause gewesen, wiederholen Westmedien die israelischen Argumente. Allerdings bleibt unerwähnt, dass das israelische Militär während der ganzen Zeit der Gaza-"Waffenpause" im Westjordanland weiterhin brutale Operationen gegen die dortige Bevölkerung durchgeführt hat.
Am Freitagabend verbreiteten dann die Westmedien, inklusive der ARD-Tagesschau, eine weitere "Rechtfertigung" für die Wiederaufnahme der Bombardierung der Millionenstadt Gaza beziehungsweise für die Fortführung des Massenmords an Zivilisten. Angeblich, so die Meldung, habe die Hamas die Waffenpause zuerst gebrochen und bereits am Freitagmorgen Raketen auf israelisches Gebiet abgeschossen. Das wird von der Hamas bestritten und die Israelis haben auch keine Beweise dafür vorgelegt. Denn sie wissen, sie brauchen nur etwas zu behaupten, egal, wie haarsträubend unglaublich es ist, und schon wird das von den prozionistischen Medien im Westen pausenlos verbreitet. Man denke nur an die Behauptung, dass die Hamas bei dem Angriff am 7. Oktober angeblich 40 israelische Babys enthauptet habe. Obwohl dies inzwischen sogar von israelischen Nichtregierungsquellen als Lüge entlarvt worden ist, hat es in den Westmedien keine Korrektur gegeben. Denn die offiziellen Lügen der israelischen Regierung zu hinterfragen, würde sofort als antisemitisch diffamiert.
Was tatsächlich hinter der Wiederaufnahme des israelischen Massenmords an Gaza-Zivilisten steckt, ist die Tatsache, dass der Druck der Extremisten innerhalb von Netanjahus eigener Regierungskoalition zugenommen hat, den Kampf zurück zur Hamas zu tragen und das ihren Wählern gegebene Versprechen, die Hamas zu eliminieren, bis zum Ende durchzuziehen, was nichts anderes bedeutet, als Gaza dem Erdboden gleichzumachen.
Der Rassist Itamar Ben-Gvir, Minister für nationale Sicherheit und Vertreter der faschistoiden Partei "Otzma Jehudit" in Natanjahus Regierungskoalition, hatte sich von Anfang an gegen jegliche Waffenruhe eingesetzt. In den vergangenen Tagen hat Ben-Gvir sogar gedroht, die Regierungskoalition platzen zu lassen. Wenn jedoch die Regierung auseinanderbricht, geht Ministerpräsident Netanjahu wegen Korruption und anderen Verbrechen ins Gefängnis. Nur seine aktuelle Position in der Regierung verleiht ihm die notwendige Immunität vor der Strafverfolgung. Netanjahu wird also alles tun, um diese massenmörderische Regierung an der Macht zu halten.
Ben-Gvir schrieb diese Woche in Hebräisch auf X (früher Twitter): "Den Krieg beenden = die Regierung bricht auseinander." Allerdings regiert derzeit unter dem Regime des ausgerufenen "nationalen Notstands" eine Einheitsregierung, die sich aus allen im Parlament vertretenen Parteien zusammensetzt, also auch aus den Parteien der gemäßigteren Opposition, die Netanjahu am liebsten im Gefängnis sehen will. Daher bleibt unklar, ob der Austritt von Ben-Gvirs "Otzma Jehudit" aus der "Regierungskoalition der nationalen Einheit" auch deren Zusammenbruch bedeuten würde.
Die Worte, die Ministerpräsident Netanjahu am vergangenen Donnerstag an US-Außenminister Blinken richtete, schienen offensichtlich darauf abzuzielen, die rebellischen Stimmen, die eine Verlängerung der Kampfpause strikt ablehnen, in seinem Kabinett zu besänftigen:
"Ich habe ihm gesagt, dass wir geschworen haben, und auch ich geschworen habe, die Hamas zu vernichten. Nichts wird uns aufhalten", sagte Netanjahu auf einer Pressekonferenz nach dem Treffen mit Blinken. Später am selben Tag gab er eine Erklärung ab, in der er speziell auf Ben-Gvir reagierte und darauf bestand, dass der Krieg gegen die Hamas fortgesetzt wird, bis die Hamas beseitigt ist: "Es gibt keine Situation, in der wir nicht bis zum Ende kämpfen werden. Das ist meine Politik. Das gesamte Sicherheitskabinett steht dahinter. Die gesamte Regierung steht dahinter. Die Soldaten stehen dahinter. Die Menschen stehen dahinter – genau das werden wir tun", betonte Netanjahu.
Genau das machten dann auch die israelischen Piloten am Freitagmorgen und bombardierten wieder aus großer Höhe, ohne Gefahr für sich selbst, zivile Wohnblöcke im Gazastreifen. Der kritische Journalist Max Blumenthal verweist dazu in einer Nachricht auf X, dass der erste Angriff der israelischen Bomber den "Hamad Towers" im Stadtviertel Chan Younis galt, zwei Wohnblöcken, die vom Golfstaat Katar finanziert und für obdachlose Palästinenser gebaut worden waren, die bereits 2021 durch israelische Bomber ihr Zuhause verloren hatten. Blumenthal sieht in diesen Aktionen auch ein politisches Signal der israelischen Regierung an das arabische Katar, nämlich an den Golfstaat, in dem die Verhandlungen über den Geiselaustausch stattgefunden hatten und der sich am stärksten für eine Verlängerung der Kampfpause eingesetzt hatte. Der Augenblick der Zerstörung der "Hamad Towers" ist in einem Video festgehalten, das Blumenthal seiner X-Nachricht beigefügt hat und kann über diesen Link aufgerufen werden.
Ebenfalls am Freitag berichtete der britische Guardian in einem Artikel darüber, wie das israelische Militär mithilfe sogenannter "künstlicher Intelligenz (KI)" Software mit dem Namen "Gospel" ("Evangelium") automatisch Ziele für die zionistischen Bomber im Gazastreifen aussucht. Laut Aviv Kochavi, dem ehemaligen Chef der israelischen Streitkräfte (IDF), wurde dieses KI-System erstmals bei der Bombardierung des Gazastreifens im Mai 2021 eingesetzt. Dazu erläuterte er, welch große Hilfe das "Evangelium" leistet: "Um das ins rechte Licht zu rücken: In der Vergangenheit haben wir 50 Ziele in Gaza pro Jahr identifiziert. Jetzt produziert diese Maschine 100 Ziele pro Tag, von denen 50 Prozent angegriffen werden."
Während des fast zwei Monate andauernden Konflikts hat Israel über 15.000 Ziele in Gaza zerstört. Nach Angaben des Euro-Med Human Rights Monitor hat Israel mehr als 25.000 Tonnen Sprengstoff auf den Gazastreifen abgeworfen. Die IDF berichtet, dass sie nur zwischen 1.000 und 2.000 mutmaßliche Hamas-Mitglieder getötet habe. Gleichzeitig sollen mindestens 15.000 Zivilisten getötet worden sein, darunter schätzungsweise 6.000 Kinder. Der Forscher Richard Moyes, der die britische NGO "Artikel 36" leitet, sagte, die Bilder von Gaza beweisen, dass sich die israelische Bombardierung von Gaza nicht auf Genauigkeit konzentriert. "Schauen Sie sich die physische Landschaft von Gaza an", erklärte er. "Wir sehen die weitverbreitete Einebnung eines städtischen Gebiets mit schweren Sprengstoffen, sodass die Behauptung der Präzision und der kontrollierten, begrenzten Gewalt durch die Tatsachen vor Ort nicht bestätigt wird."
In einem Kommentar dazu verweist ein Leser auf X (Twitter) darauf, dass Umfragen zufolge 57,5 Prozent der israelischen Juden sagten, dass sie glaubten, dass die IDF zu wenig Feuerkraft in Gaza einsetzte; 36,6 Prozent sagten, die IDF setze eine angemessene Menge an Feuerkraft ein; nur 1,8 Prozent hingegen sagten, sie glauben, dass die IDF zu viel Feuerkraft einsetzte."
Wenn das durch andere Umfragen bestätigt wird, vermittelt dies das Bild einer Gesellschaft, die den Bezug zur Moral (und wahrscheinlich zur Realität) völlig verloren hat, meint ein anderer Leser. Das müsse eingehend studiert werden, weil es auch anderswo leicht passieren kann. Wenn man damit anfängt, eine bestimmte Gruppe von Menschen vollständig zu entmenschlichen und in einer Informationsumgebung zu leben, in der die eigenen Verbrechen und Verfehlungen ignoriert werden, dann ist das ein Rezept für immenses menschliches Leid, so Arnaud Bertrand.
Was das für die angebliche moralische Überlegenheit des kollektiven Westens bedeutet, hat Professor Hasan Ünal von der Bashkent-Universität in Ankara am 28. November in einem Sputnik-Interview treffend dargelegt. Über den Totalverlust der westlichen moralischen Überheblichkeit und die Entstehung einer multipolaren Weltordnung sagte er:
"Wann immer Leute aus dem Westen wieder diese Worte verwenden, Sie wissen, Worte wie Demokratisierung, Menschenrechte, Freiheiten und all das, dann werden in Zukunft andere darauf antworten, indem sie sagen, oh ja, wir wissen es, wir wissen es sehr gut, Demokratie à la Gaza, Demokratisierung à la Gaza, Menschenrechte à la Gaza, wir wissen, wie kriminell ihr werden könnt, könnt ihr bitte aufhören und all diesen Müll für euch behalten?"
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