Faeser, Glaubensbekenntnisse und Parolen oder: alles gegen die Meinungsfreiheit
Von Dagmar Henn
Irgendwann wird man die deutsche Entwicklung der letzten Jahre zu einem Horrorfilm verarbeiten, einer Mischung aus "Die Welle" und "Ich weiß, was du letzten Sommer getan hast"... Rational, politisch ist es fast nicht mehr erklärbar, was geschieht, nur noch als eine Mischung aus Kontrollwahn und psychologischer Manipulation.
Der neueste Höhepunkt sind das Verbot der Losung "From the River to the Sea, Palestine will be free" und die Forderung an sämtliche islamischen Verbände in Deutschland, sich zum "Existenzrecht Israels" zu bekennen. Eine Forderung, die ohne weitere Erläuterungen absurd ist; die völkerrechtlich akzeptierten Grenzen, jene von vor 1967, würden die meisten palästinensischen Organisationen mittlerweile unterschreiben, aber das gegenwärtige Israel hält nun einmal seit 50 Jahren völkerrechtswidrig den Gazastreifen und die Westbank besetzt und unterstützt die Siedlungen in der Westbank; dieser konkreten Version eines israelischen Staates zuzustimmen, käme für die Palästinenser einer völligen Selbstaufgabe gleich. Von welchem Israel reden wir hier also?
Nachdem die Bundesregierung ihre Unterstützung Israels nicht einmal an die Bedingung einer Umsetzung der Oslo-Abkommen knüpft (an deren Entstehung übrigens die deutsche Diplomatie einmal beteiligt war, als es sie noch gab), kann und muss man davon ausgehen, dass mit dem Israel, dessen Existenzrecht anerkannt werden soll, das Gebiet von 1967 zuzüglich aller seitherigen widerrechtlichen Besetzungen gemeint ist, was die Anerkennung eines völkerrechtswidrigen Zustands wäre.
Aber das ist gerade mal die Oberfläche. Absurd ist diese Forderung auch, weil sie erstens nicht im eigenen Namen erhoben wird – würde die Bundesregierung fordern, das Existenzrechts Deutschlands anzuerkennen, wäre das völlig legitim – und zweitens selbst eine unzulässige Verallgemeinerung vornimmt. Muslime gibt es in ebenso vielen Varianten wie Christen, und einen pakistanischen Sufi, einen Moslem aus Indonesien (wo es sogar eine muslimische matriarchale Insel gibt, nur nebenbei) oder aus Lateinamerika (ja, die gibt es auch, syrischstämmige Brasilianer beispielsweise) zu drängen, ein Bekenntnis zum "Existenzrechts Israels" abzulegen, ist schwer nachzuvollziehen.
Insbesondere, weil dieses Bekenntnis nur die Oberfläche ist, hinter der eine Distanzierungsaufforderung steckt, die sich nicht nur gegen eine konkrete Handlung, nämlich den Überfall der Hamas, sondern gegen jegliche Form palästinensischen Widerstands richtet, sofern das Israel, das gemeint ist, nicht exakt auf die völkerrechtlich anerkannten Grenzen beschränkt ist.
Interessanterweise werden auf diese Weise sogar Gruppen dazu genötigt, sich mit der palästinensischen Frage auseinanderzusetzen, die an sich wenig bis gar keine Verbindung dazu hätten. Aber so ist es nun einmal im heutigen Deutschland – dieselbe Gruppe von Personen, die jederzeit bereit ist, zu erklären, wie sehr sie gegen Rassismus sei, setzt automatisch voraus, dass jeder Gläubige des Islam ein verkappter Palästinenser und mithin im Grunde eigentlich ein Terrorist sein müsste. Obwohl bisher niemand auf Grundlage der Gräueltaten der Lord's Resistance Army, einer berüchtigten christlich-fundamentalistischen Miliz in Uganda, die Distanzierung aller christlichen Vereinigungen von dieser Gruppierung eingefordert hat; nicht einmal eine Distanzierung von Kreuzzügen, Hexenverbrennungen und Konfessionskriegen wird erwartet.
Witzigerweise haben dieselben Personen, die nun derartige Distanzierungsaufforderungen verfechten, überhaupt kein Problem mit der Unterstützung syrischer oder tschetschenischer Islamisten und finden eine auswärtige Finanzierung und Steuerung von Moscheen in Deutschland nur problematisch, weil die entstandene Richtung plötzlich mit den geopolitischen Präferenzen kollidiert. Solange man davon ausgehen konnte, dass sich die türkische Regierung in jeder Hinsicht so verhält, wie es der NATO gefällt, durfte das türkische Religionsministerium auch die türkischsprachigen Moscheen kontrollieren.
"Der Islam" ist eine ebenso unsinnige Kategorie wie "die Katholiken". Letztere gibt es in einer Spanne von der Theologie der Befreiung bis hin zum Opus Dei, und das ist nur die "offizielle" Ebene. Schon vergessen, dass die katholische Kirche nach wie vor keine Frauen ordiniert, was in deutlichem tagtäglichen Widerspruch zum Grundgesetz steht? Und das nur auf der Grundlage eines einzigen Satzes aus einem 2000 Jahre alten Paulus-Brief, in dem steht, die Frau solle in der Kirche schweigen, wobei nicht einmal klar ist, ob damit nicht eine einzelne, spezifische Person gemeint war, die fast ebenso lange tot ist wie der Brief alt?
Die Forderung nach einem Bekenntnis zum "Existenzrecht Israels" begründet CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann so:
"Wer unsere Werte teilt, ist Teil unserer Gesellschaft, unabhängig davon, welchen Glaubens er ist. Aber wer sie bekämpft, hat sich das falsche Land ausgesucht."
Viel Spaß bei der Deportation polnischer Priester, möchte man da nur sagen. Ganz so simpel kann man das Verhältnis zwischen Religion und Staat nicht sehen, das schließlich allen Glaubensrichtungen gegenüber gleich sein muss. Die entscheidende Schwelle, die man in den letzten Jahren immer weiter gezielt erodieren ließ, ist die zwischen Wort und Tat. Wenn etwa koptische Christen sagen, Genitalverstümmelungen bei jungen Mädchen seien Teil ihrer Tradition, geht das den deutschen Staat nichts an. Eine derartige Verstümmelung tatsächlich vorzunehmen wäre aber ein Verstoß gegen deutsche Gesetze.
Die Grenze verläuft also nicht anders als bei der politischen Meinungsfreiheit. An sich. Nicht im heutigen Deutschland. Früher hätte man weitestgehend tatsächlich sagen können, dass alles, was nicht gegen Gesetze verstößt, erlaubt ist. In den letzten Jahren wurden aber ständig neue Meinungsdelikte erfunden, deren Einführung bereits eine Aufhebung dieser Grenze voraussetzt. Logisch, dass das irgendwann auch in den Bereich der Religionsfreiheit eindringt.
Wobei die Verbotsverfügung, die das Bundesinnenministerium gegen die Hamas erlassen hat, in dieser Hinsicht ein besonderes Bonbon enthält. Sie verbietet nämlich allerlei Symbole, die der Hamas zugeordnet werden, darunter allerdings auch schlicht das islamische Glaubensbekenntnis in arabischer Schrift auf grünem Grund. Eine Kombination, die eine ähnlich präzise politische Aussage darstellt wie ein Kreuz als Halskette – gar keine nämlich. Grün ist weltweit die Farbe, die mit dem Islam verbunden ist, dieses Glaubensbekenntnis ist überall gleich, und Schriftzüge in arabischer Schrift dürften sich in so gut wie allen Moscheen weltweit finden.
Gilt nun diese Verbotsverfügung nur für die Variante auf grünem Grund oder für alle denkbaren Hintergründe? Wie ist es mit einer grünen Schrift? Gilt sie nur im öffentlichen Raum, oder suchen demnächst bundesdeutsche Polizisten die Wände deutscher Moscheen nach diesem Glaubensbekenntnis ab, um dann auf Leitern zu steigen und sie mit Hämmerchen von der Wand zu entfernen? Was das Ministerium von Frau Faeser an diesem Punkt getan hat, ist schlicht eine Gleichsetzung der gesamten (Milliarden Menschen umfassenden) Glaubensgemeinschaft mit einer einzelnen politischen Organisation. Wie ist es denn mit der gesprochenen Version?
Das könnte man jetzt für einen absurden Sprung halten, aber an anderer Stelle vollzieht die Verbotsverfügung auch diesen Schritt; zumindest ist die bayrische Generalstaatsanwaltschaft überzeugt, dass sie das tut, und kommentiert dies entsprechend. Die Losung "From the River to the Sea, Palestine will be free", wird nämlich nicht nur als Aufruf zur Vernichtung Israels gelesen, sondern zugleich zum Kennzeichen einer verbotenen Organisation erklärt. Das Haus Faeser war sogar so nett, diese Losung sowohl zum Kennzeichen von Samidoun als auch zum Kennzeichen von Hamas zu erklären. Geschichtlich gesehen kein Wunder, die Losung ist sehr alt, ich habe sie selbst vor über 40 Jahren schon gerufen, aber Hamas und die PFLP sind doch sehr verschiedene Organisationen.
So wird die Losung in der Verbotsverfügung selbst erwähnt:
"Abbildung 19: Das ältere Logo von AL-AQSA-TV (Abbildung 19) zeigt den Felsendom in Jerusalem sowie die arabischen Schriftzüge "al-Aqsa" und darunter "al-Aqsa-Satelliten-TV". Sowie die Parole "Vom Fluss bis zum Meer" (auf Deutsch oder anderen Sprachen)."
Das ist nur die Hälfte der Losung, was möglich ist, weil sie so alt und bekannt ist, auch schon von der PLO gebraucht wurde und damit schlicht einen Bezug zum palästinensischen Widerstand darstellt. Der Münchner Oberstaatsanwalt Andreas Franck erklärte nun, "das müssen wir als eine klare Ansage interpretieren", was sich in eine Strafverfolgung nach § 86a des Strafgesetzbuchs umsetzt, und eine Gleichsetzung dieses Satzes mit Losungen etwa der SS wie "Meine Ehre heißt Treue."
Nun weiß man mittlerweile, dass auch die Strafverfolgung der SS-Losung sehr davon abhängt, ob jemand einen deutschen oder einen ukrainischen Pass besitzt, weil Ukronazis ja die Guten sind; aber eine vielfach interpretationsfähige Losung eines Volkes, das seit Jahrzehnten unter Besatzung und Verfolgung leidet, mit einer Losung faschistischer Massenmörder gleichzusetzen, ist schon eine ganz besondere Dreistigkeit.
Wenn man nach Aussagen suchen wollte, die menschenverachtend sind, kann man gerade bei vielen israelischen Politikern fündig werden, man denke nur an Verteidigungsminister Gallant mit seinen "menschlichen Tieren". Aber um Menschenfeindlichkeit geht es nicht; die Auseinandersetzung mit dem konkreten Gehalt wird verweigert, es wird schlicht nach politischer Nützlichkeit aus einer Interpretation eine Strafbarkeit gezimmert.
Selbst die Internationale (ein Lied, das Frau Faeser vielleicht noch aus Jugendtagen kennt, so etwas sangen früher sogar Sozialdemokraten) enthält Sätze wie "Reinen Tisch macht mit dem Bedränger" oder "Die Müßiggänger schiebt beiseite". Mit ausreichend bösem Willen kann man auch das zum Mordaufruf aufblasen, und mit Kirchenliedern hätte man sicher ebenfalls viel Spaß.
Das tatsächliche Ziel liegt in der Verhinderung politischer Proteste. Diesmal eben nicht über einen Maskenzwang, sondern durch Illegalisierung möglicher Parolen. Das ist übrigens nicht nur meine persönliche Ansicht; der Kölner Rechtsanwalt Dirk Sattelmaier sieht das ähnlich:
"Für Versammlungen und deren mögliche Verbote wird dies eine erhebliche Vereinfachung sein, da nunmehr den Behörden ein zusätzliches Argument, nämlich dass die Verwendung dieses Slogans mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auf einschlägigen Versammlungen zu erwarten sei, an die Hand gegeben wird. (...) Eine Entwicklung, welche vor allem die Meinungs- und Versammlungsfreiheit im Allgemeinen bedroht."
In Berlin hat jüngst die Polizei bei einer Demonstration schon die Losung "Stoppt das Morden, stoppt den Krieg" untersagt. Dabei geht es nicht nur darum, die möglichen Teilnehmer dieser Demonstrationen an jeder hörbaren Bekundung ihrer Meinung zu hindern, sondern mindestens ebenso sehr darum, im Rest der Bevölkerung die Vorstellung zu verbreiten, schon das Denken entsprechender Gedanken sei gefährlich.
Mit politischem Geschick ließe sich immer noch ein Protest organisieren, und wenn es eine fingierte Jubeldemo wäre, unter israelischen Fahnen mit all den menschenverachtenden Aussagen israelischer Politiker in jüngerer Zeit. Aber dem alltäglichen Gespräch, das so wichtig ist, wird zunehmend der Raum genommen, ebenso wie jeder Form organisierter Meinungsäußerung. Die einzige Abweichung von der regierungsamtlichen Position, die zugelassen wird, ist noch zynischer, noch menschenverachtender, noch kriegslüsterner. Dabei geht es nicht um Überzeugung, nicht um Debatte; es geht nur noch um Unterwerfung.
Sind die Juristen, die die Verbotsverfügungen des Ministeriums ausgekocht haben, so dumm, dass ihnen diese Einfallstore einer universellen Verfolgbarkeit aus Versehen in den Text gerutscht sind? Das kann man nach mehreren Jahren immer weiter ausgedehnter Strafbarkeiten nicht mehr wirklich glauben.
Dabei ist das nicht einmal eine politisch kluge Strategie, auch wenn sie einen Teil der Bevölkerung vorerst erfolgreich einschüchtert – warum sollte man sich auf eine Meinungsäußerung, einen Debattenbeitrag beschränken, wenn man selbst dafür bereits verfolgt wird? Dann kann man ebenso gut gleich zu Gewalt übergehen ...
Die klare Trennung zwischen Wort und Tat ist die Voraussetzung für die Existenz eines politischen Raums, der weitgehend gewaltfrei ist. Wird diese Trennung aufgehoben, auch wenn dies dadurch geschieht, dass sich die Obrigkeit das Recht anmaßt, unerwünschte Aussagen massenhaft zu sanktionieren, dann mag das zwar eine Zeit lang die Menge dieser Aussagen verringern, letztlich verschwindet aber genau dieser gewaltfreie Raum der politischen Debatte selbst. Das Ministerium Faeser sollte einmal darüber nachdenken, dass dieses Schwert in zwei Richtungen schneidet.
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