Meinung

Heucheln, teilen, herrschen – oder: Die populistischen Märchen des Friedrich Merz

Der CDU-Chef und politische Migrationskrisen-Mitverursacher Merz hat wieder mal gelogen, wohl um die unteren Bevölkerungsschichten gegeneinander aufzubringen. Seine Behauptung, Asylbewerber schnappten Deutschen die Zahnarzttermine weg, hält einer Überprüfung nicht stand.
Heucheln, teilen, herrschen – oder: Die populistischen Märchen des Friedrich MerzQuelle: www.globallookpress.com © Michael Kappeler/dpa

Von Susan Bonath

Noch kürzlich betonte CDU-Chef Friedrich Merz, eine Zusammenarbeit mit der AfD sei ausgeschlossen.

Durch einen solchen Schritt, so fabulierte er fast religiös aufgeladen, würde die CDU "ihre Seele verkaufen." Dahinter steckt wohl politisches Kalkül, um die brave konservative Wählerschaft nicht zu verschrecken. Denn tatsächlich unterscheidet die Merz-CDU von der AfD fast nichts.

Der CDU-Chef teilt nicht nur die neoliberalen Ansichten zur Wirtschaftspolitik – die schon in 16 Regierungsjahren unter Angela Merkel den Kurs der CDU bestimmten, und an denen die Ampel-Regierung nicht ernsthaft rüttelt – mit der AfD. Auch in Sachen Migrationskrise verhält er sich genauso, wie es der AfD gern vorgeworfen wird: Sich populistisch als Gerechtigkeitsfan gebärdend, griff er – nicht zum ersten Mal – in die Trickkiste der Verdrehungen und Lügen, um die zornige Bevölkerung auf seine Seite zu ziehen.

Asylbewerber bekommen weniger als Bürgergeld-Bezieher

Laut der Springer-Zeitung Welt forderte er in einem Gespräch mit dem Blatt zunächst, der Leistungsbezug für Asylbewerber in Deutschland gehöre "auf den Prüfstand". "Die Bürger", so Merz, würden angeblich alle "wahnsinnig, wenn die sehen, dass 300.000 Asylbewerber, die abgelehnt sind, nicht ausreisen, die vollen Leistungen bekommen."

Damit implizierte Merz, die Menschen würden fürstlich finanziert. Dabei sieht die Wahrheit ganz anders aus. Das Budget für Flüchtlinge – sofern sie nicht aus der Ukraine stammen – liegt weit unter dem der Bürgergeld-Sätze.

Viele sitzen über Jahre in Mehrbettzimmern in Asylbewerberheimen fest. Als alleinstehender Erwachsener bekommt man dort 369 Euro pro Monat, davon in der Regel nur 164 Euro in bar ausgezahlt.

Zum Vergleich: Ein alleinstehender Bürgergeld-Bezieher ohne Erwerbseinkommen bekommt aktuell 502 Euro, dazu die Kosten für eine "angemessene" Miete erstattet. Doch Flüchtling ist nicht gleich Flüchtling, das Prinzip "teilen und herrschen" ist auch ganz unten Programm. Während die einen meist jahrelang nicht arbeiten dürfen und sich in Massenunterkünften von Minisätzen über Wasser halten müssen, dürfen ukrainische Kriegsflüchtlinge sofort das Bürgergeld beantragen.

Gesundheitssystem kaputtgespart durch neoliberale Politik à la Merz

Schleierhaft ist, was Friedrich Merz an solchen Hungersätzen für nicht privilegierte Asylbewerber noch kürzen will, ohne noch mehr Kriminalität zu provozieren. Von irgendwas ernähren müssen sich die Leute schließlich. Doch damit nicht genug: Letztlich griff Merz zu einer bewussten Lüge, mit dem offensichtlichen Ziel, die Bevölkerung noch heftiger gegeneinander aufzuwiegeln.

So sagte Merz laut Welt:

"Die sitzen beim Arzt und lassen sich die Zähne neu machen, und die deutschen Bürger nebendran kriegen keine Termine."

Wahr daran ist nur, dass die medizinische Versorgung in Deutschland für die normalen Lohnarbeiter immer miserabler wird. Kassenpatienten müssen oft viele Monate auf einen Facharzttermin warten, etwa bei Augenärzten, Neurologen oder Kieferchirurgen.

Die katastrophalen Missstände haben nichts mit irgendwelchen Flüchtlingen, aber sehr viel mit der von Merz favorisierten neoliberalen Privatisierungs- und Deregulierungsagenda im Gesundheitswesen der letzten 25 Jahre zu tun. Ein dem Markt unterworfenes Gesundheitssystem muss eben Gewinne erzielen. Da kommt als erster an die Reihe, wer genügend Kaufkraft hat und ein paar Scheine auf den Tisch legt.

Behandlung für Flüchtlinge nur im akuten Notfall

Und wie das immer so bei Propaganda ist, geht es um Emotionen, nicht um Fakten. So auch bei Merz, denn wahr ist vielmehr: Die von ihm erwähnten gut 300.000 abgelehnten, aber großteils aus verschiedenen Gründen vorübergehend geduldeten Asylbewerber erhalten ausschließlich im Notfall medizinische Versorgung, wie ein Blick auf die Seite des Bundesministeriums der Gesundheit (BMG) belegt.

Demnach sind Asylbewerber während der gesamten Dauer ihres Asylverfahrens, das oft viele Jahre dauert, nicht krankenversichert. Eine ärztliche Behandlung bezahlen ihnen die Sozialämter ausschließlich im akuten Notfall, also wenn sie schwer erkrankt sind, unter Schmerzen leiden oder schwanger sind. Je nach Bundesland müssen sie entweder jedes Mal beim Sozialamt dafür einen Schein beantragen oder sie bekommen eine elektronische Gesundheitskarte. Erst wenn Flüchtlinge und Migranten einen Aufenthaltstitel erhalten haben, dürfen sie Mitglied in einer gesetzlichen Krankenkasse werden.

Das gilt auch für einen Besuch beim Zahnarzt. Kronen, Brücken oder Prothesen gehören nicht zum regulären Leistungsumfang. Nur im Notfall, etwa wenn Betroffene durch Zahnlosigkeit nicht mehr essen können, werden Kosten für eine billige Prothese übernommen. Ansonsten gilt: Den Zahnarzt aufsuchen dürfen Asylbewerber nur bei akuten Schmerzen und Erkrankungen im Mund.

Die Bundeszahnärztekammer schreibt dazu in einem Merkblattdass Ärzte entscheiden müssten, welche Behandlungen und Untersuchungen tatsächlich zwingend notwendig und vom Asylbewerberleistungsgesetz abgedeckt seien. Dabei könne "der Behandler in einen ethischen Konflikt geraden, wenn mögliche zahnerhaltende Maßnahmen nicht finanziert werden." Denn normalerweise berechtige "erst der akute Schmerzfall eine Behandlung".

Imperialismus schafft Flüchtlingsströme

Diese Feststellungen ändern natürlich nichts an der Tatsache, dass Deutschland nicht unbegrenzt Flüchtlinge aufnehmen kann, ohne massive soziale Verwerfungen in Kauf zu nehmen. Die Politik schafft es ja nicht einmal, für ausreichend bezahlbaren Wohnraum zu sorgen. Darunter leidet ganz besonders der ärmere Teil der einheimischen Bevölkerung.

Fakt ist aber auch: Solange die NATO-Staaten jenseits und diesseits des Atlantiks mit ihrer imperialistischen und neokolonialistischen Außenpolitik die Länder des globalen Südens weiterhin wirtschaftlich ausplündern und allerorts neue Brandherde für Kriege legen, werden die Flüchtlingsströme in die EU nicht abreißen. Schließlich verlassen Menschen nicht ihre Heimat gen Norden, weil das Wetter in Deutschland so toll ist.

Auch die rabiateste Abschottungspolitik wird daran nichts ändern, solange USA und EU ihren imperialistischen Krieg mit und ohne Waffengewalt vorantreiben. Langfristig wäre das Problem nur durch eine Abkehr vom systemischen Wahnsinn zu lösen, hin zu einer Kooperation mit den abhängten Ländern, in denen Elend, Hunger und hohe Kindersterblichkeit auch im 21. Jahrhundert real sind.

Die Heuchelei der Migrationskrisen-Verursacher

Doch für eben diese imperialistische Politik stehen nicht nur einzelne Politiker, wie Friedrich Merz, sondern fast alle größeren Parteien, von der CDU über die FDP und die AfD bis hin zu den Grünen und zur SPD. Auch die Partei Die Linke hat ihren einst oppositionellen Kurs dazu weitgehend aufgegeben und agiert nurmehr als zahnloser Tiger mit schwachen Bekenntnissen.

Würden die EU-Staaten ernsthaft die Flüchtlingsströme bekämpfen wollen, müssten sie wohl geschlossen aus der NATO austreten, mit Afrika, China, Indien und Russland verhandeln und eigenständige Bündnisse zum gegenseitigen Vorteil etablieren, mit dem vorrangigen Ziel gegenseitiger Wirtschaftsförderung.

Das aber würde so gar nicht zum kapitalistischen Hauen und Stechen um Maximalprofit und Marktanteile passen. Einsicht und Umkehr sind nicht in Sicht. Der ehemalige BlackRock-Lobbyist Merz und viele andere Politiker werden sicherlich noch öfter populistisch lügen. Denn solange sich die "kleinen Leute" an die sprichwörtliche Gurgel gehen, können Millionäre wie er sich beruhigt auf ihren Posten zurücklehnen.

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