Westliche Liberale haben ihre Ideale verraten – und bejubeln das Blutbad der NATO in der Ukraine
Von Denis Rogatyuk
Nach dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs stellten sich die Zweite Internationale der Sozialdemokratie und die zahlreichen mit ihr verbundenen sozialistischen Organisationen in ganz Westeuropa weitgehend geschlossen hinter das militaristische Abenteurertum ihrer jeweiligen Regierungen und negierten das Leid ihrer Mitbürger in ihren jeweiligen Staaten, deren Geschicke von den wirtschaftlichen und politischen Eliten gekapert wurden.
Mehr als ein Jahrhundert später haben sich viele ihrer Nachfolger in der heutigen Sozialistischen Internationale hinter ihre Regierungen mit ihren jeweiligen militärisch-industriellen Komplexen aufgereiht und folgen ihnen im Stechschritt in den Krieg gegen Russland. Einige unter diesen selbsternannten Liberalen und Linken gingen sogar so weit, einem ehemaligen Mitglied der Waffen-SS in der Ukraine, dem 98-jährigen Jaroslaw Hunka, mit stehenden Ovationen im kanadischen Parlament zu huldigen, nachdem er vom Parlamentssprecher "als Veteran, der im Zweiten Weltkrieg für die Unabhängigkeit der Ukraine gegen Russland kämpfte," vorgestellt worden war. Es sieht ganz so aus, dass unter den westlichen Liberalen und Progressiven sogar die Ehrerbietung für einen regelrechten, noch lebenden Nazi heute zu einem akzeptablen Teil des Kampfes gegen alles Russische geworden ist.
Während in Westeuropa in den 1970er und 1980er Jahre zahlreiche Sozialdemokraten und Linke den Expansionismus der NATO und die Präsenz von US-Militärstützpunkten in ihren Ländern strikt ablehnten, geben sich die heutigen selbsternannten Progressiven und sogenannten Grünen alle Mühe, fremden Soldaten und der Kriegstreiberei auch noch den Roten Teppich auszurollen. Die Beispiele dafür sind zahlreich. Da ist etwa Annalena Baerbock, die deutsche Außenministerin der Grünen, die weltweit für Schlagzeilen sorgte, weil sie daherplapperte, dass sich Europa "in einem Krieg gegen Russland befindet". Oder die ehemalige Ministerpräsidentin Finnlands, Sanna Marin, die an der Beerdigung eines berüchtigten ukrainischen Neonazis teilnahm, der im Krieg gegen Russland gefallen war. Oder Mette Frederiksen, die Ministerpräsidentin von Dänemark, die als erste zusagte, der Ukraine F-16-Kampfjets zu liefern. Und da ist noch der spanische Ministerpräsident Pedro Sánchez, einer der ersten, der dem Regime von Selenskij Leopard-Panzer anbot.
In den Vereinigten Staaten galt "The Squad" eine Truppe von acht relativ jungen Abgeordneten der Demokraten im US-Repräsentantenhaus, die 2018 und 2022 mit einem progressiven und linken Wahlprogramm in den US-Kongress gewählt wurde – einst als eine Art Alternative zum Establishment der Demokratischen Partei. Trotzdem haben alle in diesem "Squad" gleichermaßen eingestimmt in das Kriegsgeschrei gegen Russland seitens des US-Präsidenten Joe Biden, seiner Vizepräsidentin Kamala Harris und der Sprecherin des Repräsentantenhauses Nancy Pelosi.
Abgesehen von der Kritik an der Lieferung der USA von Streumunition und Granaten mit abgereichertem Uran an die Ukraine und der Unterstützung des Vorschlags vom ehemaligen Präsidentschaftskandidaten und Senator Bernie Sanders, die Militärausgaben der USA zu kürzen, hat sich auch diese Truppe stets für immer größere Militärhilfen für Kiew ausgesprochen und dabei die bewaffneten Neonazi-Gruppen im Dienste Kiews weitgehend ignoriert.
Selbst die Gewerkschaften, die lange Zeit als Rückgrat der Antikriegsbewegung galten, sind nicht immun gegen die Russophobie und den Geist der Kriegstreiberei ihrer sogenannten progressiven und liberalen Staatslenker. Die Resolution des britischen Gewerkschaftsrats, in der die Regierung von Premierminister Rishi Sunak dazu aufgefordert wurde, weitere Waffenlieferungen und finanzielle Unterstützung für das Regime in Kiew zu leisten, ist ein Schlag ins Genick der Koalition der britischen Friedensbewegung und von Millionen britischer Arbeiter, denen Inflation und die damit steigenden Lebenshaltungskosten als Problem weitaus wichtiger sind als die Lieferung militärischer Güter an ein Regime, das mit dem unlängst in der Ukraine eingeführten Paragrafen 5371 die Rechte der eigenen Arbeiter ins 19. Jahrhundert zurückgeworfen hat.
Der nicht so alltägliche gesunde Menschenverstand
Vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs gab es im Deutschen Reichstag nur eine einzige vernünftige Stimme gegen den bevorstehenden Massenmord: Karl Liebknecht, des späteren Mitbegründers der Kommunistischen Partei Deutschlands. Diese Ehre gebührt heute Sahra Wagenknecht in der Partei Die Linke als eine der wenigen oppositionellen linken Abgeordneten im Bundestag, die sich immer wieder entschieden gegen die Sanktionen gegen Russland und die Waffenlieferungen an die Ukraine ausgesprochen hat. Im Vereinigten Königreich hat sich der ehemalige Chef der linken Partei Labour Jeremy Corbyn vehement gegen jede militärische Unterstützung des Regimes in der Ukraine ausgesprochen, aber gleichzeitig das Vorgehen Russlands kritisiert. In Irland wurde die Irische Neutralitäts-Liga gegründet, als Gegenmaßnahme zum Vorschlag der regierenden Koalition, ukrainische Armeeeinheiten auf irischem Boden auszubilden.
Auf der anderen Seite des Atlantiks hat der Philosoph, Professor und Präsidentschaftskandidat Cornel West die Auflösung der NATO zu einem seiner Schwerpunkte in seinem Wahlprogramm gemacht und gleichzeitig dieses Militärbündnis dafür verantwortlich gemacht, den Krieg in der Ukraine überhaupt angezettelt zu haben. Zum Glück gibt es im Lager der westlichen Linken immer noch Stimmen des gesunden Menschenverstandes, wenn auch bei weitem nicht zahlreich und laut genug, um die Flut der antirussischen Hysterie einzudämmen.
Die wohl größte Inspiration für die Linke sollte von den linken Regierungen Lateinamerikas kommen, sowohl den neuen als auch den alten. Die Präsidenten Lula Da Silva aus Brasilien, Gustavo Petro aus Kolumbien und Andrés Manuel López Obrador aus Mexiko haben die Forderungen der USA, militärische Hilfe nach Kiew zu schicken, entschieden abgelehnt und sich konsequent gegen jegliche Art von Sanktionen gegen Russland ausgesprochen. Lula Da Silva schlug sogar vor, dass die Ukraine ihre Forderung nach Rückgabe der Krim im Austausch für eine Friedensregelung zurücknehmen sollte. Die linken Präsidenten in Venezuela, Kuba und Nicaragua unterstützten die Position Russlands sogar noch intensiver und lehnen die Machenschaften der USA und der NATO auf der ganzen Welt entschieden ab.
Was wäre zu tun?
Es ist wirklich erschütternd zu sehen, wie sich die angeblichen Verteidiger von Arbeiterrechten und Unterstützer des Weltfriedens in Tastaturkrieger verwandelt haben, die sich in einer Art Rollenspiel engagieren, in denen sie sich selbst als Helden in einem Kampf gegen das "böse Russland" und als Helden für "die Sache der Ukraine" sehen. Ganz zu schweigen davon, dass jede Woche Hunderte – wenn nicht Tausende – junge Ukrainer ihren Familien entrissen und nach einer lächerlichen Schnellausbildung an die Front geworfen werden, wo sie für die Ziele der Elite ihres Landes und für die Erfüllung der moralischen Tugendhaftigkeit ihrer westlichen Unterstützer kämpfen und sterben müssen. Zynischerweise ignorieren gerade diese westlichen progressiven Unterstützer auch die katastrophalen Schäden an der Umwelt und die Beschleunigung des Klimawandels als Folge des militärischen Draufgängertums ihrer Regierungen.
Anstatt hochtrabende Reden zu halten und zu fordern, dass die Waffenlager westlicher Länder zur Verteidigung eines der korruptesten Regimes Europas spendiert werden, gibt es dringlichere Anliegen, die westliche Progressive verfolgen sollten. Nummer eins auf der Liste ist die eskalierende Krise bei den Lebenshaltungskosten mit explodierenden Energie- und Treibstoffpreisen, die durch eine Verstaatlichung der größten Energiekonzerne, die am meisten vom Blutbad in der Ukraine profitieren, gemildert werden könnte. Es gab einmal eine Zeit, in der Millionen von Menschen beim bloßen Gedanken an amerikanische Flugzeuge und deutsche Panzer auf einem Schlachtfeld in Osteuropa auf den Straßen ihrer Städte protestiert hätten. Es scheint, dass noch Tausende sterben müssen, bevor die heutigen "Liberalen" und "Progressiven" die Fehler erkennen, die sie begangen haben. Genauso wie nach dem Ersten Weltkrieg.
Übersetzt aus dem Englischen.
Denis Rogatyuk ist ein russisch-australischer Journalist und Autor mit Lebensmittelpunkt in Lateinamerika. Er ist ferner internationaler Direktor der Medienplattform El Ciudadano, eines der größten unabhängigen Nachrichtenportale in Chile.
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