Sanktionen: Russland ist es inzwischen gleichgültig, ob McDonald's zurückkehrt
Von Dmitri Kossyrew, RIA Nowosti
Fast alle russischen Medien haben diese Nachricht verbreitet, und aufgrund der provokanten Schlagzeilen konnte man sogar annehmen, dass es beschlossene Sache sei: Das amerikanische Unternehmen McDonald's kehrt nach Russland zurück. Dies stimmt so nicht, es wurde nur bekannt, dass sich das Unternehmen bei seinem Weggang die Option einer Rückkehr offengehalten und in die Verträge eine Hintertür eingebaut hat für den Fall, dass "sich die Umstände ändern".
Diese Möglichkeit ist in der im vorigen Jahr unterzeichneten Vereinbarung über den Verkauf der 850 russischen McDonald's-Filialen an den neuen russischen Eigentümer vorgesehen. Die Regelungen für die Rückübertragung sind darin vorsorglich ausformuliert.
Nun, da wir das wissen, können wir uns fragen: Wollen wir überhaupt, dass all die vor einem Jahr Geflüchteten zu uns zurückkehren? Einerseits war es ja "nothing personal, just business" (nichts Persönliches, nur ein Geschäft). Sie haben die Filialen ihren russischen Partnern für ein paar Cent überlassen, und jetzt werden sie diese für viel mehr zurückkaufen müssen – was geht uns das an?
Doch andererseits … um klarzumachen, worum es tatsächlich geht: Begegnen wir (potenziellen) Rückkehrern etwa mit genauso viel Lässigkeit oder gar Freude, wenn es sich nicht um ausländische Unternehmen handelt, sondern um unsere Landsleute, die vor einem Jahr geflohen sind? Nicht aus Angst vor Mobilisierung sind sie geflohen, sondern mit erhobenem moralisch-politischen Zeigefinger. Was werden wir sagen, wenn diese Emigranten zurückkehren wollen (viele von ihnen tun das ja bereits)? Wollen wir sie zurückhaben? Wenn ja, warum?
Das eigentliche Thema hier ist die Verfassung der russischen Gesellschaft. Die erste Stufe der Reaktion auf die westlichen Sanktionen war Empörung (bei manchen auch Angst), die zweite Stufe – der Wunsch, sich an den Bastarden zu rächen, indem es uns auch ohne sie gut geht. Und nun gehen wir zur Phase drei der "Traumaverarbeitung" über, der herablassenden Gnade eines Siegers.
Die Tatsache, dass unser Land und unsere Gesellschaft den Sanktionskrieg im Großen und Ganzen gewonnen haben, ist nicht nur für Russland offensichtlich. Noch gibt es hier und da Befürchtungen, dass ein kleines Ersatzteil für ein wichtiges Gerät aus westlicher Produktion eine Menge Ärger und Kosten verursachen könnte, aber das sind Einzelfälle, das Gesamtbild ist bereits klar. Und da dies der Fall ist, wird die Rückkehrwelle aller oder einiger Verlierer – der ausländischen Unternehmen wie unserer Landsleute – früher oder später einsetzen. Es ist nur eine Frage der Zeit.
Vor mehr als einem Jahr schrieb ich, dass es Zufall war, dass ausgerechnet der "Mac" für Russland zum Massensymbol einer neuen globalen Welt wurde, während der Rest westlicher Marken (Burger King ist immer noch in Russland) mit weitaus weniger mystischer Symbolik aufgeladen war und ist. Und so war die erste Reaktion auf den Versuch, uns ausgerechnet dieses Symbols zu berauben, erwartbar und verständlich: Wir werden uns das zurückholen, was ihr uns wegnehmen wolltet, und ihr werdet verbittert sein und euch schämen.
Diese Art menschlicher Reaktion auf den Verlust von Statussymbolen ist in der gesamten Weltgeschichte zu beobachten, aber wir müssen uns nicht zu tief in ihr vergraben. Nehmen wir Donezk nach 2014. Diese Heldenstadt hat die drei McDonald's-Filialen, die es dort vor dem Krieg gab, in "DonMac" umbenannt und dabei die rote Farbe und den gelben Buchstaben "M" beibehalten. Sie versucht, unter unerträglichen Bedingungen, diese und andere Symbole des gewohnten Alltagslebens so gut es geht zu erhalten und zu verteidigen.
Zur Information der extrem wütenden Patrioten, die eine Art Hypermobilisierung unserer Gesellschaft mit der Streichung von Urlauben und anderem früheren Leben wollten: Die Menschen mögen das nicht, sie benötigen keine permanente Aufregung, sondern Normalität – ein Leben "wie früher". Das normale Leben ist es, wofür ein normaler Mensch in den Krieg zieht.
Plötzlich verkünden die Schlagzeilen so etwas wie die Aussicht auf Rückkehr zu früheren Zeiten, wenn auch noch weit entfernt am Horizont. Was wollen wir nun am meisten – dass diejenigen, die uns das Gewohnte vor einem Jahr genommen hatten, verbittert sind und sich schämen? Wollen wir eine Parade Geflüchteter, die mit gesenkten Köpfen durch die Straßen ziehen, westliche Unternehmen in einer Kolonne und unsere Opposition in der nachfolgenden? Oder ist uns das inzwischen gleichgültig?
Der Wunsch nach Normalität ist derzeit besonders spürbar, nicht in Russland, sondern in den westlichen Ländern, die alles geben würden, um den Sanktionskrieg mit China an einem noch erträglichen Punkt zu stabilisieren. Am kommenden Donnerstag soll eine große Delegation der australischen Regierung in Peking eintreffen – nach einer Pause und nach Wellen sinophober Hysterie. Es wird interessant sein, zu beobachten, wie die Normalisierung der Beziehungen in dem Fall ausgestaltet wird. Ebenso interessant und lehrreich wird die Normalisierung zwischen Syrien und dem Rest der arabischen Länder ausfallen.
Was uns angeht, so bleibt uns vorerst nur die Gewissheit, dass etwas Ähnliches auch Russland gegenüber früher oder später unvermeidlich sein wird.
Wird es in unserem Fall noch lange auf sich warten lassen? Ja, natürlich. Unser Föderationsrat hat gerade die Meinung von Grigorij Karassin, einem Senator und erfahrenen Diplomaten, gehört: Die Sanktionen gegen Russland wurden nicht erst 2021, sondern schon viel früher (seit 2008) entwickelt. Man hat nur auf einen Vorwand gewartet, sie einzuführen. Der hybride Weltkrieg wurde von langer Hand vorbereitet und wird nicht in einem Jahr enden. Aber er wird enden, und es ist bereits klar, wie und womit.
Ich gehe das Risiko ein, etwas zu prophezeien: Die russische Gesellschaft wird sich bis dahin so entwickelt haben, dass sie sich nicht mehr um die Rückkehrer schert. Sie wird niemanden mehr bestrafen und beschämen wollen. Die Geflüchteten werden zurückkommen – und es wird uns keine Notiz wert sein.
Übersetzt aus dem Russischen. Der Artikel ist am 5. August 2023 auf ria.ru erschienen.
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