Borrell will Garten Europa ausweiten – Potenzial für weitere neun Putsche nach Art des Euromaidans
Von Maxim Sokolow
Schon beim Eintritt in die jetzige akute Phase des weltweiten politisch Unvorhersehbaren sah die Europäische Union durch die kritische Verschuldung einer ganzen Reihe von Mitgliedsstaaten einschließlich solcher Größen wie Italien etwas alt aus.
Dann die ernst zu nehmenden Widersprüche zwischen Deutschland und Polen, die sich bereits zur Zeit Merkels als Kanzlerin verschärften, ebenso wie die Migrantenkrise und die wachsende Euroskepsis in einer Reihe von Mitgliedsstaaten – sogar einschließlich Deutschlands. Schließlich noch die COVID-19-Pandemie, die zeigte, dass entgegen der Verkündung in der Hymne "Seid umschlungen, Millionen!" jeder für sich allein stirbt: Italiener etwa können über die EU-Solidarität im Jahr 2020 ein ganz anderes, langes Lied singen.
Die heutige militärische Sonderoperation in der Ukraine, die im Februar 2022 begann, verschärft seitdem die Gegensätze und den Unbill innerhalb der EU nur noch weiter. Insbesondere eingedenk des Hangs der neuen Politikergeneration, Brände mit Benzin löschen zu wollen – man nehme nur die rot-grüne Koalition in Berlin.
Wie dem auch sei: Der "blühende Garten", den die EU nach Worten des Hohen Vertreters Josep Borrell darstellt, mag ja blühen und sogar duften – nur beides eben irgendwie nicht ganz zufriedenstellend. Die Frage kommt auf, was man mit diesem Garten weiter anstellen soll, jedenfalls, solange ihn Schadpflanzen nicht endgültig mit ihren Ranken erwürgt haben.
Und so gibt der Hohe Vertreter der EU seine Antwort:
"Es wäre gut, ein politisches Ziel und einen Horizont zu setzen, um dem Prozess einen Anstoß zu versetzen."
Dem Prozess der Erweiterung der Europäischen Union, in dessen Rahmen er zusammen mit dem EU-Ratspräsidenten Charles Michel Zielmarken für das Jahr 2030 vorgab – dann solle die EU um zehn Mitgliedsstaaten angewachsen sein, zusätzlich zu den vorhandenen 27 Ländern. Hinzukommen sollten also Albanien, Bosnien und Herzegowina, Moldawien, Nordmazedonien, Serbien, Montenegro, die Türkei, die Ukraine sowie Armenien und Georgien.
Nur wenige Tage zuvor gab Michel vorausschauend bekannt, dass den neuesten EU-Mitgliedsstaaten verboten werden könnte, eine künftige Mitgliedschaft weiterer Länder im Bündnis zu blockieren. Gut – das ist einerseits logisch: Es mag angehen, dass etwa Bulgarien, Mitglied seit dem Jahr 2007, nicht vom EU-Beitritt Nordmazedoniens begeistert wäre, oder Rumänien vom Beitritt Moldawiens – als ein unabhängiger Staat. Aber andererseits präzisierte der EU-Ratsvorsitzende nicht, was dann "unlängst der EU beigetretene Staaten" eigentlich sind. "Unlängst" – ab welchem Jahr ist das eigentlich, oder auch wie viele Jahre zurück?
Klar, sein Plan sieht vor, dass der "blühende Garten" in Zukunft endgültig zu einer Schlangengrube der Gleichgesinnten werden soll, doch bei dem Blockade-Verbot für Neulinge sollte man dann doch wenigstens einen Zeitrahmen vorgeben. Sonst wird solch ein Verbot willkürlich auslegbar.
Auch dessen ungeachtet wirft die Liste der für das Jahr 2030 vorgemerkten neuen Mitglieder (und die Zeit vergeht schnell – die sieben Jahre zum Tag X werden wir kaum bemerken) reichlich Fragen auf, vor allem wirtschaftliche. Im Jahr 2013, noch vor dem Euromaidan in der Ukraine, las der damalige Präsident des Landes, Viktor Janukowitsch, Brüssels Vorgabenliste, gedacht lediglich für eine erste Assoziation, und begriff, dass die Gnaden der EU ebenso schwer auf dem Land lasten, wie sie schwer zu verdienen sein werden. Teilweise sind die Vorgaben nicht einmal umsetzbar, man nehme etwa die Forderung, das gesamte Eisenbahnnetz des Landes auf die EU-Spurbreite umzustellen. So begann er zurückzurudern, woraufhin dann die sogenannte "Revolution der Würde" eingeleitet wurde.
Aber im Fall des Falles wird es Georgien, Armenien oder Moldawien kaum besser ergehen. So hat Moldawien als den wichtigsten Ausfuhrposten – und damit als seine Wirtschaftsgrundlage überhaupt – den Wein sowie Obst und Gemüse. Was der Landwirtschaft nach EU-Beitritt blüht, darüber können die Bulgaren viel erzählen – viel, nur leider nichts Gutes. Gleiches gilt für die beiden transkaukasischen Republiken. Genau wie im Fall Bulgariens werden ihre traditionellen wirtschaftlichen Hauptzweige kassiert und es wird ihnen obendrein der Zugang zum russischen Markt geraubt – und das wird für sie genauso verhängnisvoll sein wie für Bulgarien. Und was erhalten sie im Tausch dafür? Visafreie EU-Einreise und Spitzenhöschen, wie zuvor schon die Ukraine?
Übrigens wird es die Ukraine dann sogar leichter haben – ein Toter fürchtet den Brand nicht. Auch kann niemand sagen, was von der Ukraine bis zum Jahr 2030 überhaupt bleibt, erst recht nicht Borrell, dessen Amtszeit als Hoher Vertreter schon im Jahr 2024 enden wird: "Nach mir die Sintflut! Oder eben die EU-Integration." Generell ist die soziale und wirtschaftliche Lage in der Ukraine unter Selenskij dermaßen übel, dass es schlimmer kaum noch werden kann. Im Gegensatz dazu liegen Georgien und Moldawien noch nicht am Boden und können folglich noch fallen.
Wie sehr sich derweil die aktuellen EU-Mitgliedsstaaten zum Beispiel die besagten Ukrainer aufbürden wollen – für immer auf ihren Buckel – kann sich ein jeder leicht ausmalen. Die Rezession nimmt Geschwindigkeit auf, die Kaufkraft sinkt, da kommt so etwas ja wie gerufen!
Besonders kühn aber ist der Plan "Blühender Garten 2.0, Revision Borrell-Michel" deshalb, weil er die vorherige Praxis von Integration vollständig verwirft, die zu Zeiten der Römischen Verträge des Jahres 1957 die gewünschten Ergebnisse zeigte: Damals wurde langsam und vorsichtig (wer langsam fährt, kommt weiter!) der gemeinsame Markt harmonisiert – wohlgemerkt, ein gemeinsamer Markt zwischen solchen Partnerstaaten, die sich auch zuvor ohnehin schon im Hinblick auf Geschichte, Kultur, Politik, Recht und Wirtschaft recht nahestanden. Da wirkte das Vermächtnis des Karolingischen Großreiches noch nach; die Vereinigung fand auf intensiver Grundlage statt – und bewährte sich darum als erfolgreich.
Demgegenüber tragen die heutigen Entwürfe ausdrücklich extensiven Charakter: Betrachten wir einfach mal die Staaten, die weder kulturell noch rechtlich noch wirtschaftlich jemals irgendetwas mit dem Alten Europa zu tun hatten. Na, wird schon hinhauen, Alter!
Vielleicht hat das Ganze ja mit der Eifersucht in Brüssel zu tun, die der jüngste BRICS-Gipfel dort bei EU-Beamten auslöste: Immerhin an die 40 Staaten äußerten ihren Beitrittswunsch, große und kleine, reiche und arme, entwickelte und nicht ganz so gut entwickelte. Beitreten durften bisher nur sechs von ihnen. Nun aber die gar zu einfach gestrickte Reaktion in Brüssel darauf:
"Sowas tun die dort in Johannesburg – was popeln wir denn dann noch in der Nase? Weiten wir uns auch aus!"
Nur dass man in Johannesburg davon ausgegangen war, dass Schnelligkeit nur beim Fangen von Flöhen etwas nützt – eine Expansion hingegen große Umsicht erfordert. Demgegenüber stickte man sich in Brüssel anscheinend die Devise "Schwachsinn und Tapferkeit" auf die Fahnen.
Übersetzt aus dem Russischen, zuerst erschienen bei RIA Nowosti.
Maxim Sokolow, Jahrgang 1959, ist ein bekannter russischer Publizist, Schriftsteller und Fernsehmoderator.
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Auf beiden Seiten des Konfliktes sind zahlreiche Soldaten und Zivilisten getötet worden. Moskau und Kiew haben sich gegenseitig verschiedener Kriegsverbrechen beschuldigt. Tausende Ukrainer sind mittlerweile aus ihrer Heimat geflohen.