Meinung

Wie die Propaganda das ukrainische Kanonenfutter in Deutschland rettet

Schon eigenartig, dass deutsche Politiker gleichzeitig betonen, die Ukraine kämpfe auch für die deutsche Freiheit, und gleichzeitig eine Viertelmillion ukrainischer Männer in Deutschland belassen. Und dass nicht einmal die ewigen Forderer in Kiew etwas anderes verlangen.
Wie die Propaganda das ukrainische Kanonenfutter in Deutschland rettetQuelle: Gettyimages.ru © Jens Büttner

Von Dagmar Henn

Wenn man die Bemerkungen deutscher Politiker hört, die so begeistert der Ukraine helfen wollen, scheint irgendetwas zu fehlen. Immerhin, sie haben gerade wieder beschlossen, Leopard 1 und Leopard 2 zu schicken, samt Munition. Und beteuern nach wie vor, sie hülfen der Ukraine, solange es nötig sei.

Und doch fehlt etwas. Die Meldung, dass einer der ukrainischen Soldaten, die zur Ausbildung in den Westen geschickt wurden, über siebzig sei, kam schließlich aus Deutschland. Aus der Ukraine selbst gibt es Dutzende von Videos, die zeigen, wie Männer am Strand, beim Einkauf oder beim Spazierengehen schlicht weggefangen werden; inzwischen gelegentlich auch, wie sie die Menschenfänger verprügeln. Es gibt auch die russischen Aufnahmen von Kriegsgefangenen, die belegen, dass darunter mittlerweile reihenweise Männer über 50 sind.

Die aktuellen statistischen Daten besagen, dass von den 1.081.457 ukrainischen Flüchtlingen in Deutschland 242.370 erwachsene Männer sind, mit einem Durchschnittsalter von 39 Jahren. Das bedeutet, die weit überwiegende Zahl dieser Männer würde in der Ukraine der Mobilisierung unterliegen. Wenn es der Bundesregierung so wichtig ist, das ukrainische Gemetzel am Laufen zu halten, wenn die ukrainische Regierung so dringend Nachschub braucht, um weitere Truppen zu verheizen – warum gibt es keine offizielle Anfrage aus der Ukraine, diese Männer dorthin zurückzubringen?

Rechtlich ist das eine eigenartige Situation. Denn mit den Waffenlieferungen verhält sich die Bundesregierung, als befände sie sich mit der Kiewer Regierung in einem Bündnis; auch mit den Sanktionen; nicht aber im Umgang mit den hier befindlichen Männern wehrfähigen Alters. Das Grundgesetz schreibt zwar vor, dass es möglich sein muss, den Kriegsdienst aus Gewissensgründen zu verweigern, dieses Recht hätten sie also allemal. Aber diese Gewissensgründe müssten immer noch individuell dargelegt werden.

Anders ausgedrückt: Ein Ukrainer, der sich in Deutschland aufhält, könnte, wenn geklärt wäre, wohin er sich zu wenden hat, erklären, dass er aus Gewissensgründen verweigert. Aber sich per Flucht zu entziehen, sieht weder das deutsche noch das Völkerrecht vor. Gesetzt den Fall, Deutschland wäre ein Verbündeter der Ukraine und am Konflikt beteiligt (die Tatsache, um die sich die deutsche Politik herumzumogeln versucht), wäre die Sachlage eigentlich klar. Alle, die nicht aus Gewissensgründen verweigern, müssten eigentlich zurück.

Einen halb neutralen Zustand kennt das Völkerrecht nicht. Wäre Deutschland tatsächlich neutral, müsste geprüft werden, ob nicht zumindest der männliche Teil der ukrainischen Flüchtlinge zu internieren wäre. Das wäre das nach den Genfer Konventionen vorgesehene Verfahren; die Neutralität eines Staates erweist sich dadurch, mögliche Kombattanten dauerhaft dem Konflikt zu entziehen, und zwar bezogen auf alle Konfliktparteien. Die Internierung ergäbe sich deshalb, weil sie ja das Land verlassen und zu Kombattanten werden könnten. Zugegeben, die Genfer Konventionen wirken an manchen Punkten archaisch. Aber Neutralität in einem Konflikt ist nun einmal etwas, das es auch nicht für mau gibt.

Eine deutsche Neutralität kann man aber kaum behaupten; der wirkliche Zustand geht eher in Richtung Verbündeter. Weil eine solche Situation im Grunde nicht vorgesehen ist, gibt es dafür dementsprechend keine Regelungen. Aber man könnte annehmen, dass alle Männer, die nicht als politisch Verfolgte die Ukraine verlassen haben, zurückgeschickt werden müssten.

Gerüchten zufolge soll es im vergangenen Jahr derartige Fälle gegeben haben; das ist allerdings Hörensagen. Wenn nach der aktuellen Statistik fast eine Viertelmillion ukrainischer Männer in Deutschland ist, dann ist kaum anzunehmen, dass davon viele betroffen waren, so diese Information zutrifft.

Theoretisch könnte also eine der sonst so lautstarken Führungsgestalten in Kiew, die stetig neue Waffenlieferungen fordern, diese Forderungen um das fehlende Kanonenfutter erweitern. Wenn inzwischen der Nachschub an Personal so knapp ist wie der an Granaten, wäre das logisch. Aber es geschieht nicht. Warum?

An der überragenden Humanität des Westens kann es nicht liegen. Die Ukrainer, die gerade in der Steppe verbluten, um zum zehnten Mal ein zerstörtes, bedeutungsloses Dorf zu erstürmen, unterscheidet einzig der Aufenthaltsort von jenen Ukrainern, die in Deutschland sind. Und vielleicht noch das Vermögen – schließlich ist selbst diese Fahrt nicht umsonst, und an der ukrainischen Grenze dürften schon früh Schmiergelder erforderlich gewesen sein. Was bedeutet, diejenigen, die in Deutschland sind, sind vermutlich etwas wohlhabender als jene, die in der Ukraine sind. Der Kontostand ist aber keine Rechtskategorie. Und das Schicksal des Kanonenfutters in der Ukraine interessiert in Deutschland auch nicht wirklich.

Das Problem ist eher ein propagandistisches. So widersprüchlich es ist, Männer in Deutschland unterzubringen, die nach den Aussagen deutscher Politiker eigentlich die Freiheit des Westens verteidigen sollen – würde man sie in ihre Heimat zurückschicken, wäre das nicht folgenlos. Denn auch wenn das Regierungshandeln weder in Deutschland noch in der Ukraine nicht einmal ansatzweise etwas mit Mitgefühl zu tun hat, es war der Appell an das Mitgefühl, der genutzt wurde, um die Deutschen dazu zu bekommen, den Krieg der Ukraine zu unterstützen. Die Flüchtlinge von dort waren dafür das willkommene Hilfsmittel; so ähnlich war es bereits mit Bosnien gelaufen, und vermutlich mit Syrien beabsichtigt. Unterschwellig wird zusätzlich an die Sorge appelliert, es könnten noch mehr kommen, wenn die Ukraine verliert.

Würde man jetzt die ukrainischen Männer auch in Deutschland einfangen, um sie ins ukrainische Militär zu stecken, könnte sich die mühsam konstruierte "Solidarität" plötzlich gegen die Betreiber dieser Politik richten. Denn für all jene, die bisher meinen, humanitär zu handeln, indem sie die hier angekommenen Ukrainer unterstützen, würde dieser Krieg plötzlich konkret. Es wären Menschen, die sie kennen. Es bestünde die Gefahr, dass durch diese Konkretisierung die Bereitschaft, die Lieferung von immer mehr Waffen zu unterstützen, in den Willen umschlägt, das Gemetzel zu beenden. Dass die Losung, Verhandlungen seien nur möglich, wenn die Ukraine einschließlich Donbass und Krim wieder unter Kiewer Kontrolle stünde, als die Absurdität erkannt wird, die sie tatsächlich darstellt. Was dann wiederum dazu führen würde, dass eine weitere deutsche Halbbeteiligung an diesem Konflikt nicht länger durchsetzbar sein könnte.

Das Schweigen, das gesichert werden muss, um die Haltung der deutschen Politik zu ermöglichen, umfasst nämlich nicht nur die acht Jahre Krieg im Donbass, die ganze Geschichte rund um die Minsker Vereinbarungen und die Vorbereitungen, die die NATO für diesen Konflikt getroffen hat. Es umfasst von Tag zu Tag mehr auch den realen Zustand an der Front und die Verluste der ukrainischen Armee. Die ganze politische Debatte in Deutschland in ihrem verzerrten Zustand funktioniert nur, wenn die Realität dieses Krieges ausgeblendet bleibt. Sofern die ukrainische Armee nicht irgendwann zusammenbricht, wird dieses Schweigen immer weiter ausgedehnt. Weil die politische Erzählung und die Wirklichkeit schlicht nicht kompatibel sind.

Wäre die Aufrechterhaltung der Propaganda nicht absolut zentral, würde die Bundesregierung keine Minute zögern, die ukrainischen Männer zurückzubefördern. Schließlich ist das ganze Land als Verbrauchsmaterial eingeordnet; Gedanken, ob am Ende noch ein Stein auf dem anderen steht oder mit der durch den Krieg ausgelösten Verschuldung überhaupt noch ein funktionsfähiger Staat möglich ist, macht man sich weder in Berlin noch in Washington. Sicher, ein bisschen Spekulation, noch ein paar Arbeitskräfte mit vernünftiger Qualifikation zu ziehen, ist auch mit dabei. Aber selbst wenn nur das der entscheidende Faktor wäre, würde man sie nicht zu Hunderttausenden verheizen.

Also bleibt die absurde Situation bestehen, und man wird vermutlich auch in Kiew Bescheid gegeben haben, diesen Zustand möglichst nicht anzutasten. Dass das ukrainische Kanonenfutter plötzlich einen Namen und ein Gesicht hat, quer durch Deutschland, würde für die Kriegspolitik höhere Kosten verursachen, als sie bis zur eventuellen Rückkehr in ein ruiniertes Land durchzufüttern. Solange man den Deutschen einreden kann, die einen, die in Deutschland sind, als hilfsbedürftige Opfer zu sehen, die man vor dem Krieg schützen müsse, und die anderen, die in der Ukraine verblieben sind und geopfert werden, bestenfalls als Nummer wahrzunehmen, ist alles gut.

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