Meinung

Sicht aus Indien: Berlin geht es im Krieg gegen Russland um eine Revanche für 1945

Eine Rüstungsfabrik von Rheinmetall in der Westukraine und eine deutsche Brigade in Litauen? Alles auf Anweisung der USA und nur für die NATO und zum Schutz der Ukraine? Ein ehemaliger indischer Diplomat sieht dahinter völlig andere Motive.
Sicht aus Indien: Berlin geht es im Krieg gegen Russland um eine Revanche für 1945Quelle: www.globallookpress.com © Ulf Mauder

Von Dagmar Henn

Nicht überall auf der Welt wird die deutsche Beteiligung am Ukraine-Krieg so unschuldig gesehen, wie sie sich darzustellen versucht. Ein Beispiel dafür lieferte jüngst der ehemalige indische Diplomat M. K. Bhadrakumar, der während seiner diplomatischen Karriere in der Sowjetunion, aber auch unter anderem in Deutschland tätig war. Bhadrakumar betreibt einen eigenen geopolitischen Blog, ist aber auch häufig Autor von indischen und internationalen Veröffentlichungen:

"Die Hypothese, dass der Stellvertreterkrieg in der Ukraine vor allem durch die angelsächsische Achse betrieben wird, ist nur teilweise wahr. Deutschland ist tatsächlich nach den Vereinigten Staaten der zweitgrößte Waffenlieferant der Ukraine."

Er zitiert mehrere deutsche Politiker, den Bundesminister der Verteidigung Boris Pistorius (SPD) ebenso wie den CDU-Verteidigungspolitiker Roderich Kiesewetter, um das deutsche Engagement zu unterstreichen, vermutet die Motive aber eher tief in der Vergangenheit:

"Die deutsche Motivation lässt sich im Grunde auf die vernichtende Niederlage gegen die Rote Armee zurückführen und hat mit der Ukraine selbst wenig zu tun. Die Ukraine-Krise hat den Vorwand geliefert, um Deutschland schneller zu militarisieren. Währenddessen erheben revanchistische Gefühle das Haupt, und es gibt in dieser Hinsicht einen 'überparteilichen Konsens' zwischen den führenden Parteien der Mitte in Deutschland – CDU, SPD und Grünen."

Er beruft sich auf ein Interview, in dem Kiesewetter vorschlug, "Kaliningrad von den russischen Versorgungslinien abzuschneiden". Sein Schluss daraus lautet: "Berlin leidet noch immer unter der Übergabe der alten preußischen Stadt Königsberg im April 1945. (...) Kiesewetters Bemerkungen zeigen offenkundig, dass in Berlin selbst nach acht Jahrzehnten nichts vergeben oder vergessen ist."

Interessant ist seine Bewertung der Pläne von Rheinmetall, in der Ukraine nicht nur eine Fabrik für die Produktion des Schützenpanzers Fuchs, sondern noch weitere Rüstungsbetriebe zu errichten:

"Geht es bei dem allem um Russland? Deutschland muss sich darüber im Klaren sein, dass die Ukraine keinerlei Hoffnung hat, Russland militärisch zu besiegen. Deutschland spielt auf lange Zeit. Es schafft Besitz in der Westukraine, wo nicht Russland, sondern Polen sein Mitbewerber ist."

Die deutschen Ostgebiete hätten einst Polen für den Verlust Wolhyniens und Galiziens an die sowjetische Ukraine entschädigt. Jetzt wirkten in Polen Kräfte, die danach streben, diese beiden Gebiete wieder polnisch zu machen. Ein riskantes Spiel, meint Bhadrakumar: "Eine solche Wendung der Ereignisse wird mit Sicherheit auch die Frage der deutschen Gebiete wieder aufwerfen, die heute Teil Polens sind." Die polnischen Reparationsforderungen an Deutschland könnten gewissermaßen im Vorgriff auf diese Entwicklung erfolgt sein:

"Da ist immer etwas Unberechenbares bei 'eingeschränkten' großen Mächten, wenn eine völlig neue Intensität der politischen, wirtschaftlichen und historischen Umstände auftaucht, die jene, die an der Macht sind, dazu bringt, Ideen zu verwirklichen, und imperialistische Diskurse, die still, aber stetig unter der Oberfläche der sorgfältig abgewogenen diplomatischen Bemühungen flossen, fangen an, eine pan-nationalistische Ausdehnung auszutesten."

Man dürfe die "diabolische Rolle" nicht vergessen, die der damalige Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier dabei gespielt habe, Deutschland an die Seite der Neonazi-Elemente in Kiew zu bringen, ebensowenig wie die Perfidie Merkels bei den Minsker Vereinbarungen.

Der Krieg in der Ukraine sei da nur Mittel zum Zweck. So, wie die Rüstungsfabrik von Rheinmetall sich vor allem um ein Gegengewicht zu den polnischen Ansprüchen bemühe, wäre die deutsche Brigade in Litauen, die der Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius jüngst zugesagt hat, vor allem ein Schritt, um eine Kontrolle über das Baltikum zu erzielen:

"Es hat, historisch gesprochen, bereits Versuche gegeben, im Baltikum eine deutsche Herrschaft zu errichten, beruhend auf revisionistischen Ansprüchen gegen die neuen Staaten Estland, Lettland und Litauen, wo sich bereits im 12. und 13. Jahrhundert deutsche Siedler niederließen."

Die Berliner Regierungspolitik tut gerne so, als spielten die Jahrhunderte deutscher Geschichte im gegenwärtigen Konflikt keine Rolle. Es ist aber ein Irrtum anzunehmen, dass der Rest auf dem Globus diesen Schritt in eine ahistorische Weltsicht nachvollzieht. Nicht nur in Indien dürften Beobachter zu finden sein, bei denen deutsche Bewegungen gen Osten, gleich unter welcher offiziellen Begründung, eine Reihe von Warnleuchten zum Glühen bringen.

Gäbe es eine ernstzunehmende deutsche Außenpolitik, so müsste sie sich, statt nach Gewogenheit der westlichen Medien zu heischen, Gedanken darüber machen, wie das deutsche Handeln auf den globalen Süden wirkt. Bhadrakumar liefert dafür ein exzellentes Beispiel.

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