Meinung

Dem "nutzlosen Europa" droht ein Krieg mit der Ukraine

Der jüngste NATO-Gipfel zeigt, dass die USA nicht vorhaben, die Ukraine zu verteidigen. Vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen und militärischen Schwächung der EU-Länder könnte sich für Washington auch Europa als entbehrlich erweisen. Gleichzeitig könnte in der Ukraine eine verbitterte Armee ohne Perspektiven stehen.
Dem "nutzlosen Europa" droht ein Krieg mit der UkraineQuelle: Gettyimages.ru © NurPhoto

Von Wiktorija Nikiforowa

Der skandalöse NATO-Gipfel hat nicht nur Wladimir Selenskij und seiner Junta Enttäuschung gebracht. Er wurde auch für alle europäischen Allianzmitglieder zu einer Alarmglocke.

Die unnachgiebige Position der USA, die alle Hoffnungen der Ukraine auf eine NATO-Mitgliedschaft praktisch zunichtemachte, erinnerte die Europäer daran, dass Washington sie jederzeit genauso schnell und rücksichtslos fallen lassen kann, wie es jetzt Kiew fallen lässt.

Viele Jahre lang hatte die ehemalige Ukrainische SSR keine Mühen gescheut, um sich den NATO-Standards anzupassen. In den vergangenen anderthalb Jahren zerstörte sie ihre Städte und trieb ihre Männer in den Tod, nur um auf Biegen und Brechen der Allianz beizutreten. Es wurden buchstäblich Ströme von Blut vergossen. Und was ist das Ergebnis?

"Die USA sollten der Ukraine keine Art von Sicherheitsgarantien – und erst jetzt keine NATO-Mitgliedschaft – anbieten, weder jetzt noch nach dem Krieg", so das Urteil US-amerikanischer Militäranalytiker. Schluss, aus und vorbei.

Washington kann man durchaus verstehen. Alle Ziele der USA im russisch-ukrainischen Fall wurden bereits erreicht. Die Verbindungen zwischen Deutschland und Russland sind zerstört, die europäische Wirtschaft liegt in Trümmern, europäische Industrie wandert in die USA aus. Gewinne sind eingefahren, nun kassieren die USA ab. Das Risiko eines Weltkriegs brauchen sie jetzt am wenigsten.

Doch in welchem Zustand bleibt nach dem Ende des Konflikts Europa? Als Hauptpreis wurde ihm die Plünderung der Ruinen Russlands versprochen. Allerdings gibt es keine Ruinen. Wozu verzockten sie also ihre Wirtschaft, entwaffneten sich freiwillig und ließen ihre Armeen ohne Technik, Munition und Waffen? Eine Niederlage in der Ukraine verspricht ihnen Jahrzehnte von Armut, Rebellionen und einen Zusammenbruch in der langfristigen Perspektive.

Und das betrifft nur die Wirtschaft. Auch das militärische Bündnis mit den USA erscheint inzwischen sehr unsicher. Wenn sich die USA unverblümt weigerten, die Ukraine zu beschützen, was hindert sie daran, Europa genauso den Schutz zu verweigern?

Das US-amerikanische Volk befürwortet in seiner Mehrheit den Isolationismus, will alle äußeren Herausforderungen ignorieren und sich auf die Innenpolitik konzentrieren. Alle Hauptkonkurrenten von Joe Biden, sowohl bei den Republikanern als auch bei den Demokraten, versprechen, den Konflikt in der Ukraine zu beenden. Es wird nicht mehr gelingen, der Bevölkerung den Schutz der Demokratie in der Ukraine zu verkaufen. Den US-amerikanischen Wählern wurde klar, dass der Krieg in Europa über den Ozean schwappen kann, und sie wollen überhaupt nicht, dass zu ihnen russische Raketen fliegen.

In dieser Lage beginnen die Europäer, sich sorgfältiger in Artikel 5 der NATO-Satzung einzulesen, und sehen, dass er im Grunde sehr schwammig formuliert ist. Ja, alle Allianzmitglieder verpflichten sich zum Schutz eines angegriffenen Mitglieds, allerdings kann dieser Schutz sehr unterschiedlich ausfallen. Er könnte sich beispielsweise in Form von Waffenlieferungen äußern oder gar in Form diplomatischer Maßnahmen wie Regierungserklärungen mit einer Verurteilung der Aggression.

Bezeichnenderweise war dieser Artikel zum einzigen Mal in der Geschichte zugunsten der USA angewandt worden. Nach dem Terroranschlag vom 11. September begannen die Allianzmitglieder, ihre US-amerikanischen Herren vor der "Aggression" zu schützen. Zugunsten europäischer Staaten wurde diese Regel bisher kein einziges Mal angewandt.

Obwohl die Ukraine der NATO nicht beigetreten hatte, wurde in Bezug auf sie Artikel 5 de facto bereits angewandt – alle Vasallen der USA traten in der einen oder anderen Form für ihren Schutz ein. Doch was hat es der Ukraine gebracht?

Noch zu Zeiten des Kalten Kriegs diskutierte die Öffentlichkeit regelmäßig die Frage, ob die USA "New York für Berlin opfern" würden, sollte es zum Krieg mit der UdSSR kommen. Nun stellt sich diese Frage wieder. In Bezug auf Riga, Vilnius und Tallinn gibt es inzwischen keine Zweifel mehr. Doch auch die Bewohner Berlins haben etwas zu bedenken.

Zuvor hatten die Bewohner des alten Europa noch gewisse Illusionen bezüglich ihrer privilegierten Stellung in der Allianz hegen können. Doch nachdem die USA Jugoslawien zerbombt hatten, sollten die Europäer nicht hoffen, dass man sie in Washington schonen und schützen würde. Die eigenen Armeen unterstellten sie indessen längst der US-Führung und ließen sie zudem in den vergangenen anderthalb Jahren gehörig ausbluten. Europas Verteidigungsfähigkeit erscheint heute sehr problematisch.

"Der europäische Kontinent ist gespalten, seine Militärausgaben reichen nicht aus, um Russland allein aufzuhalten", beschreibt traurig die Sachlage im "nutzlosen Europa" die britische Zeitung The Telegraph.

Natürlich liegt das Problem hier nicht im Aufhalten Russlands. Die Idee, dass Russland die Ukraine in ein Aufmarschgebiet für einen weiteren Angriff auf Europa verwandeln könnte, erscheint "beinahe lächerlich", räumt die US-Zeitung Politico ein.

Gefahr droht Europa von ganz woanders. Denn die USA planen, die Nachkriegsukraine in ein "Stachelschwein" zu verwandeln, sie ohne jegliche Garantien einfach mit Waffen aufpumpen und ihre Kämpfer auszubilden.

Sollten also die Kämpfe zwischen Russland und der Ukraine zu einem Ende kommen, fände sich direkt im Zentrum Europas eine riesige, gut ausgebildete, vorzüglich bewaffnete und sorgfältig aus den USA versorgte Armee mit brauchbarer Kampferfahrung wieder. Nach den Ergebnissen der russischen Militäroperation wäre diese Armee wohl etwas betrübt, gelinde gesagt. Eine Arbeit oder friedliches Leben gäbe es für diese Menschen nicht, denn heute ist die Ukraine ein verwüstetes Land.

Wohin wird also eine Million zorniger ukrainischer Männer gehen, die gesehen hatten, wie ihre Kameraden für die NATO und für Selenskijs Milliarden starben, wie sie von ihren "europäischen Freunden und Partnern" endlos betrogen und verachtet wurden? Im Osten wurden sie in diesem Szenario bereits von den russischen Streitkräften geschlagen. Würden sie also ihren Blick nicht nach Westen richten?

Übersetzt aus dem Russischen und zuerst erschienen bei RIA Nowosti.

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