Meinung

Technik ist nicht alles: Vor 80 Jahren scheiterte die deutsche Offensive am Kursker Bogen

Wenn es eine Lehre aus der größten Panzerschlacht der Weltgeschichte gibt, dann diese: Nicht die technischen Merkmale von Kriegstechnik allein, so innovativ und überwältigend sie auch sein mögen, entscheiden über Kriegsverläufe. Deutsche Panzer töten wieder russische Soldaten und Zivilisten. Aber sie brennen auch genauso wie damals.
Technik ist nicht alles: Vor 80 Jahren scheiterte die deutsche Offensive am Kursker BogenQuelle: Sputnik © Pawel Bednjakow

Von Anton Gentzen

Dieser Tage jähren sich die Kriegsereignisse, die als größte Panzerschlacht der Weltgeschichte gelten und als Schlacht am Kursker Bogen bekannt sind, zum 80. Mal. 

Ihr erster Teil, das Unternehmen Zitadelle, war die letzte deutsche Großoffensive an der Ostfront im Zweiten Weltkrieg. Nach ihrem Scheitern bestand das Handeln der vor Kurzem noch stärksten Armee aller Zeiten nur noch in einem Wechselspiel aus Rückzug und erbitterten Defensiven, die allesamt zu erneutem Rückzug und schließlich bis in die Reichshauptstadt Berlin geführt haben.

Deutschen Plänen, die unter dem Codewort "Zitadelle" zusammengefasst waren, zufolge sollte die deutsche Offensive eine Kriegswende zugunsten des Dritten Reichs bringen. Adolf Hitler sah in der Niederlage der 6. Armee in Stalingrad nur einen Zufall und glaubte, der Roten Armee bei Kursk einen tödlichen Schlag versetzen zu können. Was er nicht ahnte, war, dass Moskau sich nicht nur auf die Abwehr des erwarteten deutschen Angriffs vorbereitet hatte, sondern auch auf eine Gegenoffensive, die ihrerseits der Wehrmacht das Rückgrat brechen würde.

Der offiziellen Geschichtsschreibung zufolge beteiligten sich an der Schlacht bis zu 800.000 Soldaten und 2.500 Panzer auf deutscher und bis zu 1,9 Millionen Soldaten sowie bis zu 5.000 Panzer auf sowjetischer Seite. Russische Vereine, die mit Ausgrabungen an den Schauplätzen der Schlacht befasst sind, weisen jedoch darauf hin, dass sie neben sterblichen Überresten von Wehrmachtsangehörigen bis heute solche italienischer, rumänischer, polnischer und anderer Soldaten auffinden, die auf der Seite der Wehrmacht kämpften und offensichtlich weder in den oben genannten Zahlen noch in den offiziellen Verlustmeldungen erfasst sind. Diese verzeichnen 178.000 Gefallene für die deutsche und 54.000 für die sowjetische Seite.

Dass das quantitative Kräfteverhältnis am und rund um den Kursker Bogen nicht zu deutschen Gunsten ausfiel, war dem Wehrmachtskommando bekannt. Die Hoffnung lag auf der Perfektion der neuen deutschen Technik, die hier zum ersten großen Einsatz kam. Und in der Tat waren die neuen schweren Tiger-Panzer beeindruckend. Die Zehn-Zentimeter-Frontpanzerung und die 88-Millimeter-Kanone, die die zuvor schwer verwundbaren sowjetischen T-34-Panzer wie Erdnüsse knacken konnte (und dies aus einer Entfernung von zwei Kilometern, während die T-34 auf 500 Meter Entfernung an das Ziel heranfahren mussten, um einen Schuss abzugeben), sollten die zahlenmäßige Überzahl der Roten Armee kompensieren und der Wehrmacht einen überragenden Sieg bescheren.

Neu waren auch die Selbstfahrlafetten Ferdinand und der mittlere Panther-Panzer. Sie alle galten als für sowjetische Waffen schwer bis gar nicht verwundbar. Absurd waren die Kalkulationen der deutschen Seite angesichts der geschilderten und weiterer, nicht erwähnter Fähigkeiten der neuen Technik ganz und gar nicht. 

Die deutsche Offensive begann am 5. Juli 1943 am nördlichen Teil des Bogens. Drei Panzerkorps aus Walter Models 9. Armee durchbrachen an mehreren Stellen die erste sowjetische Verteidigungslinie. Schon dieser scheinbar erfolgreiche Vormarsch erwies sich als schwerer und verlustreicher als gedacht: Zahlreiche Panzer wurden auf sowjetischen Minenfeldern außer Gefecht gesetzt. Der Vormarsch konnte nun nicht mehr auf der gesamten Frontlänge erfolgen, sondern konzentrierte sich auf die Stellen, an denen der Durchbruch der ersten Linien gelungen war. Dorthin beorderte Model die Reserven. Ausdruck dessen war der am Morgen des 7. Juli gestartete massierte Angriff des XXXXI. und XXXXVII. Panzerkorps. Mehr als 400 Panzer und vier Infanteriedivisionen stießen entlang der Bahnlinie zwischen Ponyri und Olchowatka vor.

Nun kam die nächste Überraschung: Die vorgedrungenen Panzerkeile sahen sich von allen Seiten von sowjetischer Artillerie umzingelt, die nun nicht mehr erfolglos die starke Frontpanzerung der Tiger und der Panther unter Beschuss nahm, sondern deren leichter verwundbare Seiten- und Heckpartien. Der deutsche Vormarsch kam noch in den ersten Tagen ins Stocken. Schon am 9. Juli musste Model eine Pause zur Umgruppierung befehlen.

Noch eine Taktik wandte die Rote Armee erfolgreich an: Die T-34-Panzer, die zuvor der feindlichen Technik im direkten Duell unterlegen gewesen waren, wurden nicht mehr in die frontale Konfrontation geschickt, sondern agierten aus angelegten Verstecken in die Flanken der vorrückenden deutschen Kolonnen. So konnten die sowjetischen Panzer ihren letzten verbliebenen Vorteil am besten ausspielen: ihre Manövrierfähigkeit. 

Neue Waffen hatte auch die Rote Armee aufzubieten, genauer gesagt die sowjetische Luftwaffe. Statt schwerer Bomben, die nur wirksam waren, wenn sie ihr Ziel exakt trafen, setzten die russischen Bomber kleinere und leichtere Sprengkörper ein, die einem Teppich gleich über den deutschen Kolonnen ausgeschüttet wurden. Bis zu 200 solcher leichter Sprengsätze konnte ein kleines Bomberflugzeug mitführen. Die Trefferquote der sowjetischen Bomberpiloten erhöhte sich damit massiv. Hermann Göring hatte der sowjetischen Luftüberlegenheit in diesem Frontabschnitt erstmals nichts entgegenzusetzen.

Ihren Höhepunkt fand die Schlacht in den Kampfhandlungen um das Dorf Prochorowka. Hier, im Süden des Kursker Bogens, sollten den Planungen zufolge Erich von Mansteins Truppen einen Keil vorantreiben und den geplanten Kessel schließen. Zu ihnen gehörte der stärkste Verband am Kursker Frontbogen, die 4. Panzerarmee unter Generaloberst Hermann Hoth. Ihnen gegenüber standen die Armeen der Woronescher Front unter Leistung von Generaloberst Nikolai Watutin, des späteren Befreiers der ukrainischen Hauptstadt und Opfers ukrainischer Nationalisten, dessen Andenken heute in Kiew mit Füßen getreten wird.

Am Morgen des 5. Juli ließ Manstein die von ihm befehligten Verbände angreifen. Die Offensive war hier erfolgreicher als im Norden des Bogens. Zum einen gelang es Manstein tatsächlich, Stellen in den sowjetischen Verteidigungslinien aufzuspüren, die ohnehin schwächer als im Norden waren. Zum anderen gelang es der deutschen Luftflotte 4 hier der sowjetischen Luftüberlegenheit vorzubeugen. In der Summe dieser und anderer Faktoren konnten die ersten zwei sowjetischen Verteidigungslinien unerwartet schnell durchbrochen werden. Die sowjetische Militärführung sah sich nun genötigt, ihre für die spätere Offensive in Reserve gehaltene 5. Garde-Panzerarmee unter Leitung von Generalleutnant Pawel Rotmistrow in die Schlacht einzuführen.

Am Morgen des 12. Juli begann sie einen heftigen Gegenangriff auf die Stellungen des II. SS-Panzerkorps vor Prochorowka. Die sowjetischen Panzer griffen mit hohem Tempo und aufgesessener Infanterie an, um die höheren Durchschlagsleistungen der deutschen Panzergeschütze zu unterlaufen und in den Nahkampf zu kommen. Unter hohen Verlusten gelang es den sowjetischen Soldaten der II. Panzer-Abteilung der Division Leibstandarte näher zu kommen und sie in Kampfhandlungen zu verwickeln. Hier kam es zu besonders heldenhaften Duellen, bei denen sowjetische Panzerfahrer in bereits brennenden T-34-Panzern die deutschen Tiger rammten und mit ihnen zusammen in einer Explosion aufgingen. 

Am Mittag des 12. Juli brach Rotmistrow den Angriff angesichts der hohen Verluste ab und ging zur Verteidigung über. Die 5. Garde-Panzerarmee hatte bis zum 16. Juli mehr als 200 Panzer verloren und beklagte 3.500 Gefallene. Mit vereinten Kräften waren die sowjetischen Verbände jedoch in der Lage, die tiefen Verteidigungslinien zu halten. Die Elitetruppen der SS waren offenbar – wenn auch um einen sehr hohen Preis der sowjetischen Verteidiger – so weit angeschlagen, dass sie eine weitere Offensive nicht mehr bewältigen konnten. Den sowjetischen Verteidigern zu Hilfe kamen zwei Offensiven der Roten Armee im Donbass, mit denen die Heranführung deutscher Reserven von Süden her nach Belgorod verhindert werden konnte.

Parallel dazu lief im Norden des Kursker Bogens unter dem Codenamen Kutusow eine sowjetische Gegenoffensive an, an der mit der Zentral-, der West- und der Brjansker Front gleich drei sowjetische Armeegruppen beteiligt waren. Hier gelang es der Zentralfront schon am 15. Juli die deutschen Truppen auf die Ausgangsstellungen vor Beginn des Unternehmens Zitadelle zurückzudrängen und am 19. Juli gab Moskau den Startschuss für den strategischen Teil der Großoffensive, als alle Reserven zum Angriff übergingen. Am Morgen des 5. August konnte die Rote Armee mit der Befreiung der Stadt Orjol einen psychologisch wichtigen Sieg erringen.

Im Süden startete die sowjetische Offensive am 3. August. Sie wurde von der Woronescher und der Steppenfront ausgeführt, die später den Namen 1. und 2. Ukrainische Front erhielten. Schon am 5. August konnte Belgorod befreit werden, am 23. August die Großstadt Charkow, dieses Mal endgültig (Charkow wechselte im Verlauf des Krieges mehrfach zwischen sowjetischer und deutscher Kontrolle).

Wenn es eine Lehre aus der größten Panzerschlacht der Weltgeschichte gibt, dann diese: Nicht die technischen Merkmale von Kriegstechnik allein, so innovativ und überwältigend sie auch sein mögen, entscheiden über Kriegsverläufe. Weil Deutschland nichts, aber auch gar nichts aus seiner Geschichte gelernt hat, töten deutsche Panzer heute wieder russische Soldaten und russische und ukrainische Zivilisten an denselben Orten wie vor 80 Jahren. Aber sie brennen auch genauso gut wie damals.

Im Ergebnis mehrerer sowjetischer Offensiven konnten die deutschen Truppen im Spätsommer und im Herbst 1943 aus fast allen Teilen Russlands und großen Teilen der Ostukraine vertrieben werden. Mit großen Anstrengungen, noch größerem Heldentum und unglaublicher Selbstaufopferung gelang es der Roten Armee, die strategische Initiative endgültig in ihren Händen zu monopolisieren und die Fähigkeit der Wehrmacht zu strategischen Offensiven zu zerstören. Von nun an ging es nur noch in Richtung Westen, und die Sowjetunion bestimmte dabei das Tempo im Wesentlichen allein. Bis zum endgültigen Sieg blieben noch rund eineinhalb Jahre. 

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