Meinung

"Gierflation": Endlich wird der wahre Grund für die steigenden Preise genannt

Ursprünglich als Verschwörungstheorie abgetan, wird der Begriff "Gierflation" mittlerweile auch von Mainstream-Ökonomen akzeptiert. Und jetzt, nachdem man das Problem nun endlich benennen darf, wäre es an der Zeit, Lösungen zu diskutieren.
"Gierflation": Endlich wird der wahre Grund für die steigenden Preise genanntQuelle: AFP © Timothy A. Clary

Von Bradley Blankenship

In den vergangenen Jahren, die mit dem Beginn der COVID-19-Pandemie und den daraus resultierenden wirtschaftlichen Nachbeben zusammenfielen, wurde ein Großteil der Welt von Inflation heimgesucht. Ökonomen und Kommentatoren gleichermaßen sind in die Gosse abgestiegen, beim Versuch herauszufinden, wodurch genau dieses Phänomen verursacht wird, das zu einem Rückgang der Reallöhne für den durchschnittlichen arbeitenden Menschen geführt hat.

Eine der Theorien der Befürworter für stärkere Schranken gegen die Profitgier lautet, dass die Unternehmensgewinne seit der Pandemie in die Höhe geschossen sind und dass der Staat hier eingreifen sollte. Viele Mainstream-Ökonomen und Kommentatoren haben dies jedoch als unbelegte Verschwörungstheorie abgetan.

Im Dezember 2021 plädierte Isabella Weber, Assistenzprofessorin für Wirtschaftswissenschaften an der University of Massachusetts Amherst, in einer Kolumne im britischen The Guardian, für "strategische Kontrollen der Konsumentenpreise", die jenen ähneln, die von der US-Regierung während des Zweiten Weltkriegs eingeführt wurden. Sie machte "große Konzerne mit Marktmacht" für die zunehmende Inflation verantwortlich, die "Versorgungsprobleme als Gelegenheit genutzt haben, um ihre Preise zu erhöhen und dabei unerwartete Gewinne einzustreichen".

Die Finanzkonservativen bei Fox News, Commentary und National Review nannten ihre Idee "pervers", "grundsätzlich unvernünftig" und "in jedem Fall falsch", während Nobelpreisträger Paul Krugman nachträglich einen Tweet wieder löschte, in dem er Weber als "wahrlich dumm" bezeichnete. Faktenprüfer der Associated Press und des Ausschusses für Wege und Mittel des US-Repräsentantenhauses haben die Behauptungen von Isabella Weber "richtiggestellt" ebenso wie eine Reihe konservativer Denkfabriken wie das Mises Institut.

Doch die Vorstellung, dass Unternehmensgewinne die Preise in die Höhe treiben – was von vielen Leuten bemerkt wurde – ist offenbar in der Demokratischen Partei und sogar im Weißen Haus beliebt. Catherine Rampell von der Washington Post veröffentlichte vergangenen Monat eine Kolumne mit dem Titel "Eine Verschwörungstheorie zur Inflation infiziert die Demokratische Partei" und bezog sich dabei auf den Begriff der "Gierflation" oder das, was Weber als "Verkäuferinflation" bezeichnet. Tatsächlich hat das Weiße Haus Monopole als großes Risiko für Lieferketten genannt, und ein wichtiger Vertreter der Demokratischen Partei, der ehemalige Arbeitsminister Robert Reich, hat immer wieder argumentiert: "Das ist Gierflation, ihr Dämlichen." Zudem sind einige Dinge passiert, die den Ausschlag für Webers Argument geben.

Zunächst einmal ist es erwähnenswert und wohlbekannt, dass ein außer Kontrolle geratenes Lohnwachstum – hervorgerufen dadurch, dass die Arbeitnehmer seit der COVID-19-Pandemie in eine günstigere Verhandlungsposition gelangt sind – eine der Hauptursachen für Inflation ist. Gleichzeitig wissen wir, dass die Reallöhne gesunken sind und, wie ich bereits im Februar 2022 festgestellt habe, "das eigentliche Problem nicht ein angebotsseitiges Problem auf dem Arbeitsmarkt ist, sondern dass die Unternehmen ihre Preise aus dem einfachen Grund erhöhen, weil sie es können".

Im vergangenen Januar sagte die frühere stellvertretende Vorsitzende der Federal Reserve, Lael Brainard, in einer Rede, dass die Löhne nicht der Haupttreiber der Inflation seien, und wies auf eine "Preis-Preis-Spirale" hin, bei der die Unternehmen ihre Preise um einen Faktor höher anheben als die eigentliche Höhe der gestiegenen Produktionskosten. Zwei Monate später veröffentlichte der Chefökonom von UBS Global Wealth Management, Paul Donovan, ein einflussreiches Memo zum Thema "durch die Gewinnspanne bedingte Inflation", in dem er beschrieb, wie die Unternehmen Ende 2022 und im Laufe dieses Jahres die Verbraucher davon überzeugen konnten, dass man die Preise zwingend erhöhen müsse, obwohl das eigentlich nicht nötig gewesen wäre.

Der vielleicht auffälligste Punkt ist schließlich, dass der Internationale Währungsfonds (IWF) vergangene Woche in einem Bericht feststellte, dass "steigende Unternehmensgewinne in den vergangenen zwei Jahren den größten Beitrag zur Inflation in Europa geleistet haben, da die Unternehmen ihre Preise um mehr als die sprunghaft angestiegenen Kosten für importierte Energie erhöht haben".

Es scheint somit, dass die als Verschwörungstheorie gebrandmarkten Argumente von Isabella Weber und anderen, wonach Unternehmensgewinne die Inflation antreiben, sich vollständig bestätigt haben – zumindest in der EU, aber vielleicht nicht in den USA, wo viele der Kritiker herkommen.

Kann man jedoch die gleichen wirtschaftlichen Bedingungen wie die Monopolisierung und die stagnierenden Reallöhne in der EU auch auf die USA übertragen? Ich denke schon. Und ich denke auch, dass die Auswirkungen der Pandemie zusammen mit dem Konflikt in der Ukraine den US-Unternehmen ein rationaleres Argument dafür liefern würde, dass Preiserhöhungen notwendig sind. Aber anscheinend tun sie es nicht.

Tatsächlich tragen die relativen strategischen Vorteile der USA gegenüber der EU – Energieunabhängigkeit, höheres Technologieniveau, gut ausgebildete Arbeitskräfte und andere Faktoren – dazu bei, dass US-Unternehmen eindeutig in einer besseren Position sind. Auch die Zukunftsaussichten der US-Wirtschaft sind im Vergleich zu denen der EU viel besser, da letztere in ihre Deindustrialisierung blickt, während gleichzeitig das aktuelle wirtschaftliche Entwicklungsmodell infrage gestellt wird. Ich denke, man kann mit gutem Gewissen behaupten, dass die Bedingungen für eine Gewinnmargen gesteuerte Inflation in noch stärkerem Maße in den USA gegeben sind als in der EU.

Und jetzt, nachdem man das Problem nun endlich benennen kann, ist es an der Zeit, Lösungen zu diskutieren: Strategische Preiskontrollen, wie es Isabella Weber vorschlug oder Anpassungen im Arbeitsrecht, wie Robert Reich argumentiert. Beide Argumente beziehen sich als Inspiration auf die Geschichte, den Zweiten Weltkrieg und auf die Ära des New Deal der 1930er Jahre von Franklin D. Roosevelt. 

Aber wir sollten uns besser an das alte Goldene Zeitalter und sein Ende an der Wende zum 20. Jahrhundert erinnern, um uns für die Verabschiedung neuer Anti-Monopol-Gesetze inspirieren zu lassen, um diese großen Kartelle überhaupt erst ihrer Preismacht zu berauben. Ansonsten wird Inflation zu einem kontinuierlichen systemischen Risiko.

Aus dem Englischen.

Bradley Blankenship ist ein in Prag lebender amerikanischer Journalist, Kolumnist und politischer Kommentator. Er hat eine Kolumne bei CGTN und ist freiberuflicher Reporter für internationale Nachrichtenagenturen, darunter die Nachrichtenagentur Xinhua. Er twittert auf @BradBlank_.

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