Meinung

Die "Letzte Generation": Eine kriminelle Vereinigung?

Die Razzien bei Mitgliedern der "Letzten Generation" führten zu kontroversen Diskussionen. Da damit der Vorwurf, eine kriminelle Vereinigung gegründet zu haben, einherging, war das Geschrei groß – auf beiden Seiten.
Die "Letzte Generation": Eine kriminelle Vereinigung?Quelle: AFP © John MacDougall

Von Tom J. Wellbrock

Beginnen wir mit einer kleinen Aufzählung eines Kommentators, der sich auf die Seite der "Letzten Generation" stellt, ohne jedoch eine Position zu den Aktionen der Leute einzunehmen (was durchaus ratsam wäre, um nicht selbst dafür zu sorgen, befangen zu sein). Seine Aufzählung ist die Reaktion auf die Ausführungen eines anderen Kommentators.

Vorverurteilung der "Letzten Generation"?

Folgende Punkte zweier Kommentatoren sollen Bestandteil dieses Textes sein:

"Wer sich über Spendengelder aus dem Ausland finanziert, um damit gezielt Straftaten begehen zu können, fällt nun mal bei dieser Art Organisation unter 'kriminelle Vereinigung'. 1,3 Millionen beschlagnahmte 'Spenden' sprechen Bände."

Auf diesen Kommentar antwortete ein anderer Kommentator wie folgt:

"1. Das [also, ob eine Straftat vorliegt, der Autor] muss ein Gericht entscheiden. Aktuell besteht nur der Anfangsverdacht. Die bayerischen Ämter machen sich mit dieser vorverurteilenden Kommunikation eventuell sogar selbst strafbar.

2. Was hat denn die Herkunft der Spendengelder – es geht im Übrigen vornehmlich um die US-Organisation 'Climate Emergency Fund' – mit der Einordnung als 'kriminelle Vereinigung' zu tun? Sollte es nicht eher um die Taten an sich gehen?

3. § 129 ist ein ganz dubioser Paragraf, der in einer aufgeklärten Gesellschaft nichts zu suchen haben sollte. Wird im Übrigen auch im Antifa-Ost-Verfahren und gegen die Leute vom 'Roten Aufbau' missbraucht. Jede nicht genehme Organisation muss dadurch fürchten, dass sie nicht aufgrund der tatsächlichen Handlungen, sondern aufgrund der Art und Weise der Organisation verboten wird. Das ist schon totalitär."

Im Folgenden soll auf die Kommentare eingegangen und das eine oder andere ein wenig "entwirrt" werden. Doch zunächst soll hier der "§129, Bildung krimineller Vereinigungen" zitiert werden:

"§ 129, Bildung krimineller Vereinigungen

(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer eine Vereinigung gründet oder sich an einer Vereinigung als Mitglied beteiligt, deren Zweck oder Tätigkeit auf die Begehung von Straftaten gerichtet ist, die im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren bedroht sind.

(2) Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer eine solche Vereinigung unterstützt oder für sie um Mitglieder oder Unterstützer wirbt."

Der Fehler der Generalstaatsanwaltschaft München

Ob mit der Einordnung der "Letzten Generation" tatsächlich eine Vorverurteilung stattgefunden hat, soll gleich geklärt werden. Zunächst aber gilt es, einen Fehler der Münchener Generalstaatsanwaltschaft zu benennen.

Das Landeskriminalamt Bayern hatte die Homepage der "Letzten Generation" gekapert und folgenden Hinweis online geschaltet: 

Das war insofern nicht korrekt, als nur ein Anfangsverdacht bestand, der Tatbestand der kriminellen Vereinigung aber noch nicht erwiesen war. Die Behörden räumten das ja auch ein. Die Debatten drehten sich allerdings weniger um diesen formellen Fehler, sondern um die Idee an sich, die "Letzte Generation" als kriminelle Vereinigung einzustufen. Völlig unverhältnismäßig sei das, sagen sowohl aktive oder passive Sympathisanten als auch neutrale Beobachter, die kriminelle Vereinigungen ganz woanders wittern.

Warum also wurde dieses Mittel – ob nun als Tatsachenbehauptung oder Anfangsverdacht – überhaupt angewendet?

Die "Letzte Generation" – Wie ein Sack Flöhe

Das offenkundige Problem der Behörden im Allgemeinen und der Polizei im Besonderen sind die vielfältigen Aktionen der "Letzten Generation". Wie ein Sack Flöhe starten sie ihre Aktivitäten, und für die Polizei ist es schwierig, dieser Form der "Guerilla-Kleberei" Herr zu werden. Hinzu kommt, dass die Aktionen der Aktivisten teils harmloser, teils aber auch schwerwiegender Natur sind, was dann wiederum auch Ermessenssache des jeweiligen Richters ist.

Die Einordnung als kriminelle Vereinigung bietet hier aus polizeilicher Sicht einen Ausweg. Denn wenn innerhalb dieser Vereinigung auch nur ein Mitglied eine Straftat begeht, die ein höheres Strafmaß als zwei Jahre zur Folge hat (weniger als zwei Jahre Haft reichen ohnehin nicht aus, wie oben im Gesetz nachzulesen ist), werden alle anderen Mitglieder sozusagen in "Kollektivhaft" genommen. Wurde eine Gruppe also als kriminelle Vereinigung identifiziert, ist die Strafverfolgung deutlich einfacher, weil das Vergehen der Mitgliedschaft einer kriminellen Vereinigung ja per se bereits besteht.

Letztlich muss man das Mittel der Einordnung als kriminelle Vereinigung aber auch als erhebliches Druckmittel bezeichnen. Die im konkreten Fall durchgeführten Razzien waren zwar rechtlich in Ordnung – auch bei Vorliegen lediglich eines Anfangsverdachts –, ob sie allerdings angemessen und verhältnismäßig waren, steht auf einem ganz anderen Blatt. Hier kann man wirklich argumentieren, dass es unverhältnismäßig ist, junge Menschen in voller Polizeimontur in ihren Wohnungen zu überfallen, um alles auf den Kopf zu stellen.

Kriminell oder nicht?

Trotzdem steht weiterhin die Frage im Raum, ob und wie kriminell die Aktionen der "Letzten Generation" sind. Straftaten finden ja nun statt, dem wird kaum jemand widersprechen wollen, zudem werden diese von mehr als zwei Personen verabredet. Das Strafmaß ist jedoch die große Frage. Während der eine Richter das Festkleben auf einer Hauptstraße eher weniger streng beurteilt, mag ein anderer – beispielsweise, wenn Menschen geschädigt werden, weil ein Rettungsfahrzeug nicht zu seinem Einsatzort kommt – die Sache als wirklich ernst betrachten und entsprechend urteilen.

Wenn die Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung vorliegt, ist allein diese Tatsache an bis zu fünf Jahren Freiheitsentzug geknüpft, was – so die Vermutung – einen abschreckenden Charakter haben soll. Doch tatsächlich ist es noch ein wenig komplizierter.

Bandenbildung?

Zitat:

"(2) Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer eine solche Vereinigung unterstützt oder für sie um Mitglieder oder Unterstützer wirbt."

Darauf hatte der oben genannte erste Kommentator hingewiesen und den Zusammenhang mit illegalen Parteispenden angeführt. Unter seinem zweiten Punkt hatte der andere Kommentator darauf erwidert, dass das keinen Sinn ergebe, schließlich gehe es doch um die Taten an sich, und der US-amerikanische "Climate Emergency Fund" begehe keine solchen. Das ist jedoch so, wie wir nachlesen können, nicht unbedingt korrekt. Denn wenn die Titulierung als kriminelle Vereinigung erfolgt ist, machen sich die Geldgeber der Unterstützung dieser Vereinigung schuldig.

Unter Umständen kommt neben der illegalen Unterstützung einer kriminellen Vereinigung auch Bandenbildung in Betracht, doch das soll hier nicht vertieft werden.

Fazit

Ganz ohne Zweifel gibt es kriminelle Vereinigungen, die deutlich schlimmer sind als die "Letzte Generation", und die meisten von ihnen werden nicht mal als solche eingeordnet, sondern genießen womöglich sogar gesellschaftliche und mediale Anerkennung.

Andererseits agiert die "Letzte Generation" mehr als grenzwertig, sie zieht Menschen in Mitleidenschaft, die für die Nichterfüllung ihrer Forderungen nicht verantwortlich sind und ihrerseits in schwierige Situationen geraten können. In der Summe ergibt sich daraus ein ernsthaftes Problem, denn an jeder durch die "Letzte Generation" herbeigeführten folgenden Problemstellung sind womöglich weitere Konsequenzen geknüpft, die die "Letzte Generation" weder einschätzen noch beeinflussen kann.

Und last but not least: Die Mitglieder der "Letzten Generation" sind die willfährigen Helfer einer Machtpolitik, die auf Moralismus und Ideologie beruht. Sie fühlen sich als Kämpfer für eine gute Sache und helfen doch nur dabei, eine Gesinnungsethik zu unterstützen, die sich weigert, die Folgen ihrer Taten zu bedenken.

Für mein Gefühl ist die kriminelle Vereinigung die machthabende Politik, die vollständig an den Interessen und vor allem an den Bedürfnissen der Bevölkerung vorbei agiert. Sie tut das nicht nur mit dem komplett fehlenden Blick für die Konsequenzen ihrer Politik, sondern setzt sie darüber hinaus mit einer Skrupellosigkeit durch, die man nicht anders als kriminell bezeichnen kann.

Inzwischen gibt es kaum noch Lebensbereiche, von denen nicht behauptet wird, sie müssten wegen des Klimaschutzes transformiert werden, komme, was wolle. Die teils authentische und teils zur Schau getragene Todesangst der "Letzten Generation" ist für die Politik ein wahrer Segen, denn so können die beteiligten Akteure ihre Machtinteressen durchsetzen und dabei noch das Mützchen der Weltretter aufsetzen.

Während die Hilflosigkeit, mit den Kreationen ihrer eigenen Propaganda klarzukommen, bei Staat, Behörden und Polizei inzwischen durch mehr oder weniger wahre oder auch konstruierte kriminelle Vereinigungen zum Ausdruck kommt, gibt es keine Instanz, die die gefährlichste kriminelle Vereinigung, die wir zurzeit haben, eindämmen könnte.

Dabei wäre das existenziell wichtig.

Nachtrag: Die Grundlage dieses Artikels war das Gespräch mit einem erfahrenen Rechtsanwalt. Ich selbst bin kein Jurist und bitte mögliche Fehler zu entschuldigen.

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Tom J. Wellbrock ist Journalist, Sprecher, Texter, Podcaster, Moderator und Mitherausgeber des Blogs neulandrebellen.

 

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