Meinung

Warum EU-Sanktionen gegen Russlands Atomindustrie nur scheitern können

Die mögliche Einführung von Sanktionen gegen die russische Atomindustrie seitens der EU scheint angesichts der führenden Position Russlands im globalen Urangeschäft kaum erfolgversprechend zu sein. Entsprechende Strafmaßnahmen können vor allem für die EU selbst, deren Energieversorgung zu 20 Prozent durch Atomkraftwerke gewährleistet wird, höchst negative Folgen haben.
Warum EU-Sanktionen gegen Russlands Atomindustrie nur scheitern könnenQuelle: www.globallookpress.com © K. Thomas/blickwinkel

Von Alexander Männer

In Anbetracht der unzähligen Wirtschafts- und Handelsbeschränkungen gegen Russlands Öl- und Gasindustrie ist der russische Atomsektor bis heute von Sanktionen verschont geblieben. Nun wollen vor allem Polen, die baltischen EU-Mitglieder Litauen, Lettland und Estland sowie die Ukraine auch diesen Energiebereich sanktionieren. Sie fordern unter anderem Beschränkungen für die in Russland hergestellten und im globalen Urangeschäft sehr gefragten Brennelemente für Kernkraftwerke.

Auch Deutschlands Wirtschaftsminister Robert Habeck drängt auf ein Vorgehen gegen die russische Atomindustrie. Laut Angaben des Spiegels sprach sich Habeck nach seinem Besuch in Kiew in der vergangenen Woche für Strafmaßnahmen für diejenigen Länder aus, die trotz des Krieges in der Ukraine und der antirussischen Sanktionen weiterhin Uran aus Russland importieren würden. Bei den Beratungen mit dem ukrainischen Energieminister wurde unter anderem "die Lieferung von Uran für Atombrennstäbe nach Europa aus Russland" thematisiert, heißt es.

Europas Abhängigkeit von Rosatom

Dabei scheint Habeck zu vergessen, dass Europa fast seinen gesamten Uranbedarf importieren muss und dass die russische Atomindustrie eine zentrale Rolle bei der Energieversorgung der EU spielt. Denn die Kernkraftwerke mehrerer EU-Mitglieder hängen vom angereicherten Uran und anderen Nuklearmaterialien ab, die man von dem russischen Konzern "Rosatom" bezieht. Angaben der Europäischen Atomgemeinschaft Euratom zufolge importiert die EU, die mit 110 Atomreaktoren etwa über ein Viertel aller weltweit vorhandenen Reaktoren verfügt, mehr als 20 Prozent ihres Uranbedarfs aus Russland. Etwa 20 Prozent kommen aus Kasachstan, wo ebenfalls Rosatom den Abbau und die Aufbereitung des Urans betreibt.

Ein Grund für die Nutzung des russischen Urans ist die Tatsache, dass die meisten Atomanlagen in Osteuropa von der Sowjetunion gebaut wurden und deshalb ausschließlich auf Brennelemente russischer Bauart sowie auf technische Dienstleistungen aus Russland angewiesen sind. Allerdings setzt auch Frankreich, dessen Energiehaushalt sich größtenteils auf die Atomkraft stützt, auf angereichertes Uran aus Russland und will seine Partnerschaft mit Rosatom offenbar deshalb auf keinen Fall aufgeben.

In diesem Zusammenhang hatte Michail Kowaltschuk, Präsident des renommierten russischen "Kurtschatow-Instituts", zuvor unter anderem erklärt, dass der "Westen" nicht in der Lage sei, eine eigene Anreicherung von Uran durchzuführen, da man dort nicht über die dafür benötigten Anlagen und Fachkräfte verfüge.

Die New York Times hat diesbezüglich festgestellt, dass es für die EU – ungeachtet des bestehenden Sanktionsregimes gegen Russland – einfacher sein sollte, einen Ersatz für russisches Öl und Gas zu finden, als die Abhängigkeit von Rosatom zu überwinden. "Die weltweite Abkehr von der russischen Atomindustrie würde ein schwerer Schlag sein. Die Lieferkette im Atombereich ist extrem komplex. Die Errichtung einer neuen (Lieferkette – Anm. d. Red.) wäre teuer und würde Jahre dauern", heißt es.

Insofern können die besagten Sanktionen insbesondere für die Energieversorgung der EU katastrophale Folgen haben. Im schlimmsten Fall, so warnen Experten, hätte man eine weitere Verschärfung der Energiekrise, die schon zu einem Anstieg der Energie- und Verbraucherpreise, der Inflation und in deren Folge auch zum Kapitalabfluss aus der Eurozone geführt hat.

Die Risiken, die von Strafmaßnahmen gegen den russischen Atomsektor ausgehen, haben Frankreich, Ungarn und Bulgarien erkannt. Angesichts ihrer Abhängigkeit von Russland lehnen sie die Sanktionen gegen Rosatom ab und haben so bereits den ersten Anlauf für die Durchsetzung entsprechender EU-Maßnahmen im Februar blockiert.

Russland ist weltweit führend bei Atomkraft

Die Russen indes zeigen sich im Hinblick auf weitere Sanktionen seitens der Europäer kampfbereit, wenngleich sie im Atomsektor deutlich besser gegen Beschränkungen gewappnet sind als etwa im Erdölbereich, in dem der kollektive Westen bislang übrigens auf keine nennenswerten "Erfolge" seiner Sanktionspolitik verweisen kann.

Wie schon angedeutet, besitzt Russland mit dem Giganten Rosatom, der rund 300 Unternehmen umfassen und mehr als 250.000 Angestellte beschäftigen soll, einen der weltweit führenden Akteure bei dem Geschäft mit der zivilen Nutzung der Kernenergie. Rosatom deckt heute mehr als ein Drittel des weltweiten Bedarfs an angereichertem Uran, wobei dieser Staatskonzern nicht nur in Russland Uran abbaut, sondern auch in die Uranförderung zahlreicher Bergbaugesellschaften in der ganzen Welt involviert ist. Außerhalb von Russland soll Rosatom insgesamt an fünf Minen in den USA, vier Minen in Kasachstan, drei Minen in Kanada sowie an Projekten in Tansania und Mosambik beteiligt sein.

Laut einer aktuellen Analyse des Österreichischen Umweltbundesamtes realisiert Rosatom etwa 15 Prozent der globalen Urangewinnung und gilt als der zweitgrößte Uranproduzent der Welt. Demnach verdienen die Russen jährlich Milliarden US-Dollar mit dem Export von Uran und Uranprodukten, Brennelementen sowie Dienstleistungen im Bereich Betrieb, Bau und Modernisierung von Atomkraftwerken.

Um nochmal den Bezug zur EU zu verdeutlichen: Der Studie zufolge exportiert Rosatom etwa 90 Prozent seiner Uranproduktion in die Europäische Staatengemeinschaft und deckt rund 26 Prozent ihrer Urananreicherungsdienstleistungen ab. Fast die Hälfte der exportierten angereicherten Uranprodukte gehen dabei unter anderem nach Deutschland, Frankreich, Spanien, Belgien, Schweden, Finnland, die Schweiz und Tschechien. Wobei Tschechien, wie auch Ungarn, Bulgarien und die Slowakei, zu 100 Prozent von russischen Kernelementen abhängen soll.

Nicht zu vergessen sind die Exporte in die Vereinigten Staaten, Kanada und Mexiko, die mehr als ein Drittel der russischen Gesamtausfuhren ausmachen. Diesbezüglich ist zu betonen, dass auch die USA bei der Urananreicherung hauptsächlich von der Zusammenarbeit mit Russland abhängen, da sie gegenwärtig keine Anlagen zur Anreicherung von Uran besitzen. Deshalb verwundert es kaum, dass Washington bislang vermieden hatte, russisches Uran in die Sanktionsliste aufzunehmen.

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