Der chinesische Widerhaken verfängt sich in Bidens zweitem "Gipfel für Demokratie"
Von Joydeep Sen Gupta
Die USA waren vorletzte Woche gemeinsam mit den Regierungen von Costa Rica, den Niederlanden, Südkorea und Sambia Gastgeber des zweiten "Gipfels für Demokratie". Die zweitägige Veranstaltung war eine Zusammenkunft führender Persönlichkeiten aus aller Welt in einem virtuellen Plenarformat, an der Vertreter von Regierungen, der Zivilgesellschaft und des Privatsektors teilnahmen. Die alle zwei Jahre stattfindende Übung zielt angeblich darauf ab, die Demokratie zu stärken, sich gegen Autoritarismus zu verteidigen, Korruption zu bekämpfen und die Achtung der Menschenrechte durch die Zivilgesellschaft zu fördern.
US-Präsident Joe Biden formulierte als Ziel der Veranstaltung in seiner Eröffnungsrede in Washington, "nicht nur edle Worte zu äußern und kritische Themen ins Rampenlicht zu rücken, sondern Maßnahmen anzuregen, die zu konkreten Fortschritten für die Menschen in der Welt führen".
Die amerikanische Vision der Demokratie
Präsident Biden erinnerte das Publikum daran, dass die Demokratie "funktioniere", obwohl sie ihren Niedergang in den vergangenen 15 Jahren akzeptiert habe. Unbeeindruckt vom Gegenwind dieser demokratischen Rezession führte er drei Beispiele an, um seinen Standpunkt deutlich zu machen.
Beispielsweise habe die ölreiche südafrikanische Nation Angola eine unabhängige Justiz aufgebaut, die das Funktionieren der Rechtsstaatlichkeit beschleunigt. Die Dominikanische Republik, eine karibische Nation, habe ihrem Gesetz gegen die Korruption mehr Nachdruck verliehen. In ähnlicher Weise erhöhe das Balkanland Kroatien laut dem US-Präsidenten "im Eilschritt" die Transparenz bei der Regierungsführung.
Er hob "das tapfere ukrainische Volk bei der Verteidigung seiner Demokratie" gegen Russland hervor und versprach 690 Millionen US-Dollar – zusätzlich zu den 400 Millionen US-Dollar, die im Dezember 2021, bei der ersten Ausgabe des Gipfels, zugesagt wurden –, um die Demokratie bis zum nächsten Gipfel in zwei Jahren weltweit zu fördern. Insgesamt haben die USA unter dem Deckmantel der Verteidigung der Demokratie und der Wahrung der Menschenrechte rund 80 Milliarden US-Dollar an Hilfen für die Ukraine bereitgestellt, darunter 46,6 Milliarden US-Dollar für den Kauf von Waffen. Washington versprach, seine Geldbörsen zu öffnen, wobei die Biden-Administration versucht, 9,5 Milliarden US-Dollar für die weltweite "Förderung der Demokratie" bereitzustellen.
Insgesamt hatte die US-Regierung 120 Staats- und Regierungschefs zu dem Gipfel eingeladen. Einen Tag vor dem Gipfel schlug Pakistan, ein "Allwetter-Verbündeter" Chinas und ein primärer "autoritärer" Gegner der USA, jedoch einen Ton der Dissonanz an und zog sich von der Veranstaltung zurück. Muschahid Hussain Syed, der Vorsitzende des pakistanischen Verteidigungsausschusses, warf den USA vor, "die Demokratie und die Menschenrechte im bevorstehenden Weltkrieg gegen China und Russland als Waffe einzusetzen". Die Welt sei uneins darüber, ob Washingtons Modell der Demokratie es wirklich wert ist, nachgeahmt zu werden.
Ein Schlag ins Gesicht der USA?
Vor dem Demokratie-Getue der Biden-Regierung hätte China keinen günstigeren Zeitpunkt finden können – den 20. Jahrestag der US-geführten Invasion in den Irak am 20. März –, um einen für Washington vernichtenden Bericht zu veröffentlichen. Das vom chinesischen Außenministerium veröffentlichte Dokument mit dem Titel "The State of Democracy in the United States: 2022" (Der Zustand der Demokratie in den Vereinigten Staaten: 2022) ist eine scharfe Kritik an der "dysfunktionalen" amerikanischen Demokratie und ihrem erdrutschartig Chaos stiftenden Effekt auf die ganze Welt. Chinas Bewertung wurde veröffentlicht inmitten wachsender Anzeichen dafür, dass Länder des Globalen Südens Unzufriedenheit mit der zunehmenden US-Hegemonie zeigen und sich woanders hinwenden – ein Trend, den einige Analysten als "Schlag ins Gesicht" der USA betrachten.
Der Bericht ist in vier Teile gegliedert und mit Fakten, Kommentaren und Expertenmeinungen gespickt. Die chinesischen Autoren identifizieren darin einen "Teufelskreis aus demokratischen Ansprüchen, dysfunktionaler Politik und einer gespaltenen Gesellschaft, der sich in den USA manifestiert". Peking macht Missstände wie "die Geldpolitik, die Identitätspolitik, soziale Gräben und die Kluft zwischen Arm und Reich" aus, die "das Versagen der US-Regierung und institutionelle Mängel offenbaren". Weiter macht Peking kategorisch das Versagen des demokratischen US-Systems dafür verantwortlich, keine Lehren aus den Unruhen auf dem Capitol Hill vom 6. Januar 2021 gezogen zu haben, als sich "die politische Gewalt zuspitzte".
In dem Bericht werden die konzertierten Bemühungen der USA infrage gestellt, die Definition von Demokratie zu monopolisieren, welche "Anlass zur Sorge geben und gleichzeitig zu Spaltung und Konfrontation" führen. Washington wird als größter Verletzer der Charta der Vereinten Nationen und anderer internationaler Gesetze und Normen angeprangert. China nennt Beispiele für die Einmischung in seine inneren Angelegenheiten in Bezug auf Fragen im Zusammenhang mit seiner kommunistischen Ideologie sowie mit Taiwan, Hongkong, der Provinz Xinjiang und Tibet. Zudem werden die USA wegen ihrer subversiven Rolle im Russland-Ukraine-Konflikt, der am vergangenen 24. Februar in sein zweites Jahr ging, scharf angegriffen.
Zur Veranschaulichung der selektiven Art und Weise, in der die demokratische Öffentlichkeitsarbeit der USA auf globaler Ebene funktioniert, zitiert der chinesische Bericht aus einer Veröffentlichung der serbischen Denkfabrik "Center for Strategic Prognosis", in der darauf hingewiesen wurde, dass "die USA 1999 den Angriff Russlands auf Grosny, der Hauptstadt von Tschetschenien, als Verbrechen brandmarkten, aber eine ähnliche amerikanische Operation in Falludscha, einer irakischen Stadt von der Größe Grosnys, als 'Befreiung' bezeichneten."
"Amerikas sogenannte Demokratie ist schon seit Langem von Interessengruppen und dem Kapital gekapert und hat der Welt Instabilität und Chaos gebracht", schließt der chinesische Bericht.
China kritisiert damit die "Demokratie" der Biden-Regierung als Versuch, Spannungen und Konfrontationen zwischen Nationen mit unterschiedlichen Ansichten zu schüren, und plädiert für Solidarität als "kollektive Antwort auf globale Herausforderungen", in der Freiheit, Demokratie und Menschenrechte genauso praktiziert werden, wie man sie predigt.
Definiere "Demokratie"
Einige der zum "Gipfel für Demokratie" eingeladenen globalen politischen Führer hatten fragwürdige Referenzen. Man bedenke Folgendes: Indiens Oppositionsführer Rahul Gandhi wurde als Parlamentarier disqualifiziert, da ein untergeordnetes Gericht in Gujarat, dem Heimatstaat von Premierminister Narendra Modi, eine zweijährige Haftstrafe gegen ihn verhängt hatte. Der israelische Präsident Benjamin Netanjahu befindet sich in seiner Heimat auf einem Kriegspfad mit seiner Bevölkerung, weil er dort die Unabhängigkeit der Justiz einschränken will. Die Reformen des mexikanischen Präsidenten Andrés Manuel López Obrador bedrohen die Demokratie, angesichts der sich abzeichnenden Angst vor einem Versuch, freien und fairen Wahlen ein Ende zu setzen. Gleichzeitig wurden die Türkei und das EU-Mitglied Ungarn von der Veranstaltung ausgeschlossen, weil in diesen Ländern angeblich ein Mangel an bürgerlichen Freiheiten herrsche, wodurch diese Nationen als illiberale Demokratien eingestuft werden können.
Russland und die Ukraine sind zwei weitere Paradebeispiele für den selektiven Ansatz der Biden-Administration bei der Definition von Demokratie. Russland bleibt trotz aller Vorbehalte der USA eine liberale Demokratie. Die Ukraine ist unter Präsident Wladimir Selenskij in ein autokratisches Regime abgerutscht, in dem Korruption und persönliche Loyalität der Kompetenz und Leistung vorgezogen werden. Die Bekämpfung der Korruption gehörte zu den Wahlkampfversprechen, die Selenskij zum Wahlsieg verhalfen –, ein Ziel, das jedoch nach seinem Amtsantritt schnell wieder in Vergessenheit geriet.
Als selbsternannter "Verfechter der Demokratie" verbreiten die USA gute Laune und sonnen sich in ihrem Ruhm, indem sie in erster Linie in ihrem eigenen Interesse handeln, während sie vorgeben, dies für das Gemeinwohl anderer Nationen zu tun. Wenn nötig, stellen die USA mit vorgehaltener Waffe Demokratie her, wie sie es in der Vergangenheit schon im Irak, in Afghanistan und in anderen Ländern versucht haben. Während ausnahmslos keinerlei tatsächlicher demokratischer Wandel herbeigeführt werden konnte, war man stets erfolgreich darin, lukrative Märkte für den amerikanischen militärisch-industriellen Komplex und andere Unternehmen zu erschließen.
Man muss nicht weiter als in den Nahen Osten und in die arabische Welt schauen, wo die USA der größte Katalysator für Konflikte, Blutvergießen und menschliches Elend waren. Die USA sahen die unbeständige Region stets als einen von Öleinnahmen gestützten Markt, dem man ungestraft Waffen und militärische Ausrüstung verkaufen kann, solange mehrere arabische Nationen in langwierige Konflikte mit ihren Nachbarn verwickelt sind – wie etwa Saudi-Arabien im Kampf gegen die Rebellen der Huthi im Jemen.
China pumpt derweil Geld in die Länder des Globalen Südens, deren Leiden durch westliche Sanktionen verschärft wurde. Zwar macht man sie so abhängig von Pekings Großzügigkeit, jedoch tut China dies, ohne zu versuchen, diese Länder über Werte und den heraufbeschworenen globalen Konflikt zwischen Autoritarismus und Demokratie belehren zu wollen.
Es ist unwahrscheinlich, dass die USA diese unerfahrenen Demokratien für sich gewinnen können, die Washingtons Vorliebe für moralische Predigten und das Festlegen von politischen Bedingungen satthaben. Letztlich wird der Globale Süden denen gegenüber loyal sein, die bereit sind, eine Kreditlinie und großzügige finanzielle Unterstützung anzubieten. Was das Weiße Haus ihnen derzeit zu bieten hat, sind jedoch nur Plattitüden. Verdammt sei die Demokratie!
Übersetzt aus dem Englischen.
Joydeep Sen Gupta ist Asien-Redakteur bei RT.
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Auf beiden Seiten des Konfliktes sind zahlreiche Soldaten und Zivilisten getötet worden. Moskau und Kiew haben sich gegenseitig verschiedener Kriegsverbrechen beschuldigt. Tausende Ukrainer sind mittlerweile aus ihrer Heimat geflohen.