Nach dem Mord an Tatarski: Der Westen schafft einen beunruhigenden Präzedenzfall
Von Rachel Marsden
Anscheinend haben Terroristen einen Freibrief, wenn dem westlichen Establishment das Profil des Opfers des Terrors nicht gefällt – oder wenn der Täter riskiert, mit einem Verbündeten in Verbindung gebracht zu werden.
Die Funkstille aus dem Westen ‒ nach der Ermordung des Kriegsberichterstatters Wladlen Tatarski in einem Café in Sankt Petersburg ‒ war ohrenbetäubend. Tatarski wurde getötet, nachdem ihm eine junge Frau namens Darja Trepowa eine Büste überreicht hatte, die anschließend den gesamten Veranstaltungsort in die Luft jagte.
Bei allen Differenzen der westlichen Offiziellen mit Russland: Warum können sie sich nicht wenigstens dazu durchringen, einen eklatanten Terrorakt mitten im Stadtzentrum einer Großstadt zu verurteilen? Wir sprechen hier über dieselben Leute, die zwei Jahrzehnte damit verbracht haben, unter dem Deckmantel eines "globalen Krieges gegen den Terrorismus" auf der ganzen Welt Türen einzutreten.
Noch vor wenigen Jahren wurden Karikaturisten und Autoren des französischen Satiremagazins Charlie Hebdo am helllichten Tag in ihrem Pariser Büro von Dschihadisten niedergeschossen, die empört waren wegen der Darstellung des Islams und des Propheten Mohammed auf der Titelseite einer Ausgabe der Publikation.
Westliche Staatslenker verurteilten diesen Terrorakt auf das Schärfste und standen fest zu dem Grundsatz, dass man nicht einfach hingehen und Menschen ermorden kann, die Gedanken und Ansichten vermitteln, die einem selbst nicht gefallen. Viele dieser Staatschefs reisten sogar eigens nach Paris, um gemeinsam für die Verteidigung der Meinungs- und Pressefreiheit zu demonstrieren.
Jetzt, nach der Ermordung von Tatarski, von dem die Ermittler behaupten, dass er mit der Ukraine in Verbindung steht, machen sie sich nicht einmal mehr die Mühe, die dürftigste Verteidigung dieser Prinzipien einzufordern.
Es scheint, dass der Westen bei jeder angeblichen Beteiligung der Ukraine bequemerweise ein Auge zudrückt. Ich denke an die Autobombe, bei der die russische Journalistin und Aktivistin Darja Dugina in der Nähe von Moskau ums Leben kam.
"Amerikanische Offizielle sagten, sie seien über den Plan für den Anschlag, bei dem Darja Dugina getötet wurde, nicht im Voraus informiert gewesen und hätten die Ukraine deswegen ermahnt", berichtete die New York Times im vergangenen Oktober.
In ähnlicher Weise berichtete die Washington Post diese Woche, dass eine "ungeschriebene Regel" unter westlichen Offiziellen laute: "Nicht über Nord Stream sprechen" – das Pipelinenetz, das Gas von Russland nach Europa transportierte und vergangenes Jahr auf mysteriöse Weise in die Luft gesprengt wurde –, da man es "lieber nicht mit der Möglichkeit zu tun haben möchte, dass die Ukraine oder ihre Verbündeten daran beteiligt waren".
Dann gibt es noch die "Mirotworez"-Liste über Journalisten und Aktivisten, die von der in Kiew ansässigen NGO, dem Mirotworez Center, geführt wird, die Personen auflistet, "deren Handlungen Anzeichen von Verbrechen gegen die nationale Sicherheit der Ukraine, den Frieden, die menschliche Sicherheit und das Völkerrecht aufweisen".
Dieses Portal muss immer noch von der ukrainischen Regierung geschlossen oder von westlichen Verbündeten angeprangert werden, obwohl seit einem Bericht der Vereinten Nationen aus dem Jahr 2017 über die Menschenrechte in der Ukraine die ukrainischen Behörden aufgefordert wurden, sich mit der Sache zu befassen.
Ob Terror oder Einschränkung der Meinungsfreiheit vorliegt, liegt im Westen eindeutig im Auge des Betrachters, was erklären würde, warum sich ein Großteil der Medienrhetorik auf die pro-russische Haltung von Tatarski einschießt. Die Lücke, die durch die abwesende offizielle Reaktion westlicher Offizieller hinterlassen wurde, füllte die westliche Presse, die sich darauf fokussierte, dass der in der Ukraine geborene Blogger im Jahr 2014 Mitglied der von Russland unterstützten separatistischen Kräfte im Donbass war.
Dort begann er mit der Berichterstattung über die Ereignisse auf seinem Telegram-Kanal, der immer beliebter wurde, wobei CNN seine "leidenschaftlichen Kriegskommentare" bemerkte. Aber wenn irgendeine Art von früherer militärischer Erfahrung und die Parteinahme bei der eigenen Berichterstattung über bewaffnete Konflikte eine Rechtfertigung für die Ermordung von Journalisten wäre, dann könnte man jeden westlichen Alt-Journalisten, der einen Blog startet, und jeden Meinungsjournalisten zu Freiwild erklären.
Es gab keinen Mangel an westlicher Empörung nach der Ermordung des Kolumnisten der Washington Post, Jamal Khashoggi, vor einigen Jahren im saudischen Konsulat in Istanbul, trotz seines langjährigen Aktivismus gegen die saudische Führung. Warum sollte der Tod dieses russischen Kriegsberichterstatters anders behandelt werden?
Der bulgarische "investigative Journalist" Christo Grozev, der in dem oscarprämierten Dokumentarfilm über die russische Oppositionsfigur Alexei Nawalny prominent vertreten ist, glaubt anscheinend, dass einige Menschen "legitime Ziele für Terroranschläge sind", und argumentierte, dass das Café möglicherweise in diesem Fall "kein rein ziviles Objekt" war.
Obwohl das Lokal zuvor Jewgeni Prigoschin gehörte, dem Leiter des privaten russischen Militärunternehmens Wagner Group, war das ein Café, das mitten in einer Großstadt jeden direkt von der Straße willkommen hieß und sich nicht auf magische Weise in eine Art Militärbasis verwandelte.
Wenn ein amerikanischer General das Ritz-Carlton-Hotel in Pentagon City, Virginia, betritt, wird das Hotel oder seine Bar nicht plötzlich zu einem legitimen militärischen Ziel für Bombenangriffe durch jemanden, der eine Rechnung mit Washington zu begleichen hat. Und was ist mit den Journalisten, die als "eingebettete Journalisten" bei westlichen Truppen im Irak und in Afghanistan dabei waren, die Standpunkte ihrer Gastgeber förderten, während sie sich gleichzeitig auf die Seite des eigenen Landes stellten? Sind die jetzt auch alle Freiwild?
Die prominente Denkfabrik Washington Institute for the Study of War (Washingtoner Institut für Kriegsstudien – ISW), zu deren Vorstandsmitgliedern die amerikanischen Generäle Jack Keane und David Petraeus sowie Washingtons ehemalige UN-Botschafterin Kelly Craft gehören, hat Tatarski routinemäßig als prominenten russischen Militär-Blogger qualifiziert, dessen Arbeit sie offenbar für würdig genug betrachteten, um ihre Leser darüber zu informieren.
Es scheint, als würden einige Mitglieder des westlichen Establishments versuchen, diesen ungeheuerlichen Terror- und Mordakt als etwas Triviales umzudeuten, und zwar nur, weil das Opfer ein Russe war, dessen Ansichten sie nicht mochten – aber dieser Schuss könnte auch nach hinten losgehen.
Übersetzt aus dem Englischen.
Rachel Marsden ist eine Kolumnistin, politische Strategin und Moderatorin eines unabhängig produzierten französischsprachigen Programms, das auf Sputnik France ausgestrahlt wird. Ihre Webseite findet man unter rachelmarsden.com
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