Meinung

Mord an Militärblogger: Russische "Oppositionelle" schockieren mit Schadenfreude und Zynismus

Sie sind für den Westen die Gesichter eines angeblich "besseren" künftigen Russland, oder besser – dessen vieler kleiner Nachfolgestaaten: Russlands Nawalny-Anhänger und sonstige Oppositionelle im Exil. Sie leben in verschiedenen Ländern, haben aber eines gemeinsam: Wenn ihre ideologischen Gegner tot sind, schäumen sie über vor Freude.
Mord an Militärblogger: Russische "Oppositionelle" schockieren mit Schadenfreude und ZynismusQuelle: Sputnik © Jewgeni Bijatow

Von Wladislaw Sankin

Die Tatverdächtige Darja Trepowa ist gefasst, und in den Medien tauchen immer mehr Details über ihre Person auf. So hat ein kleiner Verlag mitgeteilt, dass Trepowa sich bereits Monate vor der Ermordung des Militärbloggers Wladlen Tatarski als angeblich engagierte Zeichnerin in die patriotische Szene eingeschleust hatte. Nach den bislang vorliegenden Informationen ist jedoch nicht eindeutig klar, ob sie von der tödlichen Ladung der ihm überreichten Büste wusste.

Entgegen der ersten Vermutungen hat sie nach der Explosion nicht die Flucht vom Tatort ergriffen und als eine der letzten Personen den verrauchten Raum des gesprengten Cafés verlassen. Bekannt ist nun, dass die Täterin die Büste von einem Taxifahrer in Moskau bekommen hatte. In die Büste mit Sprengstoff wurde eine SIM-Karte zur Fernsteuerung eingebaut. Die Bombe wurde in dem Augenblick aktiviert, als Tatarski die Büste zum zweiten Mal in die Hand genommen hat. Das alles deutet darauf hin, dass der terroristische Akt von einer professionell agierenden Gruppe geplant und ausgeführt worden ist.

Über die Auftraggeber Trepowas gibt es derzeit kein einheitliches Bild. Die Mutmaßungen der russischen Ermittlungsbehörden deuten in Richtung Kiew und dort ansässiger radikaler russischer "Regimegegner" sowie eines Netzwerk aus Nawalny-Anhängern in Russland selbst. Aber die angedeutete Verbindungen zwischen den Kiewer Geheimdiensten und russischen Oppositionellen bleiben diffus. In Kiew und einigen westlichen Medien wird erwartungsgemäß über eine FSB-Attacke unter falscher Flagge auf einen angeblich unbequemen Patrioten spekuliert. Klar ist nur, dass es in Ermangelung der bislang vorgelegten Beweise eine Vielfalt an verschiedensten Versionen gibt – je nach politischer Präferenz.

Umso interessanter ist zu beobachten, wie der Mord an einer in militär-patriotischen "Z-Kreisen" angesehene Person in verschiedenen Milieus der Gegner des russischen Staates rezipiert wird. Diese Reaktionen legen über das Niveau der politischen Kultur in der russischen prowestlichen Szene und im Westen gleichermaßen  eindrücklich Zeugnis.

Die "Kiewer" Gruppe: Ilja Ponomarjow und Roman Popkow

Auf der einen Seite gibt es in die Ukraine eingewanderte russische Bürger wie den Ex-Abgeordenten Ilja Ponomarjow oder den Rechtsanwalt des ukrainischen Ex-Präsidenten Petro Poroschenko Ilja Nowikow. Sie gehören zu den radikalsten Gegnern Russlands. Für sie sind die Unterstützer der Militäroperation in der Ukraine auch im russischen Hinterland legitime Ziele für tödliche Attacken.

Insbesondere gilt das für Ponomarjow. Spätestens seit dem Mord an die Politwissenschaftlerin und Tochter des Philosophen Alexander Dugin Darja Dugina im August behauptet er, im Kontakt mit der russischen "Partisanenbewegung" zu stehen. Sich selbst betrachtet Ponomarjow als Revolutionär, der die russische Regierung stürzen und deren Vertreter vor Gericht bringen will. Nur etwa eine Stunde nach der ersten Meldung über die Sprengung Tatarskis postete er ein Foto von ihm zusammen mit ebenso ermordeten Dugina. "Denkt euch die Unterschrift selbst aus", schrieb er nur.

Dugina und Tatarski gehörten zum Kreis der nationalkonservativen Publizisten und waren offenbar untereinander gut bekannt. Wenig später fügte Ponomarjow ein weiteres Bild hinzu: Die beiden Opfer des politischen Terrors wurden als Schauspieler auf einem Filmplakat dargestellt. Auf dem Plakat war geschrieben:

"Darja Dugina, Wladlen Tatarski. 'Ein Schicksal'. Eine explosive Geschichte der russischen Propagandisten. Fortsetzung folgt."

An diesen Tagen ist Ponomarjow fast nur mit Live-Schaltungen beschäftigt. In all den zahlreichen Internetgesprächen mit seinen Komplizen oder Journalisten verbreitet er seine Version, dass der Mordanschlag das Werk einer russischen Partisanenbewegung sei. Ihm zufolge zählt diese landesweit bis zu 1.000 aktive Mitglieder und kann mit der Zeit nur größer werden.

Ob er selbst mit der Tat etwas zu tun haben könnte, lässt Ponomarjow im Dunkeln. Er sprach aber mit dem Journalisten Roman Popkow, einem weiteren Ex-Russen in der Ukraine. Bis 2009 gehörte er Nationalbolschewistischen Partei (inzwischen in Russland verboten) und saß im Gefängnis. Er lebt seit vielen Jahren in der Ukraine.

Laut Trepowa hat er sie gebeten, für ihn bestimmte Dienste auszuführen. Die Ermittler vermuten, dass er der Verbindungsmann zu den ukrainischen Geheimdiensten war. In Interviews bestreitet er seine Verwicklung in den Fall, gibt aber zu, dass er mit Trepowa im Kontakt via Twitter war und die Ermordung des Bloggers gutheißt. Dem Portal The Insider sagte er:

"Ich hatte leider nichts mit dem Mord an Wladlen Tatarski zu tun. Er hat absolut verdient, was ihm widerfahren ist, aber ich hatte nichts damit zu tun."

Die Kiewer Gruppe um Ilja Nowikow

Ein weiterer militanter Gegner des russischen Staates ist der Rechtsanwalt und ehemalige Quizshow-Teilnehmer Ilja Nowikow. Nun ist er Mitglied der Kiewer Territorialverteidigung und ruft in ukrainischen Talkshows zur Aufteilung Russlands auf viele Einzelstaaten auf – nach dem ukrainischen Sieg, versteht sich. Auf Twitter hat Nowikow 66.000 Follower. Zum Mord an Tatarski schrieb er:

"Die einen fanden es nicht gut, dass Dugins Tochter in die Luft gesprengt wurde, denn 'was haben Kinder damit zu tun?' Andere sind nun unglücklich darüber, dass Tatarski in einem Café in die Luft gesprengt wurde, 'weil Außenstehende hätten verletzt werden können'.

Ist es überhaupt möglich, es euch recht zu machen? Oder sollte man niemanden mehr sprengen?"

Mehr als eine halbe Million Nutzer hat die Äußerung angesehen, mehr als 7.000 fanden sie gut. Ponomarjow hat sie retweetet. Die Messlatte an Zynismus, die Nowikow mit seinem Terrorismus unterstützenden Text gelegt hat, war hoch. Dennoch haben viele Kommentatoren unter seinem Tweet versucht, ihn zu übertreffen.

Die Baltikum-Gruppe: Das Nawalny-Büro

Doch die wortgewaltigsten Konkurrenten Nowikows in diesem geschmacklosen Wettbewerb kamen aus der litauischen Hauptstadt. Vilnius ist in den letzten zehn Jahren zu einem anderen wichtigen Zufluchtsort der radikalen russischen Opposition geworden. Der bekannteste Vertreter dieser Gruppe ist Leonid Wolkow, der politische Direktor des "Antikorruptionsfonds" – der NGO des inhaftierten Politaktivisten und Kremlgegners Alexei Nawalny. Wie auch der "Partisan" Ponomarjow, ist er einer der beliebtesten Interviewpartner der deutschen Journalisten aus den Reihen der sogenannten russischen Opposition.

Der Spiegel beispielsweise veröffentlicht regelmäßig Storys mit ihm und über ihn. Er gilt als serios und nicht so radikal wie seine Kiewer "Kollegen". Den Mord am russischen Publizisten und Militärblogger Tatarski kommentierte Wolkow auf Twitter folgendermaßen:

"Offensichtlich wurde Wladlen Tatarski nicht ermordet, sondern bei ihm platzte einfach die Gallenblase aufgrund von Avitaminose. Außerdem muss man die Version in Betracht ziehen, dass Prigoschin hinter der Explosion steckte. Auch persönliche Rache einer ehemaligen Geliebten darf nicht außer Acht gelassen werden."

Auf den Einwand, dass Tatarski in unmittelbarer Nähe Dutzender Gäste gesprengt wurde, erwiderte Wolkow, dass diese kein Mitleid verdienten. "Es waren keine zufälligen Leute da, und die Wahl von Ort und Zeit war sehr gut." Die Ausführung der Tat lobte er als sehr gelungen, "besser als bei Georg Elser".

Damit hat Wolkow mit einem Seitenhieb auch einen Vergleich der jetzigen russischen "Z-Patrioten" mit den deutschen Nazis gezogen, als er den deutschen Antifaschisten und Widerstandskämpfer Elser erwähnte. Elsers Sprengstoffattentat auf die gesamte Führungsspitze der NSDAP im Jahre 1939 war nur knapp gescheitert.

Sein Kollege und Mitstreiter Iwan Schdanow merkte zufrieden an, dass Tatarski nun von seiner Sanktionsliste gestrichen werden müsse – "aufgrund des Todes der zu sanktionierenden Person".

Tanz auf Knochen und Mordfantasien

Man könnte die Liste derartiger Zitate endlos fortsetzen, davon gibt es noch viele. Wir haben nur die prominentesten und im Westen am besten vernetzten Kommentatoren ausgewählt. Tatarski trug bei seinen Besuchen der Front einen Camouflage-Anzug und war bewaffnet, nahm aber an den Kampfhandlungen nicht teil. Er war Publizist, und als orthodoxer Christ war er Kirchgänger. Als Helfer der Front hat er Spendenkampagnen organisiert und talentierte Erfinder von Drohnentechnik mit Beamten des Verteidigungsministeriums zusammengebracht. Er war sympathisch, umtriebig und einflussreich. Dass er als Ziel der hinterlistigen Attacke ausgewählt wurde, war zynisches Kalkül. Nicht weniger zynisch ist jedoch die Schadenfreude vonseiten seiner Feinde.

Der Umgang mit einem Verstorbenen ist für die Zurückbleibenden, egal ob Freund oder Feind, immer eine Prüfung in Sachen Menschlichkeit. Spätestens seit dem Jubel Hillary Clintons auf den Lynchmord an Muammar al-Gaddafi: "We came, we saw, he died" gehören Zynismus und Schadenfreude über den Tod politischer Gegner zum guten Ton in der gegenwärtigen politischen Kommunikation im Westen – obwohl dies eigentlich die grundlegendsten Verhaltensregeln des menschlichen Miteinanders aufs Gröbste verletzt. Das nenne ich einfach "Liebe zum Tod". Diese äußert sich auch in ständigen Mordfantasien an Wladimir Putin, wie die britische Times in ihrer letzten Karikatur eindrücklich zeigt:

Deswegen ist es fast ausgeschlossen, dass Ponomarjow, Wolkow, Nowikow, Schdanow und andere russische "Oppositionelle" nach ihren oben geschilderten Twitter-Orgien bei ihren Freunden und Bekannten aus dem Westen Ekel hervorrufen werden. Ihr Zynismus, ihre offen zur Schau gestellte Menschenverachtung und ihre schlecht versteckten Aufrufe zu weiteren solchen Morden werden im besten Fall übersehen – oder gar billigend in Kauf genommen. Denn der Gegner – der "Russe" – ist dafür bereits genug entmenschlicht – oft durch eigenes Zutun, wenn wir von westlichen Politikern und Journalisten sprechen. Sie und die "Todesjubler" ziehen an einem Strang.

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Am 24. Februar kündigte der russische Präsident Wladimir Putin an, gemeinsam mit den Streitkräften der Donbass-Republiken eine militärische Spezialoperation in der Ukraine zu starten, um die dortige Bevölkerung zu schützen. Die Ziele seien, die Ukraine zu entmilitarisieren und zu entnazifizieren. Die Ukraine spricht von einem Angriffskrieg. Noch am selben Tag rief der ukrainische Präsident Wladimir Selenskij im ganzen Land den Kriegszustand aus.
Der Westen verurteilte den Angriff, reagierte mit neuen Waffenlieferungen, versprach Hilfe beim Wiederaufbau und verhängte Sanktionen gegen Russland.
Auf beiden Seiten des Konfliktes sind zahlreiche Soldaten und Zivilisten getötet worden. Moskau und Kiew haben sich gegenseitig verschiedener Kriegsverbrechen beschuldigt. Tausende Ukrainer sind mittlerweile aus ihrer Heimat geflohen.