Meinung

Die Angst des Westens vor neuen russischen Eliten oder: Wie die Deutsche Welle Skandale erfindet

Die Deutsche Welle macht aus einem geleakten Privatgespräch zweier reicher russischer Unternehmer einen Riesenskandal – ohne dass das Thema in Russland irgendjemanden interessiert. Dabei werden die beiden Gesprächspartner eifrig den "Eliten" zugerechnet. Das hat einen Grund.
Die Angst des Westens vor neuen russischen Eliten oder: Wie die Deutsche Welle Skandale erfindet© Screenshot DW

Von Wladislaw Sankin

Am Donnerstag hat die Deutsche Welle einen achtminütigen Beitrag über ein geleaktes privates Telefonat unter dem Titel "Geleaktes Telefonat in Russland: Laute Kritik an Putin und dem Ukraine-Krieg" auf dem Youtube-Kanal "DW Deutsch" veröffentlicht. Der deutsche Staatssender ist sich sicher: Das Gespräch sei eine Sensation, die in Russland für "Wirbel sorgt". Gleich im Teaser heißt es:

"Ein explosiver Telefon-Mitschnitt macht in Russland die Runde. Darin soll zu hören sein, wie zwei prominente Männer aus dem Showbiz und der Wirtschaft sich mächtig auslassen: über Präsident Putin und auch über den Ukraine-Krieg. Die Wirkung des geleakten Telefonats ist enorm."

Durch die Auswahl der Kommentatoren aus den Reihen der russischen Exil-Oppositionellen wird im Beitrag eine Atmosphäre der Angst und Unterdrückung suggeriert. Die Veröffentlichung komme einer öffentlichen Exekution gleich, ist sich der Ex-Abgeordnete Dmitri Gudkow sicher. "Dann haben die Anderen Angst und trauen sich nicht einmal, in ihren Küchen darüber zu sprechen."

Weiter fällt auf: Die beiden Gesprächspartner werden eindringlich und mehrfach pauschal den "Eliten" zugerechnet, obwohl der Musikproduzent Iosif Prigoschin, der sich während des Gesprächs in einem teueren Hotel in Dubai aufhält, und der im aserbaidschanischen Baku ansässige Unternehmer Farchan Achmedow über gar keinen politischen Einfluss verfügen. Die Hälfte der Zeit in dem 35-minütigen Mitschnitt schimpfen sie einfach in Stammtisch-Manier über die wirklichen Entscheidungsträger im inneren russischen Machtzirkel. Dennoch blendet der Sender immer wieder den Schriftzug ein:

"Rückhalt für Putin in russischer Elite bröckelt."

An dieser Stelle zählt der DW-Korrespondent Juri Rescheto auf, was die "Eliten" bereits alles verloren haben: ihre Jachten, ihre Bankkonten im Ausland, ihre Besitztümer und Geschäftspartner. Es scheint fast so, dass Rescheto diese "Eliten" bemitleiden würde.

Zudem beschweren sich die Männer über den Westen, der völlig willkürlich "wie zu stalinistischen Zeiten" (Achmedow) ohne jegliche rechtliche Grundlage und lediglich aufgrund von Denunziationen aus Kiew Menschen ihrer ehrlich verdienten (davon sind die beiden Unternehmer überzeugt) Besitztümer beraubt. Der Name des Milliardärs Achmedow steht auf der Sanktionsliste: "Ich kann keine Kreditkarten nutzen", klagt er und kommt zu dem Schluss: "Die Politik ist eine schmutzige Sache."

Doch dieser Umstand ist für den deutschen Sender uninteressant. Auch nicht die Tatsache, dass die beiden nichts dagegen gehabt hätten, wenn Russland am Anfang seiner Invasion im Februar 2022 durch einen vernichtenden Angriff auf die ukrainische Kommandozentrale in Kiew einen schnellen Sieg errungen hätte. Auf obszöne Weise lästern sie über das Versagen und die Gier der korrumpierten Militärführung, die die Armee ausgeplündert haben soll. Nun ziehe sich der Krieg in die Länge und bringe den einfachen Menschen viel Leid. Die Unterhaltung ist kein politisches Manifest, sondern ein privates Küchengespräch zweier gereizter Wut-Bürger.

Trotzdem nahm es die Deutsche Welle zum Anlass, einen Sturm im Wasserglas zu produzieren. In der ganzen Länge des Beitrags bringt der Sender keinen einzigen Beleg dafür, dass das Telefonat in Russland Wellen geschlagen hätte, etwa in Form von Reaktionen aus dem Kreml – weil es einfach keine gab, ebenso wenig wie Kommentare großer Medien. Vor allem fehlte jeglicher Anhaltspunkt, dass den beiden Beteiligten irgendwelche Repressionen vonseiten der von ihnen beschimpften Staatsmacht drohen. Nur beiläufig erwähnt der Korrespondent, dass der FBS "angeblich dran" sei.

Aber was könnte denn FSB an dem Mitschnitt interessieren, wenn die Moderatorin gleich zu Beginn des Beitrags zu verstehen gibt, dass die Abhörung und Veröffentlichung des Gesprächs durch den Kreml und die Geheimdienste erfolgt sein könnte ("Kreml und Geheimdienste hören mit")? Zum Ursprung der Veröffentlichung sagt die Moderatorin lediglich:

"Das heikle Telefonat wurde geleakt. Nun ist es raus und in der Öffentlichkeit."

Dass das Telefonat bereits seit Anfang März durch ukrainische Telegram- und Youtube-Kanäle geistert, verschweigt die Deutsche Welle. Erst am 25. März wurde er vom ukrainischen Fünften Kanal noch mal gepusht. Seitdem ist dieses Privatgespräch das Thema – vor allem in den russischsprachigen ausländischen Medien. Aber selbst sie berichten viel differenzierter und vermuten etwa ukrainische Geheimdienste oder andere Akteure hinter dem Leak.

Warum hat die Deutsche Welle aber so unsauber berichtet und so viele wichtige Informationen ausgelassen? Vermutlich ist die Manipulation nicht aus einem Kalkül entstanden, sondern einfach aus einem westlichen Wunschdenken heraus – und aus Ängsten. Aus Angst davor, dass in Russland nun einfach neue funktionale Eliten immer mehr am Einfluss gewinnen und die alten – zu denen auch der zweifelnde Produzent gehört, der sich bevorzugt in Dubai aufhält und der reiche Unternehmer, der um seine Jacht (im Gespräch "Boot" genannt) besorgt ist – immer stärker marginalisiert werden. Und dafür ist nicht der Kreml verantwortlich, sondern das ist einfach der derzeitige Lauf der Dinge.

Zwei Vertreter dieser alten Eliten haben also im Ausland über Putin gelästert – na und? Ein weiterer Grund für die Internet-Community, sich mit zahlreichen Memes darüber lustig zu machen, dass für eine kurze Zeit nicht der Wagner-Chef Jewgenij Prigoschin, dessen Truppe jetzt das Bollwerk der ukrainischen Armee in Artjomowsk stürmt, von sich reden macht, sondern auch Josif, sein Namensvetter aus dem Showbiz. Und das auch nur für ein, zwei Tage. Denn für solche Belanglosigkeiten gibt es jetzt in Russland keine Zeit.

Die Deutsche Welle zeigt diese neuen Eliten in seinem Beitrag dennoch – für wenige Sekunden und mit dem abschätzigen Kommentar:

"Mit der Einschüchterung der Kritiker versucht der Kreml gleichzeitig immer diejenigen zu loben, die sich hinter seine Politik stellen. Mit Zuckerbrot und Peitsche soll Stimmung im Land gemacht werden."

Die Worte werden mit Ausschnitten aus einer feierlichen Zeremonie untermalt, bei der der Präsident aktive Vertreter aus Politik, Medien und Gesellschaft mit dem Orden "Verdienste für das Vaterland" auszeichnet. Diese fand am 20. Dezember statt. Zu sehen waren unter anderem der langjährige Chef der Donezker Volksrepublik, Denis Puschilin, und der Interims-Gouverneur des Gebiets Cherson, Wladimir Saldo. Diese Menschen besitzen keine Reichtümer wie Achmedow und Prigoschin, sorgen aber mit ihrer Energie und ihrem Elan für die Entwicklung der neuen russischen Regionen.

Ihr Einsatz erfordert Mut, denn sie sind das ständige Ziel des ukrainischen Terrors, der sich gegen alle Verwaltungskräfte richtet, die mit Russland kooperieren. Auf Puschilin wurden bereits mehrere Attentate vereitelt, sein Vorgänger Alexander Sachartschenko wurde bei einem Attentat 2018 ermordet.

Menschen wie Puschilin und Saldo gestalten die Zukunft Russlands hier und jetzt – eine Zukunft, die der Westen verhindern will. Sie werden zu Menschen des öffentlichen Lebens, zu Abgeordneten und Senatoren. Journalisten, die die Militäroperation in den Kategorien des Kampfes gegen den ukrainischen Nazismus und die US-Hegemonie bewerten, werden zu Mitgliedern der Gesellschaftlichen Kammer, aus der liberal-prowestliche Meinungsführer zunehmend ausscheiden. Der Elitenwechsel, der in Russland gerade stattfindet, schließt immer mehr Bereiche ein.

Mit ihrem einseitigen Beitrag hat die Deutsche Welle eindrücklich gezeigt, wie der Westen den Abgang und die Ausgrenzung der alten Eliten betrauert. Mit diesen Eliten hat die langjährige Täuschungspolitik funktioniert. Durch immensen Druck auf ihren luxuriösen Lebensstil hoffte er nach dem Beginn des Sanktionskrieges, sie gegen Putin aufzubringen und auf seine Seite zu bekommen, verlor aber durch die Willkür der Sanktionspolitik jegliches Vertrauen.

Mit den neuen Eliten, die über keine Besitztümer im Westen verfügen und die schon von vornherein kritisch gegenüber dem Westen eingestellt sind, weiß er schon gar nichts mehr anzufangen. Der Westen hat in Russland kaum mehr Einflussmöglichkeiten und klammert sich nur noch hilflos an die Idee, irgendjemand könnte Wladimir Putin in Russland doch noch stürzen.

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