Selenskijs Forderungen und die Reaktionen des Westens: Wie der Ukraine-Krieg die Eliten spaltet

Laut US-Medien ist Washington über die Unterstützung für Kiew gespalten. Mehr noch: Aussagen einiger US-Politiker lassen mittelbar auf bedeutende Differenzen auch mit Großbritannien in dieser Frage schließen, zumindest die Strategie Kiews auf dem Schlachtfeld betreffend.

Analyse von Joe Bessemer

Spaltung innerhalb der politischen und militärischen Eliten der USA hält die US-Zeitung Politico fest. Hochrangige Regierungsbeamte postulierten zwar einen hohen Grad an Einigkeit zwischen Washington und Kiew, dem widersprächen jedoch die Aussagen einiger ähnlich hochrangiger Politiker und Abgeordneter. Es sei mittlerweile schwer, glaubhaft eine einheitliche Front der USA und Kiews im Ukraine-Krieg zu behaupten. Dort scheine nunmehr förmlich die Sonne durch die Risse der Fassade. Vor allem aus den Reihen der Republikanischen Partei der USA, aktuell in der Opposition, wird der Demokraten-Regierung das Fehlen jeglicher konkreten Zielsetzung vorgeworfen:

"Die Regierung hat kein klares politisches Ziel und überhaupt kein klares Ziel. Will sie die Sache in die Länge ziehen – also genau das, was auch Wladimir Putin will?"

So mahnt immerhin der Republikaner, Kongress-Abgeordnete für den US-Bundesstaat Texas und Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Repräsentantenhauses Michael McCaul. Das Bemängelte stelle gleich die gesamte US-Politik zur Ukraine infrage:

"Sollen wir der Ukraine lediglich dafür genug geben, dass sie überlebt, aber nicht genug, um zu gewinnen? Ich sehe im Moment keine Politik, die auf einen Sieg abzielt. Und wenn wir das nicht haben, was treiben wir hier dann überhaupt?"

Gründe für eine derart unentschlossene Politik zu Waffenlieferungen an Kiew sieht Politico gleich mehrere. Einer davon sei in der Person des ukrainischen Präsidenten Selenskij zu suchen. Von allen NATO-Mitgliedsstaaten hätten die USA bei weitem das Meiste an Waffen und Gerät an die Front geschickt, dennoch habe Kiew immer schon und immer wieder demonstrativ nach der nächsten Lieferung geschaut. Und "obwohl die meisten in der US-Regierung Verständnis für Kiews verzweifelte Versuche, sich zu verteidigen, aufbrachten, gab es laut zwei Beamten des Weißen Hauses (die nicht befugt sind, öffentlich private Gespräche in der Führungsriege zu sprechen) auch Kritik an den ständigen Anfragen und an der mangelnden Dankbarkeit Selenskijs."

Zu denjenigen, die Zweifel am Sinn weiterer langfristiger Unterstützung geäußert haben, gehöre etwa der Sprecher des Repräsentantenhauses (Unterkammer des US-Kongresses) Kevin McCarthy. Er warnte, dass die USA der Ukraine keinen "Blankoscheck" ausstellen würden und Selenskijs Einladung, US-Politiker mögen doch gefälligst selber in die Ukraine reisen und sich über die Realitäten des Krieges informieren, kritisch gegenüberstünden. Nicht zuletzt sei der Republikaner doch auch persönlich von Selenskijs fordernder Haltung brüskiert worden, merkt Kurt Volker an, seinerzeit präsidialer Sonderbeauftragter für Belange der Ukraine unter der Regierung Trump. Politico zitiert:

"Da schwingt immer eine gewisse Reibung mit. Selenskij hat sich auch mit McCarthy angelegt und den Eindruck erweckt, ihn 'erziehen' zu wollen, anstatt mit ihm zusammenzuarbeiten."

Ein weiterer Grund sei der Unwille der US-Regierung, die bisher nur in ihrem Stellvertreterkrieg in der Ukraine gemündete Konfrontation mit Russland noch weiter zu eskalieren. Dem stünden aber zahlreiche auf deutlich mehr Krawall mit Russland gebürstete US-Militärs gegenüber, so der oben zitierte McCaul, der sich in ständigem Kontakt mit hochrangigen Beamten der Regierung Biden befinde:

"Ich glaube, dass die Regierung und der Nationale Sicherheitsrat geteilter Meinung darüber sind, welche Waffen in die Ukraine geschickt werden sollen. Ich stehe mit vielen hochrangigen Militärs im Gespräch, und sie sind größtenteils dafür, Kiew ATACMS zu liefern."

Nun bestehe laut Politico aber einerseits die Befürchtung, dass die Ukraine mit diesen von den Mehrfachwerfern MLRS und HIMARS zu verschießenden Gefechtsfeldraketen ATACMS dank deren Reichweite von bis zu 300 Kilometern auch weit von der Front entfernte russische Ziele angreifen würde und so eine Eskalation des Krieges provozieren könnte.

Doch andererseits habe Washington diese Langstreckenraketen bisher auch deswegen nicht zur Verfügung gestellt, weil es im Arsenal des Pentagons nur wenige davon gebe, so das US-Blatt. Damit wird der dritte Grund für Washingtons relative Zurückhaltung beim Rüstungsexport an Kiew sichtbar – Mangel an Material und Geldern : Obwohl US-Staatsoberhaupt Biden seine Unterstützung zugesagt hat und die Kassen hierfür vorerst offen bleiben, hätten die USA Kiew gegenüber deutlich gemacht, dass sie die Ukraine nicht unbegrenzt in dieser Höhe unterstützen können. Zudem wurde zwar die Unterstützung der Ukraine bislang weitgehend von beiden großen Parteien der USA mitgetragen, jedoch hat eine kleine, aber doch wachsende Zahl von Republikanern begonnen, ihre Skepsis über die Verwendung US-amerikanischer Gelder zur Unterstützung Kiews im Krieg kundzutun. Eine Unterstützung, die das Ende des von den USA auch noch geographisch ziemlich fernen Krieges bisher nicht in Sichtweite zu rücken vermochte.

Mit dem dritten Grund verbunden ist der vierte: Eine wachsende Unzufriedenheit Washingtons mit dem ukrainischen militärischen Kommando und dessen Mangel an Strategie, der zu ungerechtfertigten Verlusten an Personal und Gerät führt. Das beste Beispiel für das Letztgenannte ist das Geschehen in und um die Stadt Artjomowsk (in der Zarenzeit noch Bachmut genannt) am Frontabschnitt Donbass. Und das US-Blatt zitiert dazu mit Lloyd Austin gleich das schwerstdenkbare Kaliber – immerhin einen ausgewachsenen US-Verteidigungsminister:

"Sicherlich will ich die schier unfassbaren Bemühungen der ukrainischen Soldaten und Militärführung nicht herabsetzen, die sie in die Verteidigung Bachmuts investiert haben, doch ich denke, es ist eher von symbolischem Wert als von strategischem und taktischem."

Zahlreiche derartige Mahnungen und Aufforderungen vor allem seitens der USA, die nach neun Monaten schwerer Kämpfe nahezu zerstört Stadt aufzugeben, schlägt Kiew jedoch konsequent in den Wind, auch wenn es dadurch enorme Verluste davonträgt. Mehrere US-Regierungsbeamte seien deswegen neuerdings sehr besorgt: Das ukrainische Militär in und um Artjomowsk verausgabe sich im Hinblick auf Personal und Munition dermaßen, dass es damit seine Kapazitäten für eine Frühjahrsoffensive eigenhändig untergraben könnte, so die Journalisten. Schuld daran trage der Befehlshaber der ukrainischen Landstreitkräfte Generaloberst Alexander Syrski, der momentan die ukrainische, im Osten des Landes operierende Heeresgruppe Chortiza befehligt. Der gebürtige Russe verlautbarte mittels des Organs der ukrainischen Streitkräfte Military Media Center erst am 09. März 2023 allen Ernstes, es lohne sich für die Ukraine, so lange wie möglich an Artjomowsk festzuhalten, um Zeit zu schinden und Russland auszubluten:

"Jeder Tag der Verteidigung der Stadt erlaubt es uns, Zeit zu gewinnen, um Reserven anzulegen und zukünftige Offensivoperationen vorzubereiten. Gleichzeitig verliert der Feind in den Kämpfen um diese Festung den am besten vorbereiteten und kampffähigsten Teil seiner Armee – die Wagner-Sturmtruppen."

Natürlich ist Austins weiter oben angeführter Standpunkt zum strategischen Wert von Artjomowsk mehr als streitig. Bietet die Stadt als der größte und am besten verkehrstechnisch vernetzte Knotenpunkt im gesamten Donbass doch sehr guten Zugang zu vielen weiteren in der Region. Damit argumentiert Syrski aber zumindest öffentlich eben nirgends, darum geht es ihm zumindest erklärtermaßen gar nicht, sodass die Kritik des US-Außenministers am unsachgemäßen Einsatz von Mann und Material durch Generaloberst Syrski in Artjomowsk bestehen bleiben muss. Denn allen Fanfaren darüber zum Trotz, Russlands Militär sei in Artjomowsk gebunden und verliere dort übermäßig Mann und Material, verhält es sich genau anders herum: In der Tat ist Kiew dabei, seine kampffähigsten Brigaden von anderen Frontabschnitten und -Brennpunkten gerade in die Umgebung dieser Stadt abzuziehen. Auch vom Frontabschnitt Saporoschje, wo die ukrainische Frühjahrsoffensive sich ankündigte. Sprich, die Ukraine erleidet hier ebenso wie woanders weitaus höhere Verluste als Russland.

Und das, obwohl der russische private Militärdienstleister Gruppe Wagner in Artjomowsk nahezu im Alleingang (!) unerbittlich in schwerstem Häuserkampf vorrückt. Syrskis kundgetane Rechnung geht somit eben nicht auf, erst recht nicht auf längere Sicht. Nicht zuletzt ist auch die Information zum Munitionsmangel, den die Artilleristen der Wagner-"Musiker" aktuell leiden, in etwa genauso "leicht übertrieben" wie jeweils seinerzeit die Gerüchte um den Tod von Mark Twain, Josef Stalin oder vielen anderen auch, wie der Leiter der Gruppe Wagner Jewgeni Prigoschin ausdrücklich mitteilte.

Selenskij und Syrski gegen Saluschny

Damit bleibt zunächst festzuhalten, dass der ukrainische Generaloberst doch ein wenig sehr flunkert und eine ungerechtfertigt gute Miene zu einem bösen Spiel macht. Und es stellt sich die Frage, warum.

Europäische, vor allem aber britische Medien scheinen Syrski in der letzten Zeit geradezu zu ihrem Favoriten auserkoren zu haben. Insbesondere das renommierte Wirtschaftsmagazin The Economist hat sich hier mit Leitartikeln hervorgetan, die entweder Syrski gewidmet sind oder ihn positiv erwähnen. 

Dies kann kein Zufall sein. Syrski wird landläufig als Selenskijs Kreatur angesehen. Als solcher sollte er laut ukrainischen Medien den aktuellen Leiter des Generalstabs Valeri Saluschny ersetzen. Zu streng befolgt Saluschny anscheinend die Weisungen, die er aus Washington bekommt. Weisungen, die von zumindest etwas mehr Sachverstand zeugen als Selenskijs ständige Forderungen nach medienwirksamen Siegen, kosten sie was sie wollen. Dafür hätte Saluschny mit einer guten materiellen Entschädigung aus dem Weg befördert werden sollen. Als Verteidigungsminister hätte er weitaus weniger Einfluss auf das Kampfgeschehen, weil die Gesetzeslage in der Ukraine für diesen Posten Zivilisten vorschreibt und er somit aus dem Militär ausscheiden müsste.

Mit einer derartigen Perspektive ist der Generalstabsleiter unzufrieden. Er leitete im Oktober des Vorjahres einer anonymen ukrainischen Quelle zufolge eine Wirtschaftsprüfung in den Landstreitkräften der Ukraine ein – also in den Pfründen des Konkurrenten Syrski. Die Quelle leakte gleich ein Digitalisat des angeblichen entsprechenden Befehls seitens Saluschnys mit.

Mit einem solchen Schritt würde der ukrainische Generalstabsleiter nicht nur einen unliebsamen Konkurrenten aus dem Weg räumen, sondern auch seinen Lehnsherren in Washington, D.C. in die Hände arbeiten, die von der Ukraine einen effizienteren Einsatz von Geldern und Material fordern.

Die Kreatur einer Kreatur Londons

Doch zurück zu Syrski und Selenskij. So wie Syrski in seiner heutigen Position eine Kreatur Selenskijs ist, so scheint seinerseits auch Selenskij selbst in einer Abhängigkeitsbeziehung zu stehen … mit London. Zumindest scheint der MI-6 von allen westlichen Geheimdiensten auf den ukrainischen Präsidenten den größten Einfluss zu haben. Jan Baranowski, Oberst eines russischen Nachrichtendienstes im Ruhestand, erklärte im Mai des Vorjahres im Gespräch mit der russischen sozial-analytischen Wochenzeitung Argumenty Nedeli, Selenskij sei bereits seit langer Zeit erfolgreich vom MI-6 geworben worden:

"Unsere verdeckte Aufklärung hat bereits vor zehn Jahren seine geheimen Kontakte mit britischen Geheimdiensten offengelegt. Damals traf sich der beliebte Komiker mit seinen Londoner Strippenziehern in geheimen Wohnungen."

Geworben wurde Selenskij weder mit Hilfe der sprichwörtlichen Venusfalle – seiner Frau bleibe der ukrainische Präsident stets treu – noch über seine Vorliebe für Kokain, so Baranowski:

"Irgendwelches kompromittierende Material gab es gar nicht. Alles ist viel gewöhnlicher: Er wurde auf banalste Weise gekauft, mit Haut und Haaren."

Geld habe Selenskij für den Kauf und den Unterhalt seiner Wohnung auf der Krim wie der Villa in Großbritannien mit zwei gepanzerten Lexus LX in der Garage bekommen, wo seine Eltern, bewacht von vier Bodyguards aus den Reihen ehemaliger SAS-Soldaten, ihren Lebensabend verbringen.

"Doch vor allem wurde über die ukrainischen Oligarchen Kolomoiski und Achmetow seine Wahlkampagne zur Präsidentschaft der Ukraine finanziert."

Selbst wenn man der Information des russischen Geheimdienstmitarbeiters zunächst keinen Glauben schenkt: Für sie spricht die Tatsache, dass sich zum Beispiel der CIA-Leiter William Burns für alle seine bisher bekannten Treffen mit Selenskij nach Kiew begeben hatte, während hingegen Wladimir Selenskij für die Treffen mit der Leitung des MI-6 anscheinend höchstselbst nach London reist.

Ein solches Treffen zog am 12. Oktober 2020 die Aufmerksamkeit der Medien auf sich. Der ukrainischen Wochenzeitung Serkalo Nedeli wurden Informationen über dieses Treffen zugespielt, die Selenskij wohl eigentlich geheimhalten wollte. Dort, im Hauptquartier des MI-6 an der Albert Embankment, soll Selenskij von dessen Leiter Richard Moore richtiggehend angezählt worden sein. Selenskij suche sich seine Umgebung – die offizielle, also die Mitarbeiter für sein Präsidialamt, wie die informelle – zu sorglos aus, sodass diese schädlichen Einfluss auf ihn nehme. Außerdem wurde Selenskij für seine Angriffe auf die die Antikorruptionsorgane der Ukraine und Versuche, die Nationale Antikorruptionsagentur, die Spezialisierte Antikorruptions-Staatsanwaltschaft und das Büro des Generalstaatsanwalts nebst diversen Staatsanwaltschaften der Ukraine unter seine persönliche Kontrolle oder die seines Präsidialamtes zu stellen, gerügt.

Mit der Veröffentlichung konfrontiert, leugnete der ukrainische Präsident den von der Zeitung behaupteten Inhalt seiner Gespräche mit Richard Moore. Besprochen wurden Belange des Schutzes der Souveränität und territorialen Unversehrtheit der Ukraine. Nicht zuletzt die Finanzierung einiger ukrainischer Medien nicht durch Ukrainer, sondern durch "diverse Gruppierungen", so Selenskij. Alles Weitere sei streng geheime Staatssache. Dafür gab Selenskij den Gesprächsort auf seiner offiziellen Internet-Seite zu und trat gleich auch beherzt in einen weiteren diplomatischen Fettnapf: So wurde vom ukrainischen "Wochenspiegel" Serkalo Nedeli behauptet, der damalige Leiter des ukrainischen Geheimdienstes SBU Iwan Bakanow und der MI-6-Leiter Richard Moore hätten am zweistündigen Gesprächstreffen teilgenommen, so leugnete Selenskij die Aufstellung laut der Zeitung.

Unabhängig davon, was und in welchem Ton tatsächlich besprochen wurde: Ein Treffen mit Vertretern eines ausländischen Geheimdienstes in dessen Hauptsitz, und sei es noch so überlebenswichtig, hat ein Präsident nach der heute gegebenen diplomatischen Etiquette einfach nicht persönlich wahrzunehmen. Erst recht durfte es in keiner der beiden Aufstellungen geschehen, wie sie sich aus Selenskijs Kommentar ergeben – also in einer Konfiguration, bei der entweder Moores ukrainischer Kollege Bakanow draußen warten musste oder der MI-6 Leiter durch einen rangniederen Mitarbeiter vertreten wurde. Die Tatsache, dass er dieses Treffen nicht von sich aus, sondern erst nach der Veröffentlichung durch Dritte offiziell kommentierte, setzt hier nur das i-Tüpfelchen.

Die Folgerungen aus dieser Information möge ein Jeder selber ziehen.

Krieg mit optimaler Kosten-Nutzen-Risiko-Rechnung oder bis zum letzten Ukrainer

Es liegt nahe, dass die Spaltung zwischen dem vergleichsweise "gemäßigten" Teil der US-Eliten, vertreten durch die Biden-Regierung und den Falken, ihr Pendant nicht nur wie beschrieben in der Ukraine selbst hat. Eine ähnliche Spaltung scheint zwischen der Biden-Regierung und London vorzuliegen. Zwar wünschen sich alle westlichen Puppenspieler der Marionetten in der Ukraine im Idealfall eine Niederlage Russlands im Stellvertreterkrieg gegen den Westen in der Ukraine.

Aber erstens sind die Herangehensweisen der USA und Großbritanniens an die Führung des westlichen Stellvertreterkriegs gegen Russland in der Ukraine sehr unterschiedlich. Wo die USA Russland am ehesten militärisch und wirtschaftlich schaden wollen, legt das Vereinigte Königreich deutlich größeren Augenmerk auf die mediale Begleitung des Ganzen. Dies erklärt sich einerseits mit Tradition, hat London sich doch in der Vergangenheit mit ebenso gut getarnten wie reichlich finanzierten und penibelst durchdachten medialen Kampagnen etwa in Syrien gegen dessen legitime Regierung unter Baschar al-Assad sowie in den baltischen Staaten und gegen Russland hervorgetan. Auch die oben angeführte Information des russischen Geheimdienst-Obersts im Ruhestand Jan Baranowski zu Selenskijs Werdegang gewinnt durch das, was man über diese beiden Kampagnen weiß, an Glaubwürdigkeit, da sie sich doch nahtlos in diese Reihe einfügen würde: Spielte Selenskij doch bereits den Präsidenten der Ukraine in einer Fernsehserie Namens "Volksdiener" – wie seine Partei, von der er in dem Wahlkampf ging und jetzt "regiert". Seine Herangehensweise an das Gemetzel bei Artjomowsk, wo Kiew immer und immer weitere Truppen hinschickt, die vom russischen Militär aufgerieben werden, nur damit vielleicht ein schönes Bild entsteht, das die westlichen Medien ihrem Publikum verkaufen und das von diesem bereitwillig geschluckt wird, zeugt ebenfalls mittelbar von einer bedeutenden britischen Beteiligung.

Nicht zuletzt würde ein solches mediales Bild von "standhaften Verteidigern der Festung Bachmut" auch den Falken in den USA in die Hände spielen. Diese würden dadurch die weitere Versorgung der Ukraine mit Rüstungsgütern aus den USA mindestens aufrechterhalten, wenn nicht sogar ausbauen können. Dieser Überlegung kommt für London aber enorme Wichtigkeit zu: Wegen seiner (im Übrigen den USA geschuldeten) fortlaufenden Deindustrialisierung könnte mittlerweile nicht einmal mehr ganz Europa von Polen und Rumänien und den skandinavischen Staaten bis Italien und Portugal die weitere Kriegsführung des Westens in der Ukraine ohne US-Hilfen schultern. Von einem Alleingang Großbritanniens ganz zu schweigen.

Das führt zum zweiten Punkt, denn die Spaltung verläuft auch zwischen der jeweiligen Einsatzhöhe der beiden Spieler. Washington würde sich im Zweifelsfall anscheinend auch mit einem Rückzug aus der Ukraine wie einst aus Afghanistan zufriedengeben. Natürlich würde man dort zuvor am liebsten Russland einerseits und andererseits der Europäischen Union als Konkurrent auf dem Weltexportmarkt den größtmöglichen Schaden zufügen. Wichtiger aber scheint für die USA sogar unter Biden und den Demokraten eine weitere Überlegung zu sein – und unter einer republikanischen Regierung wird es nahezu eine Sicherheit: Man will sich dabei auf keinen Fall eskalierend in einen unmittelbaren Krieg mit Russland hineinmanövrieren oder sich im Vorfeld eines Konflikts mit China um dessen abtrünnige Provinz Taiwan militärisch wie wirtschaftlich zu sehr verausgaben.

Für Großbritannien geht es aber wohl um viel mehr. Im vom Westen geplanten Intermarium-Projekt würde sich London am liebsten ein Gegengewicht zum und die Möglichkeit einer Einflussnahme auf das von Washington dominierte Polen sichern – eben die Ukraine. Dadurch würde das seit dem Zweiten Weltkrieg im Schatten der USA nahezu untergehende Großbritannien sich wenigstens ein Stückchen der Macht, die es einst als Imperium, über dem die Sonne niemals untergeht, hatte, zurückholen. Somit ist die Bedeutung des Ukraine-Krieges für London zwar keine existenzielle wie für Russland, sie kommt aber recht nah heran. Immerhin zündelte London selbst dann an der Ukraine herum, als sogar Washington sich deutlich gemäßigter gab.

Wenn der Westen den Krieg verlieren sollte, dann soll er ihn aus Londons Sicht vorher wenigstens bis zum letzten Ukrainer geführt haben, eben um Russland als einem geopolitischen Gegner mit einer jahrhundertelangen Geschichte mit fremden Mitteln und fremden Händen noch eins auszuwischen. Einen großen Teil der männlichen (und, wer weiß, vielleicht auch einen Teil der weiblichen) Bevölkerung der Ukraine, wie zombifiziert dieses Brudervolk momentan auch sein mag, auf dem Schlachtfeld vernichten zu müssen – das würde auf Dauer Russlands Wirtschaft und mental auch Russlands Volk schädigen.

Nur in Großbritannien sind ukrainische Diplomaten bisher so tief gesunken, die Partnerschaft ihres Landes damit an den Westen zu vermarkten, dass es für ihn bereit sei, "so viele Menschenleben, Territorien und Jahrzehnte der Entwicklung zu opfern, um den Erzfeind" des Westens zu besiegen.

Nicht umsonst.

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