Das Ende der Pandemie ist nicht der Anfang der Aufarbeitung
von Tom J. Wellbrock
Es ist klar, dass Karl Lauterbach (den böse Zungen als pathologischen Inhaber des Amtes für Gesundheit bezeichnen) vor dem Ende der Maßnahmen warnt. Er kann nicht anders, will nicht anders und darf auch nicht anders, zumindest dann nicht, wenn er sich vor dem Spiegel selbstbewusst „Ich bin wichtig, ich bin wichtig!“ einreden will. Aber Lauterbach ist längst nicht das größte Problem.
Deutlich wichtiger ist die Tatsache, dass Lauterbach (den andere böse Zungen auch schon mal „Lügen-Karl“ nennen) überhaupt noch im Amt ist. Er hat sich in jeder erdenklichen Variante selbst disqualifiziert, hat gelogen, getäuscht und durch seinen politischen Amtsstatus viel Leid angerichtet. Minister sind schon wegen deutlich weniger zurückgetreten (worden), auch wenn der letzte Rücktritt aus sachlichen Gründen gefühlt 800 Jahre her ist. Heute macht man das nicht mehr, und wundern kann das nicht, säßen wir doch dann vermutlich vor einem halb leeren Bundestag (wobei das nicht wirklich von Nachteil wäre).
Aufarbeitung? Wozu?
Der folgende Tweet ist nichts Besonderes:
Drosten erklärt die Pandemie für beendet. Ab heute laufen Querdenker mit Maske rum, weil die da oben uns alle anlügen!!1_1!!!!-1!#MachtEuchEureEigenenGedanken#IchStelleNurFest#HierPassiertWas
— Abdelkarim💎 (@AbdelkarimsLP) December 26, 2022
Auch dass er von Abdelkarim stammt, ist nicht außergewöhnlich. Wir haben uns daran gewöhnt, dass ein Großteil deutscher Kabarettisten sich längst in den staatlich-politischen Schoß gelegt haben, wo sie Daumen nuckelnd nachplappern, was ihnen Dummköpfe auf die Zunge schieben. Insofern: kein großes Ding.
Besonders ist etwas anderes. Es ist die nahezu kollektive Weigerung all jener, die mehr als zwei Jahre lang auf Andersdenkenden herumgetanzt sind, genau das zuzugeben und Konsequenzen daraus zu ziehen. Ulrich Montgomery, ehemaliger Oberlobbyist der Bundesärztekammer, wiederholte sogar kürzlich seine zutiefst verachtende Aussage, nach der wir es mit einer „Tyrannei der Ungeimpften“ zu tun gehabt hätten.
Sie sind im Unrecht. All jene, die mitgemacht haben, denken nicht im Traum daran, um Entschuldigung zu bitten, einzuräumen, dass sie falsch gelegen und einzugestehen, dass sie teils Unmenschliches von sich gegeben haben. Im Gegenteil, stellvertretend für die große Gruppe der Täter steht Abdelkarim, der noch immer der Meinung ist, auf „Querdenker“ eindreschen zu müssen. Auf die Menschen also, die zu einem maßgeblichen Anteil die allgemeine Impfpflicht verhindert haben dürften.
Wir werden einander viel zu verzeihen haben, sagte der ehemalige Gesundheitsminister Jens Spahn, um dann ein Buch darüber zu schreiben. Doch es ist nicht viel zu sehen vom Verzeihen, es ist nicht zu erkennen, dass jemand Abbitte leistet. Es ist nicht zu vernehmen, dass diffamierte und ausgestoßene Menschen rehabilitiert werden. Das Gegenteil ist der Fall!
Immer sachte mit den toten Pferden
Von einer ernsthaften und selbstkritischen Aufarbeitung ist weit und breit nichts zu sehen, und das wird sich vermutlich in absehbarer Zeit auch nicht ändern. Was aber ist mit den Coronamaßnahmen? Lauterbach (den böse Zungen auch schon mal „Fake-Professor“ nennen) stimmt dem „Godfather“ Drosten zwar zu, sieht auch keine Pandemie mehr (andere böse Zungen vermuten aber, dass er nach wie vor Stimmen hört), doch es gelte unverändert, vulnerable Gruppen zu schützen. Daher schlägt er weiter Maskenpflicht in Pflegeeinrichtungen vor. Die betreuten Menschen werden sicher einen ehrfürchtigen Knicks vor ihm machen vor lauter Dankbarkeit.
Und es gibt da ja noch ein anderes Problem: die Krankenhäuser. Auf tagesschau.de ist nachzulesen:
"In der Debatte über Coronaregeln lehnt Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach ein sofortiges Ende aller Schutzmaßnahmen ab. 'Die Kliniken sind voll, das Personal überlastet, die Übersterblichkeit ist hoch, und der Winter ist noch nicht zu Ende', sagte der SPD-Politiker auf Anfrage der Nachrichtenagentur epd. 'Ein sofortiges Beenden aller Maßnahmen wäre leichtsinnig und wird auch von Christian Drosten nicht gefordert.'"
Damit impliziert die personifizierte Pathologie-Kompetenz, dass die desaströse Situation in den Krankenhäusern und dem Gesundheitssystem im Allgemeinen etwas mit Corona zu tun hätten. Die Redaktion der Tagesschau sticht sich vehement den Kugelschreiber ins Auge und übernimmt den Unsinn einfach so.
Weiterhin ist also auch in den "Qualitätsmedien" nicht die Rede von einem desaströsen System, das auf Rendite getrimmt wurde, bis der Arzt kommt und sofort wieder geht, weil er es nicht erträgt, jeden Menschen als Dollarzeichen wahrzunehmen.
Zudem: Viele Maßnahmen sollen ohnehin noch weiterlaufen, das tote Pferd Corona wird geritten, bis die Hufe klingeln. Die Polit-Profis streiten zwar noch darüber, welche Maßnahmen zur Sicherheit erhalten bleiben und welche nicht. Aber Kevin-allein-zu-Haus-Kühnert hat schon mal klargestellt, wo der Frosch die Locken hat:
"Der Generalsekretär der SPD, Kevin Kühnert, plädierte im gemeinsamen Morgenmagazin von ARD und ZDF für das Einhalten des Infektionsschutzgesetzes. Das sieht bis 7. April 2023 besondere Schutzmaßnahmen vor, wie etwa eine Maskenpflicht im öffentlichen Personenfernverkehr sowie beim Zutritt zu bestimmten Einrichtungen wie Krankenhäusern, Alten- und Pflegeheimen oder Arztpraxen. In dem Gesetz seien, so Kühnert, gegenüber dem, 'was wir in den letzten drei Jahren hatten, nur noch ganz wenige Maßnahmen drin.'"
Herr Kühnert, der arme Kerl, weiß offenbar nicht, was ein Ende der Pandemie bedeutet: Es heißt, dass Corona jetzt zum ganz normalen Lebensrisiko gehört, vergleichbar mit der Tatsache, dass kein Wähler Einfluss darauf hat, wem er am Ende zu einem Schreibtischstuhl verhilft, an dem sich der betreffende Politiker notfalls festklebt, um ihn nicht wieder räumen zu müssen. Wie massiv dieses Risiko sein kann, wissen wir seit der personellen Zusammensetzung der Ampel-Koalition.
Es wird weitergehen
Machen wir uns nichts vor: Eine Aufarbeitung wird nicht stattfinden. Einfach weil es weder um die Gesundheit der Menschen ging, noch darum, einen sinnvollen und allen Menschen helfenden Ausweg aus der Situation zu finden.
Nimmt man einmal an, dass es keinen zuvor festgelegten Plan für diese Pandemie gegeben hat (was mittels einer erheblichen Zahl von Indizien durchaus auch anders gesehen werden kann), verhält es sich vermutlich so, dass die herrschende Politik zu Beginn der Corona-Episode tatsächlich überrascht und kopflos agiert hat. Doch das dauerte nicht lange.
Nach einigen Wochen fiel politischen Verantwortungsträgern auf, dass sich mit dieser Corona-Episode einiges anstellen lässt. Die kontinuierlich zunehmenden Maßnahmen wurden immer absurder und strenger, der Umgang mit Andersdenkenden radikaler und aggressiver. Nicht wenige (bei Weitem nicht nur Politiker) genossen es ganz offen, mit Hass und Hetze gegen die vorzugehen, die sich nicht an das vorgegebene Narrativ halten wollten. Erinnerungen an dunkle Zeiten wurden wachgerufen, die Sorge vor einer Diktatur oder einem totalitären Staat wuchs bei vielen kritischen Geistern merklich an.
All diese Sorgen waren berechtigt. Die von Olaf Scholz angekündigte „neue Normalität“, die „keine roten Linien“ mehr kennt, zieht sich durch das gesellschaftliche Leben und gipfelt derzeit in der Umgehensweise mit Menschen, die nicht auf eine Verlängerung des Krieges in der Ukraine setzen, sondern auf Diplomatie. Auch sie werden diffamiert, ausgegrenzt, in ihren Jobs bedroht und mehr.
Man sollte meinen, dass genau dieses Prinzip nach mehr als zwei Jahren Corona undenkbar geworden wäre. Mittels einer Aufarbeitung hätte man feststellen können, was alles schiefgelaufen ist, wie unmenschlich der Umgang mit Minderheiten während der Corona-Episode war. Hätte diese Aufarbeitung stattgefunden, wäre es zwangsläufig zu einem differenzierteren Umgang mit dem gesellschaftlichen Diskurs gekommen, nachdem der aktuelle Ukraine-Krieg ausgebrochen war.
Aber, wie gesagt, es wird weiter gehen. Und es ist beileibe nicht so, dass die Aufarbeitung aus Bequemlichkeit oder Furcht vor Konsequenzen ausbleibt. Es wird sie nicht geben, weil am Prinzip festgehalten wird. Die einzige Aufarbeitung, die vorstellbar ist, fällt so aus, dass die nächsten vergleichbaren Situationen noch „besser“ gemeistert werden. Nicht für die Menschen, nicht für die Gesellschaft. Sondern für die, die uns in diese Katastrophe hineingeritten haben.
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