Twitter-Files Folge 9: Zensur bei Twitter – oder: die "andere Regierungsagentur"
Von Dagmar Henn
Zur Einleitung der nächsten Runde Veröffentlichungen aus den Twitter-Files meldete der Journalist Matt Taibbi, das FBI habe auf die bisherigen Daten reagiert: "Die Männer und Frauen des FBI arbeiten jeden Tag daran, die amerikanische Öffentlichkeit zu schützen ... Unglücklicherweise füttern Verschwörungstheoretiker und andere die amerikanische Öffentlichkeit mit Desinformation, mit dem einzigen Ziel zu versuchen, die Behörde zu diskreditieren."
3.They must think us unambitious, if our “sole aim” is to discredit the FBI. After all, a whole range of government agencies discredit themselves in the #TwitterFiles. Why stop with one?
— Matt Taibbi (@mtaibbi) December 24, 2022
Taibbi spottete dazu: "Sie müssen denken, dass wir keinen Ehrgeiz haben, wenn unser "einziges Ziel" sein soll, das FBI zu diskreditieren. Schließlich diskreditiert sich eine ganze Reihe von Regierungsbehörden in den #TwitterFiles selbst. Warum bei einer aufhören?"
Das FBI sei schließlich nur die Verbindungsstelle für ein ungeheures Netzwerk der Überwachung und Zensur sozialer Netzwerke gewesen, an dem verschiedenste Bundesbehörden beteiligt gewesen seien, vom State Department über das Pentagon bis hin zur CIA.
Die Beteiligung des Pentagon wurde bereits in einer früheren Folge der Twitter-Files belegt. In den Dokumenten, die am Weihnachtsabend veröffentlicht wurden, geht es vor allem um die Absicherung des außenpolitischen Narrativs, aber auch um weitere Beteiligte in diesem Netzwerk. Die 80 Mitglieder der Foreign Influence Task Force (FITF), also der Arbeitsgruppe zur Bekämpfung ausländischen Einflusses, seien nur die Spitze des Eisbergs.
In einer Mail vom 29. Juni 2020 tauchte ein neues Kürzel auf; Elvis M. Chan vom FBI-Büro San Francisco fragte, ob er eine Einladung an einen "OGA" schicken könne. OGA entschlüsselt sich als "other government agent", einen anderen Regierungsagenten, und in diesem Falle steht das höchstwahrscheinlich für einen Vertreter der CIA. Taibbi hat sich an diesem Punkt bei Ray Mc Govern, dem Gründer von Veteran Intelligence Professionals for Sanity, einem langjährigen CIA-Mitarbeiter, rückversichert, und erhielt von diesem zur Antwort: "Andere Regierungsagentur (der Ort, an dem ich 27 Jahre lang gearbeitet habe)."
Am 8. Juli bestätigte das Twitter-Leitungsmitglied Stacia Cardille zu einem am folgenden Tag anstehenden Termin: "Ich habe das FBI eingeladen, und ich glaube, dass die CIA ebenfalls virtuell teilnehmen wird." Auch bei den Treffen der FITF waren wiederholt Vertreter von OGA, also der CIA, anwesend; in der Regel, so Taibbi, zwei.
Die Treffen der FITF mit Twitter beinhalteten auch Unterrichtungen der CIA über verschiedene Länder:
Das FITF war die Verbindungsstelle, die an die Twitter-Verantwortlichen die Listen mit den zu löschenden Accounts schickte. So heißt es in einer Mail vom 3. November 2020: "Das Notfalleinsatzzentrum des FBI San Francisco schickte uns den angehängten Bericht mit 207 Tweets, von denen sie annehmen, dass sie gegen unsere Richtlinien verstoßen haben."
Auch das FBI Baltimore und weitere Niederlassungen schickten vor den Präsidentschaftswahlen 2020 regelmäßig Excel-Tabellen mit zu löschenden Tweets oder Konten. Die Behörde war derart eifrig, dass sich Stacia Cardillo am 28. Oktober 2020 über die Menge beklagte: "Wir haben einige Probleme mit dem Rückstau unsere Wahlanstrengungen betreffend." Die Dienstleistung, die in diesem Fall die Twitter-Mannschaft überforderte, war, Tweets, die von Regierungsbehörden stammten, zu pushen, was in Ergänzung zu den Löschaktivitäten auch noch geschah.
Der Eifer der Behörden muss ihre Partner bei Twitter wirklich überfordert haben. Am 3. November schrieb Stacia Cardille: "Sie haben in der Niederlassung in Baltimore und im Hauptquartier einige Leute, die nur Stichwortsuchen zu Verletzungen machen. Das ist vermutlich die 10. Anfrage, die ich in den letzten 5 Tagen bearbeiten musste ..." Selbst der ehemalige FBI-Anwalt Jim Baker wunderte sich darüber: "Schon eigenartig, dass sie nach Verletzungen unserer Richtlinien suchen."
Man könnte dazu auch sagen, dass das FBI mit dieser Tätigkeit zu seinen Wurzeln zurückgekehrt ist. Die Behörde, die J. Edgar Hoover ab 1935 führte, lieferte beispielsweise eine fast komplette Übersicht über den Tagesablauf des deutschen Komponisten Hanns Eisler, der in Hollywood im Exil lebte, weil sein Bruder Gerhard verdächtigt wurde, für die Komintern tätig zu sein (diese Akten kann man, wie andere, auf archive.org einsehen). Natürlich ging es damals noch nicht um digitale, sondern um persönliche und akustische Überwachung, aber der Eifer, Überwachung zur Durchsetzung politischer Interessen zu nutzen, scheint heute auf die alten Höhen zurückzukehren. Und auch bei Twitter stieß sich niemand daran, dass eine Arbeitsgruppe, die angeblich mit der Abwehr ausländischer Beeinflussungen befasst war, sich immer tiefer durch die heimische Kommunikation grub.
Gleichzeitig sollte die Mannschaft von Twitter dem FBI Belege für solche Beeinflussungen aus dem Ausland liefern, und scheiterte oft daran. Hier führt Taibbi eine Mail aus dem März dieses Jahres an, in der ein Twitter-Beschäftigter erklärte, er habe die Konten überprüft und keine Verbindung nach Russland gefunden; selbst die Telefone, die mit ihnen verknüpft seien, ergäben keinen Hinweis auf Russland. Aber weil es sich um "pro-russischen Inhalt" handele, sei er gerne bereit, sich zu beraten und weiter nach einer solchen Verbindung zu suchen. Selbst eine "sich aus den Umständen ergebende, extrem geringe, Wahrscheinlichkeit einer Verbindung" wurde willig weiter verfolgt.
Auslöser für solche Nachforschungen waren immer die Inhalte. Dabei traf es nicht nur "pro-russische", sondern auch "pro-Maduro"-Tweets, denen ebenfalls eine Verbindung zu der in NATO-Kreisen legendären angeblichen Petersburger "Trollfarm" Internet Research Agency unterstellt wurde.
Die politische Bildung der Auftraggeber hält sich dabei in sehr engen Grenzen. Ein Konto namens InfoBRICS wurde offenbar, selbst zur Verblüffung des Twitter-Bearbeiters, von den "Regierungspartnern" – in diesem Fall höchstwahrscheinlich der CIA – direkt dem russischen Militärgeheimdienst GRU zugeschrieben, mit der Begründung, dass BRICS eine "von Natur aus durch Russland dominierte ökonomische Organisation" sei, weshalb ein solches Twitter-Konto "vom Kreml geführt" würde.
Warum zwischen China und Indien, die ebenfalls zu den Gründungsmitgliedern von BRICS gehören und beide bedeutend größer und wirtschaftsstärker sind als Russland, ausgerechnet Russland die Kontrolle haben sollte, und dann für eine zivile Organisation ausgerechnet der Militärgeheimdienst zuständig sein soll, ist nicht wirklich schlüssig; im Grunde belegt dieses Detail nur, dass hinter allem, was auch nur entfernt mit Russland zu tun hat, gleich russische Spione vermutet werden.
In diesem konkreten Falle ging das selbst dem Zensor bei Twitter zu weit. "Nachdem wir keine technischen Beweise haben, habe ich das gelassen und warte auf mehr Beweise." Aber weiter schrieb er in dieser Mail vom 1. Oktober 2020: "Ich denke, dass sich unser Fenster dafür schließt, da unsere Regierungspartner in der Zuordnung und ihrer Berichterstattung darüber immer aggressiver werden."
Es sind solche Aussagen, die die entscheidenden Fragen beleuchten, die die Twitter-Files aufwerfen: bis zu welchem Punkt der Folgsamkeit, bis zu welchem Grad der direkten Anweisung kann man Twitter und andere soziale Netzwerke noch als private Unternehmen sehen und nicht als Teile der Exekutive, und bis zu welchem Punkt darf eine Regierung über die Kontrolle über Kommunikationsplattformen die Meinungsbildung der Bevölkerung beeinflussen? Die Frage einer demokratischen Legitimität stellt sich schließlich nicht nur im Zusammenhang mit Einflussnahme von Außen; sie stellt sich fast noch schärfer in Bezug auf Einflussnahme im Inneren.
Nicht nur Twitter war Empfänger solcher Zensurverlangen; Taibbi veröffentlichte auch ein schönes Beispiel vom April dieses Jahres, in dem es um eine ganze Reihe von afrikanischen Webseiten geht, die von den "anderen Regierungsbehörden" ebenfalls der Internet Research Agency zugeschrieben werden. Dabei muss man beachten, dass in Afrika die Webseiten ein modernes Nachrichtenwesen überhaupt erst ermöglicht haben, da Tageszeitungen immer nur von einem sehr kleinen Teil der Bevölkerung gelesen wurden, gerade mobiles Internet aber inzwischen omnipräsent ist.
Es kann also nicht ausgeschlossen werden, dass russische Dienste ebenso wie westliche diese Möglichkeit nutzen, um die öffentliche Meinung in afrikanischen Ländern zu beeinflussen, aber die Unterstellung der CIA lautet in diesem Fall, der russische Betreiber wolle seine afrikanischen Webseiten selbst enttarnen, um damit der Wahlkampagne von Emanuel Macron zu schaden; eine Logik, der nur schwer zu folgen ist.
Schließlich ist, wenn man Frankreich schaden wollte, der Kolonialpakt der wunde Punkt, der nach wie vor jährlich Milliarden aus den Haushalten der Ex-Kolonien heraus- und in den französischen hineinschaufelt; es wäre ausgesprochen kontraproduktiv, Einflussmöglichkeiten für solch periphere Ereignisse wie die französischen Wahlen preiszugeben, wobei noch dazu kommt, dass es auf die Entscheidung der französischen Wähler keinerlei Einfluss haben dürfte, welche Webseiten im Senegal von wem betrieben werden.
Die Liste oberhalb des Texts allerdings umfasst wirklich alle bedeutenden US-amerikanischen Akteure im Internet:
Es muss nicht wundern, dass versucht wird, das außenpolitische Narrativ direkt zu decken. Wer die deutschen Gegenstücke kennt, wird feststellen, dass der Ansatz, Berichte über Nazis in der Ukraine zum Produkt russischer Propaganda zu erklären, der Gleiche ist. Wobei man in diesem Zusammenhang die australische Untersuchung nicht vergessen sollte, die belegte, dass 80 Prozent der identifizierbaren Trolle in den sozialen Netzwerken pro-Ukraine-Trolle waren, und nachweislich das Thema Ukraine seit der Übernahme durch Musk bedeutend weniger Aufmerksamkeit auf sich zieht ...
In der Grafik geht es um ein einzelnes Konto, das in 3.900 Tweets erwähnt wurde, einem Viertel derer, in denen es um die Ukraine ging; das Profil stammt bereits aus dem Jahr 2011, was eigentlich eine natürliche Person nahelegt, und ist in Weißrussland verortet, aber allein die Tatsache, dass Ähnlichkeiten zwischen der ukrainischen Regierung und den Nazis im Zweiten Weltkrieg sowie der Einfluss der USA auf diese Entwicklung thematisiert werden, führt zur Einordnung als Konto einer "russischen Trollfarm". Auch die Tatsache, dass die Aktivität nach dem 24. Februar einen Höhepunkt erreichte, belegt eigentlich nichts.
Zitiert werden einzelne Aussagen aus diesem Account: "Sowohl Washington als auch Kiew stellen alles, was im Donbass passiert, auf den Kopf. Sie lügen offensichtlich." Oder: "Kiew provoziert Russland, indem es die Menschen von Donezk und Lugansk angreift. Russland macht so etwas nicht. Biden stützt ständig Selenskijs Lügen."
Die Listen zur Löschung von Konten könnten durchaus tausend oder mehr Positionen umfassen. "Diese Konten sind mit dem Maduro- (VEN) & Diaz-Canel (CUB)-Regime verbunden UND verbreiten Hashtags gegen Bolsonaro und für Lula, wurden zuvor aber noch nicht gemeldet."
Besonderen Unwillen erregte bei der "anderen Regierungsagentur" eine Webseite, die sich gezielt mit Menschenrechtsverstößen in der Ukraine befasste. Auch dahinter sah die CIA wieder die russischen GRU. Taibbi sieht diesen Vorwurf entspannt: "Die Information über die zweifelhaften Ursprünge dieses Kontos mögen wahr sein. Aber das könnte auch auf einige der Informationen darauf zutreffen – über Neonazis, Rechtsmissbräuche im Donbass, sogar, was die eigene Regierung betrifft. Sollten wir solches Material blockieren? Sollte es der Regierung erlaubt sein, Amerikaner (und andere) daran zu hindern, Konten zu sehen, die für Maduro oder gegen die Ukraine sind?"
Die CIA, so schließt Taibbi diese jüngste Reihe von Dokumenten, habe sich zu den Vorwürfen noch nicht geäußert.
Mehr zum Thema - Part 8 der Twitter-Files: US-Militär und Manipulationswünsche des Pentagon
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