Meinung

Moderiere und verbanne: Die Operation der EU gegen Elon Musk

Die Behörden der Europäischen Union bemühen sich, ihre mühselig aufgebaute Social-Media-Welt vor dem "Absolutisten der Redefreiheit", Elon Musk, zu verteidigen. Dass Twitter ein Unternehmen in Privatbesitz ist, scheint für sie dabei keine Rolle zu spielen. 
Moderiere und verbanne: Die Operation der EU gegen Elon MuskQuelle: Gettyimages.ru © STR/NurPhoto

Von Matthieu Buge

Nach der Übernahme von Twitter durch Elon Musk und den jüngsten Reaktionen der Brüsseler Bürokraten darauf, ist deutlich geworden, wie weit die EU zu gehen bereit ist, um ihre eigene Blase der politischen Agenda aufrechtzuerhalten.

Genauso wie man ein spezielles Glossar benötigt, um Immanuel Kants Werke und sein eigenes Verständnis bestimmter Begriffe und Konzepte zu verstehen, braucht man immer deutlicher ein spezielles Glossar, um die Sprache der EU zu verstehen. Und der erste Eintrag, den man nachschlagen müsste, stünde unter "F" – für Freiheit. Der Begriff "Freiheit" ist der erste Begriff im Wahlspruch der heutigen Französischen Republik. Und mit der Übernahme von Twitter durch Elon Musk und dem Wunsch des Milliardärs, die totale Meinungsfreiheit auf der Plattform wiederherzustellen, haben wir eine neue Gelegenheit bekommen, diesen Begriff zu entschlüsseln.

Der französische Präsident Emmanuel Macron kommentierte die französisch-amerikanische Partnerschaft während seiner Rede im Weißen Haus am 1. Dezember mit den Worten: "Unsere beiden Nationen sind Schwestern im Kampf für die Freiheit." Worte, die durchaus mit der Rhetorik der EU über die Freiheit des chinesischen Volkes korrelieren, angesichts der Null-COVID-Politik der Kommunistischen Partei Chinas; über die Freiheit der Uiguren im Westen Chinas; die Freiheit jener Russen, die sich dem Kreml widersetzen oder die Freiheit der iranischen Frauen, die wie westliche Frauen leben wollen. Man könnte diese Liste endlos fortsetzen, weil sie sich ständig per se erweitert und sich an den jeweiligen, aktuellen Kontext der Geopolitik anpasst.

Als Konzept ist Meinungsfreiheit wirklich eine Illusion, da sie wie alles andere auf der Welt von Machtverhältnissen bestimmt wird. Die EU hat diese schwer zuzugebende Tatsache bewiesen, als sie RT und Sputnik nach Beginn der russischen Sonderoperation in der Ukraine umgehen verboten hat. Und es besteht kein Zweifel, dass dieses abgedroschene Konzept seit Ewigkeiten in der Geopolitik angewendet wird, was gleichzeitig eine amüsante, wenn auch erbärmliche Doppelmoral darstellt.

Aber doppelte Standards sind nicht wirklich das Problem. Was auf dem Spiel steht, ist die reine Logik. Thierry Breton, EU-Kommissar für den Binnenmarkt, suchte mit Elon Musk das Gespräch, um ihm gegenüber den Standpunkt von Brüssel klarzumachen. Er sagte anschließend: "Ich begrüße die Absichtserklärung von Elon Musk, Twitter 2.0 für das GdD (Gesetz über digitale Dienste) fit zu machen. Ich freue mich zu hören, dass er das Gesetz sorgfältig gelesen hat und es für einen vernünftigen Ansatz hält, der weltweit umgesetzt werden kann. Aber lassen Sie uns auch klarstellen, dass noch viel Arbeit vor uns liegt, da Twitter transparente Benutzerrichtlinien implementieren, die Moderation von Inhalten erheblich verstärken und die Meinungsfreiheit schützen sowie Desinformation entschlossen bekämpfen und manipulative politische Werbekampagnen einschränken muss."

Breton sollte hierzu jedem Bürger der EU einige Anweisungen oder einen Leitfaden mitgeben, damit er sich in dieser Logik der EU zurechtfinden kann. "Um die Moderation von Inhalten zu stärken und die Meinungsfreiheit zu schützen" ist wie zu sagen: "Lasst uns zusammen zu Mittag essen. Es steht jedem frei das zu bestellen, was er will, solange es das ist, was wir als Hauptgang vorschreiben."

Diese nicht gewählten Bürokraten drohen damit, das durch Musk erworbene Unternehmen in der EU zu verbieten, wenn er sich weigert, die Regeln der EU zu befolgen. Gleichzeitig haben die Mainstream-Medien einen neuen Weg gefunden, Krieg gegen diejenigen zu führen, die mit all ihren Narrativen und Einschränkungen nicht einverstanden sind – mit der Nutzung des Wortes "absolutistisch". Während Musk sich selbst das Etikett eines "Absolutisten der Meinungsfreiheit" verliehen hat, nutzen Meinungsmacher das Wort, um diejenigen an den Pranger zu stellen, die man nicht als reine "Verschwörungstheoretiker" abkanzeln kann. In diesem Zusammenhang reimt sich "absolutistisch" auf "terroristisch", "extremistisch" oder was auch immer man sich vorstellen kann, das eine Bedrohung darstellen könnte.

Ein prominenter Professor aus Toronto, Jordan Peterson, hat wiederholt argumentiert, dass freie Meinungsäußerung impliziert, dass man herausgefordert und sogar beleidigt werden darf, und dass Meinungsfreiheit eine Bedingung für Dialektik und Fortschritt ist. Das ist purer, gesunder Menschenverstand. Nicht so in Europa: Während des Kampfes gegen die COVID-19-Pandemie argumentierten europäische Regierungen, um ihre Quarantänepolitik voranzutreiben, dass es notwendig sei, "Freiheiten einzuschränken, um Freiheit zu schützen". Und jetzt wollen sie die Meinungsfreiheit einschränken, um die Meinungsfreiheit zu schützen – eine Logik, die vielen Menschen verständlicherweise die Sprache verschlägt.

Deutlicher wird es, wenn man sich anschaut, was bei Twitter moderiert werden soll. "Gefährlicher wissenschaftlicher Irrglaube", Drohungen, Aufrufe zu Hass und Gewalt? Ja, aber nicht nur. Es hängt davon ab, auf welcher Seite der politischen Agenda man steht. In einigen Fällen – wie bei der aktuellen Ukraine-Krise, bei COVID-19 oder dem Klimawandel – geraten "inakzeptable" Ansichten üblicherweise unter starken sozialen Druck und profitieren nicht von einer breiten Öffentlichkeit in den Medien, selbst wenn sie sich der Moderation in den sozialen Medien entziehen.

Dann gibt es Themen, die nicht einmal offen diskutiert werden dürfen: Die Migrationspolitik der EU oder die LGBTQ+-Agenda, beides von den offiziellen Behörden gefördert. Zu behaupten, dass diese Themen "von den Behörden gefördert" werden, ist keine Übertreibung. Im Jahr 2012 zitierte die britische BBC Peter Sutherland, den ehemaligen Vorsitzenden von Goldman Sachs und UN-Sonderbeauftragten für internationale Migration, mit den Worten, die EU "sollte die nationale Homogenität aushöhlen". Da diese Themen Einzelpersonen direkt betreffen, ist es ziemlich einfach, diese zu einer Bedrohung der nationalen oder supranationalen Ordnung zu erklären und Emotionen hervorzurufen, ohne sich um wissenschaftliche Argumente zu kümmern. Alternative Ansichten werden als rassistisch, homophob oder antisemitisch unterdrückt, gar als menschenfeindlich – oder wie Justin Trudeau es ausdrücken würde, leutefeindlich.

Nachdem man sich mit Donald Trump und seiner national zentrierten Politik auseinandersetzen musste, steht die EU – zusammen mit den Demokraten in den USA – nun dem "absolutistischen" Elon Musk gegenüber, der den ehemaligen amerikanischen Präsidenten in dem von ihm übernommenen Netzwerk rehabilitiert hat. Man beschloss daher, schnell zu handeln und ihm die eigene Vision aufzuzwingen. Offensichtlich nicht schnell genug, denn Musk hat einige Asse im Ärmel. Die Veröffentlichung von "The Twitter Files" durch Musk und darauffolgend den Journalisten Matt Taibbi am 3. Dezember enthüllt offiziell, was jeder mit einem halben Verstand schon vor langer Zeit bemerkt hat: Twitter stand bisher klar aufseiten des woken Teils des politischen Spektrums. Der Journalist Glenn Greenwald hatte diesbezüglich schon vor zehn Jahren Alarm geschlagen.

Was also bedeutet "Freiheit" in den Köpfen der Brüsseler Bürokraten? Es ist die Freiheit der EU sowie ihrer verbündeten Medien und Anhänger, um ihre Agenda der soziokulturellen Revolution voranzutreiben und sie ihren Gegnern aufzuzwingen, die nichts von dieser anthropologischen Verschiebung wissen wollen – und das "um jeden Preis", wie Macron es ausdrücken würde.

Aus dem Englischen.

Matthieu Buge hat für das französische Magazin L’Histoire und das Magazin über russisches Filmschaffen Séance gearbeitet, sowie als Kolumnist für Le Courrier de Russie. Er ist Autor des Buches "Le Cauchemar russe (Der russische Albtraum).

Mehr zum Thema - Abschied von der Meinungsfreiheit: Die Beispiele NachDenkSeiten und Twitter

RT DE bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion widerspiegeln.

Durch die Sperrung von RT zielt die EU darauf ab, eine kritische, nicht prowestliche Informationsquelle zum Schweigen zu bringen. Und dies nicht nur hinsichtlich des Ukraine-Kriegs. Der Zugang zu unserer Website wurde erschwert, mehrere Soziale Medien haben unsere Accounts blockiert. Es liegt nun an uns allen, ob in Deutschland und der EU auch weiterhin ein Journalismus jenseits der Mainstream-Narrative betrieben werden kann. Wenn Euch unsere Artikel gefallen, teilt sie gern überall, wo Ihr aktiv seid. Das ist möglich, denn die EU hat weder unsere Arbeit noch das Lesen und Teilen unserer Artikel verboten. Anmerkung: Allerdings hat Österreich mit der Änderung des "Audiovisuellen Mediendienst-Gesetzes" am 13. April diesbezüglich eine Änderung eingeführt, die möglicherweise auch Privatpersonen betrifft. Deswegen bitten wir Euch bis zur Klärung des Sachverhalts, in Österreich unsere Beiträge vorerst nicht in den Sozialen Medien zu teilen.

Am 24. Februar kündigte der russische Präsident Wladimir Putin an, gemeinsam mit den Streitkräften der Donbass-Republiken eine militärische Spezialoperation in der Ukraine zu starten, um die dortige Bevölkerung zu schützen. Die Ziele seien, die Ukraine zu entmilitarisieren und zu entnazifizieren. Die Ukraine spricht von einem Angriffskrieg. Noch am selben Tag rief der ukrainische Präsident Wladimir Selenskij im ganzen Land den Kriegszustand aus.
Der Westen verurteilte den Angriff, reagierte mit neuen Waffenlieferungen, versprach Hilfe beim Wiederaufbau und verhängte Sanktionen gegen Russland.
Auf beiden Seiten des Konfliktes sind zahlreiche Soldaten und Zivilisten getötet worden. Moskau und Kiew haben sich gegenseitig verschiedener Kriegsverbrechen beschuldigt. Tausende Ukrainer sind mittlerweile aus ihrer Heimat geflohen.