Meinung

Brandgefährlich: Die westliche Desinformation über Iran

Die unbegründete Behauptung, Teheran habe die Hinrichtung von 15.000 Demonstranten angeordnet, wurde von Politikern und Prominenten unkritisch übernommen und in den sozialen Medien weiterverbreitet. Dahinter steckt kein Versehen.
Brandgefährlich: Die westliche Desinformation über IranQuelle: Gettyimages.ru

Von Rachel Marsden

"Wir können nicht zulassen, dass in Kanada weiterhin Unwahrheiten und Desinformation über die russische Invasion in der Ukraine verbreitet werden. Aus diesem Grund haben wir die Kanadische Rundfunk- und Telekommunikationskommission (CRTC) gebeten, die Präsenz von Russia Today im kanadischen Äther zu überprüfen", twitterte der kanadische Premierminister Justin Trudeau im vergangenen März. Er folgte damit dem Beispiel der Verbündeten in der EU bei der Zensur russischer Medien, ohne jedoch tatsächliche Beweise für Desinformation anzuführen, um sein Vorgehen gegen die Meinungs- und Informationsfreiheit zu rechtfertigen.

Allzu oft beschwören westliche "Demokratien" sogenannte Desinformation als Vorwand herauf, um der Öffentlichkeit Informationen und Analysen vorzuenthalten, die Zweifel am offiziellen Narrativ des Establishments aufkommen lassen könnten. Aber obwohl Trudeau sich selbst als Torwächter der Wahrheit positioniert, verbreitete er diese Woche selbst einiges an Desinformation.

"Kanada prangert die barbarische Entscheidung des iranischen Regimes an, die Todesstrafe gegen fast 15.000 Demonstranten zu verhängen", twitterte Trudeau am 15. November. Der Tweet wurde inzwischen gelöscht. Der Befürworter des Regimewechsels in Iran, der frühere Außenminister und CIA-Direktor Mike Pompeo, folgte dem Beispiel von Trudeau. "Barbarisch, aber nicht überraschend", twitterte Pompeo und verlinkte den Artikel dazu in Newsweek, der am 8. November den Stein ins Rollen brachte.

US-Senator Mitt Romney twitterte, dass "das tyrannische Vorgehen der iranischen Führung bei der Hinrichtung inhaftierter Demonstranten von der Weltgemeinschaft verurteilt werden muss. Scheinprozesse müssen eingestellt und Demonstranten freigelassen werden." Sogar Prominente aus Hollywood wie die Schauspielerin Sophie Turner und die Oscar-Preisträgerin Viola Davis beteiligten sich an dem Aufschrei und verbreiteten das Mantra, dass Iran 15.000 Demonstranten, die gegen das zwangsweise Tragen des Hijab demonstriert haben, zum Tode verurteilt habe.

Am 15. November bemerkte der geopolitische Analyst und Gründer der Beratungsfirma Eurasia Group, Ian Bremmer, dass hier etwas nicht stimmen konnte. "Ich wurde darauf aufmerksam gemacht, dass ein Beitrag über die Todesstrafe in Iran für 15.000 Demonstranten, den ich gestern geteilt habe, nicht überprüfbar und wahrscheinlich nicht wahr ist", gestand er unumwunden ein. Es stellte sich heraus, dass er recht hatte.

Der ursprüngliche Artikel in dem Wochenmagazin Newsweek berief sich auf eine Abstimmung im iranischen Parlament über die Hinrichtung von Demonstranten. Der Artikel zitierte einen Tweet, der am 8. November von einer fadenscheinigen Quelle abgesetzt wurde, wonach "das iranische Parlament mit einer Mehrheit (227 Stimmen von 290) dafür gestimmt hat, alle Demonstranten hinzurichten". Allerdings hat eine solche Abstimmung nie stattgefunden.

Seltsamerweise twitterte die iranische Aktivistin Masih Alinejad am 6. November – zwei Tage vor dem Erscheinen des Artikels in Newsweek, dass "227 Mitglieder des Parlaments in Iran die Justiz aufgefordert haben, Todesurteile für Menschen zu verhängen, die während des andauernden Aufstands verhaftet werden." Newsweek zitierte ausdrücklich den Tweet von Alinejad, bevor diese ihn später löschte. 

Tatsächlich gaben die iranischen Parlamentarier eine Erklärung an die Adresse der Justiz ab, in der sie diese aufforderten, "entschlossen" gegen die Demonstranten vorzugehen, aber es gab kein parlamentarisches Votum, um sie massenhaft hinzurichten. Es dauerte etwa eine Woche, bis Newsweek seinen Artikel änderte und den Verweis auf das iranische Parlament, das für die Todesurteile gestimmt haben soll, entfernte. Iran kennt die Todesstrafe als Option bei einer entsprechenden Verurteilung durch Gerichte – genau wie in den USA auch. Aber in diesem Fall wurde einfach angenommen, dass jeder, der bei Protesten festgenommen wird, automatisch hingerichtet wird.

Zweifellos ist es nur ein Zufall, dass Alinejad in den vergangenen acht Jahren die glückliche Empfängerin von 628.000 US-Dollar an Mitteln des US-Außenministeriums war, so die Online-Datenbank für Bundesausschreibungen und Verträge. Sie hat auch als Moderatorin für den persischsprachigen Mediendienst Voice of America der US-Regierung gearbeitet. Im Januar 2020, nach der Niederlage im Wahlkampf gegen Joe Biden, verschärfte die Regierung von Donald Trump noch einmal ihre Rhetorik über einen Regimewechsel in Iran. Das Washingtoner Institut für verantwortungsvolle Staatsführung, veröffentlichte daraufhin ein Foto von Alinejad, das sie zusammen mit Außenminister Mike Pompeo zeigt und prangerte die westliche Presse dafür an, Alinejad eine Plattform zu bieten, auf der sie einen Regimewechsel in Iran propagieren kann, ohne jedoch ihre Finanzierung durch das US-Außenministerium offenzulegen.

Es wäre nicht das erste Mal, dass ein Regimewechsel in Iran mittels von Fake News vorangetrieben werden soll. Im Jahr 1953 stürzte die CIA die Regierung von Premierminister Mohammad Mosaddegh, nachdem dieser das iranische Öl verstaatlicht hatte, um es aus dem Zugriff westlicher multinationaler Unternehmen zu befreien. Mit der Operation Mockingbird, die von 1948 bis 1976 im Gange war, infiltrierte die CIA die globale Presse, um Desinformation und Propaganda zu lancieren, um damit außenpolitischen Ziele der USA zu fördern – auch in Iran, wie freigegebene Dokumente enthüllten. Und es ist sicherlich nur ein Zufall, dass Joe Biden Anfang November bemerkte: "Keine Sorge, wir werden Iran befreien."

Werden sich jetzt die Kreuzritter gegen "Desinformation" – wie Trudeau und Pompeo –, nachdem sie dabei ertappt wurden, gegen ihre eigenen Prinzipien verstoßen zu haben, selbst von den Medienplattformen verbannen, bevor sie noch mehr Schaden anrichten und noch mehr Menschen im Westen für einen weiteren Krieg aufpeitschen können? Wo bleibt die EU, um diese eklatante Desinformation anzuprangern und die Quelle zu sperren, so wie sie es jedes Mal tut, wenn ein russischer Offizieller oder ein russisches Medienunternehmen es wagt, etwas zu äußern, das nur annähernd dem eigenen Narrativ widerspricht?

Apropos, wenn Trudeau, Pompeo und viele andere einfach so Desinformation verbreiten können, weil sie zu ihren geopolitischen Zielen passt, wie glaubwürdig sind dann diese Leute bei irgendwelchen anderen Themen? Man wagt es nicht, sich vorzustellen, welche politischen Entscheidungen auf ebenso zwielichtigen Grundlagen getroffen wurden, die man der Öffentlichkeit als Tatsachen präsentiert hat.

Übersetzt aus dem Englischen.

Rachel Marsden

ist eine Kolumnistin, politische Strategin und Moderatorin eines unabhängig produzierten französischsprachigen Programms, das auf Sputnik France ausgestrahlt wird. Ihre Webseite findet man unter rachelmarsden.com

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