Kritik an der NATO tabu: Wird Diether Dehm aus der LINKEN ausgeschlossen?
Von Mirko Lehmann
Den Anfang bei der jüngsten Kampagne gegen den früheren Bundestagsabgeordneten der Linkspartei Diether Dehm machte diesmal das Zweite Deutsche Fernsehen. In einer durch und durch tendenziösen Meldung vom Sonnabendnachmittag, die eigentlich als Kommentar hätte gekennzeichnet werden müssen, wurden alle früheren Verleumdungen gegen den Politiker polemisch aufgefrischt. Die Meldung wurde selbstverständlich dankbar vom Spiegel und anderen Mainstream-Publikationen ohne jede Differenzierung aufgegriffen, im Gegenteil: Kampagnenjournalismus eben.
Die LINKE und die Exklusivität des ZDF
Wie die Dinge liegen, soll Dehm aus der Partei ausgeschlossen werden, und ein entsprechender Antrag läge dem ZDF "exklusiv" vor. Anlass seien Dehms – so der Sender – "Abspaltungsfantasien", die man in der Partei als "parteischädigend" qualifiziere. Dehm habe "dazu aufgerufen, einen konkurrierenden Wahlantritt gegen die Partei Die Linke zur Europawahl 2024 zu unterstützen und zu organisieren". Dehm wird vorgeworfen, er habe "vielfach vorsätzlich, öffentlich und mit Außenwirkung" – Letzteres können freilich nicht alle von Dehms parteiinternen Kritikern für sich in Anspruch nehmen – gegen die Satzung, Grundsätze und innere Ordnung der Partei verstoßen. Sein Agieren habe der "Glaubwürdigkeit" und dem öffentlichen Ansehen der Partei schwer geschadet.
Die LINKE ist in der Tat im bundesdeutschen Politikbetrieb angekommen. Ihr Apparat beherrscht die "Kunst" der Unterstellungen, Verdrehungen und Projektionen aus dem Effeff. Dass sich die Dinge genau andersherum verhalten könnten, kommt den auf Regierungsposten versessenen Konformisten, die sich an Dehm stören, weil er den Marx noch gelesen und verstanden hat, natürlich nicht in den Sinn. Vielmehr sind mittlerweile fast alle Funktionäre der LINKEN im Reich des Postfaktischen angelangt – und bilden zusammen mit Olivgrünen, Spezialdemokraten, Lindner-Liberalen und der post-Merkelschen Merz-Union eine übergroße Koalition, die sich vor allem durch Abgrenzung gegen Rechts, verstanden als AfD, definiert. Freilich ohne zu ahnen, wie sehr man selbst, eben durch die postmodern-linksliberale, "woke" Moralisierung nicht nur der Politik, sondern aller Lebensbereiche, gerade zu der zweifellos festzustellenden Rechtsentwicklung beiträgt. Und so, gleichsam nebenbei, die Interessen von BlackRock & Co. unter scheinbar linker, identitätspolitischer Flagge bestens bedient. Soweit dieser Exkurs zur LINKEN.
Zurück zu Diether Dehm: Dieser habe laut ZDF im August auf einer Veranstaltung öffentlich den konkurrierenden Antritt einer neuen linken Partei zur Europawahl 2024 gegen die LINKE gefordert. In diesem Zusammenhang habe er gegen die Parteiführung polemisiert – was nach einer endlosen Serie von Wahlniederlagen, die eben auf das Konto der regierungswilligen Führung der LINKEN gehen, nicht verwundert:
"Es muss eine Kraft antreten, die diesem Abbruchunternehmen da drüben im Karl-Liebknecht-Haus eine Alternative entgegensetzt."
Der Mainzer Sender sieht diese vermeintlichen Bestrebungen auf einer Linie mit Bemerkungen von Sahra Wagenknecht, der spätestens seit 2018, als sie die Bewegung "Aufstehen" ins Leben rief, nachgesagt wird, sie wolle eine eigene Partei gründen.
Ein einfallsloses Sündenregister
Der Ausschlussantrag soll Dehms angeblichen Aufruf zur Gründung einer Konkurrenzpartei als "inakzeptable[n] Höhepunkt unzähliger Äußerungen der letzten Jahre" bezeichnen, deren "vollständige Dokumentation" den Rahmen des Ausschlussantrags "deutlich sprengen" würde. Das ZDF pickt sich drei Beispiele heraus, nicht ohne die Aussagen Dehms zu "framen", also aus dem eigentlichen Zusammenhang zu reißen und mit einer diffamierenden Interpretation zu versehen. Das ZDF verdreht dabei den offensichtlichen Sinn von Dehms Äußerungen – um ihm eine Relativierung der Shoah, frauenverachtenden Sexismus und, was Wunder, "Verschwörungstheorie" anzuhängen.
"Die größte Verbrecherorganisation nach der SS war die NATO. Und das ist die NATO auch heute noch."
Sicher eine mehr als klare Aussage – aber keine Verharmlosung des Holocausts, denn das "nach" deutet sowohl auf zeitliche Abfolge als auch eine Differenzierung hinsichtlich des wesenhaften Gehalts hin.
Abscheu und Empörung finden in Mainz kein Ende: Dehm habe sich noch nach Kriegsbeginn 2022 als "Putin-Versteher" zu erkennen gegeben. Gleichsam verschärfend komme hinzu, dass er sich früher, während der Hochphase der Corona-Maßnahmen, "im russischen Staatsfernsehen den Impfstoff 'Sputnik-V' verabreichen" lassen hatte. Tatsächlich fand die Impfung in einer medizinischen Einrichtung statt, nicht in einem TV-Studio. Auch Dehms Klage gegen die Ungleichbehandlung des russischen Impfstoffs findet Erwähnung im öffentlich-rechtlichen Sündenregister.
Dehm hatte in einem Protestlied 2020, früher als andere, die massiven Geschäftsinteressen der Pharmakonzerne, die von den Corona-Maßnahmen enorm profitierten, kritisch benannt ("Worauf reimt sich COVID? Auf jeden Fall auf Profit."). Man denke nur an die Adresse "An der Goldgrube 12", quasi beim ZDF vor der Haustür. Auch sein Hinweis auf die höchst repressive Einschränkung mühsam erkämpfter Bürgerrechte durch die staatlichen Corona-Maßnahmen, die in alter, antidemokratischer Tradition stehen ("Ein junger Virus plus uralte Mächte. Ja, dieser Mix macht geil auf unsere Rechte."), muss als vermeintlicher Beweis herhalten. Daraus machen die Mainzer flugs ein "gängiges Narrativ in antisemitischen Verschwörungserzählungen".
Natürlich hat das ZDF auch Dehms Wort über den damaligen Außenminister Heiko Maas als "gut gestylten NATO-Strichjungen" nicht vergessen. Und die Redakteure verdrehen auch noch die Tatsachen: Zwar hatte Dehm als Abgeordneter den früheren RAF-Terroristen Christian Klar beschäftigt – nicht jedoch "bei sich im Bundestagsbüro". Die ZDF-Formulierung ist da zweideutig – und hält Wagenknecht vor, sich nicht von Dehm zu distanzieren, ihn vielmehr als "eigenständigen Kopf", der eine eigene Meinung hat und diese auch nach außen vertritt, zu würdigen. Nicht das erste Mal, dass auch Wagenknecht eher plump als subtil bedeutet wird, dass derartige Vorwürfe auch gegen sie erhoben werden könnten, sollte sie nicht auf Abstand gehen.
Am Ende des ZDF-Rundumschlags wird mit Genugtuung vermerkt, dass Dehm es trotz der Unterstützung von Sahra Wagenknecht bei den letzten Wahlen 2021 "nicht mehr in den Bundestag geschafft" hat.
Öffentlich-rechtlicher Eifer
Merkwürdig nur, dass sich der Sender – sonst irgendeiner Sympathie für die politische Linke völlig unverdächtig, von der gleichnamigen Partei ganz zu schweigen – derart ins Zeug legt, den Ärger um das "enorme Störpotenzial", das man an der Spitze der Linkspartei in Dehm sehe, so beflissen in die Öffentlichkeit zu tragen.
Zwar kommt man nicht umhin zuzugeben, der "Rauswurf" wirke "geplant", wie auch der zeitliche Ablauf. Denn gerade wurde im niedersächsischen Landesverband, wo Dehm Mitglied ist, eine neue Schiedskommission gewählt (Dehm: "handverlesen"). Doch bedauernd meldet das ZDF, die Beschäftigung mit dem Ausschlussantrag könne dauern, die Sache könnte sich "monatelang" hinziehen. "Schon einmal" sei ein solches Ausschlussverfahren gegen Dehm gescheitert.
Also vertagte man den „Hochdruck“ für nach der Niedersachsen-Wahl (was allerdings dort nicht half) und der PV wartete erst mal die gestrige Neuwahl eines handverlesenen Landespartei-Schiedsgerichts ab - aber ließ mich monatelang frei gewähren.
— Diether Dehm (@Diether_Dehm) November 13, 2022
Vielleicht hat Dehm mit seiner Bemerkung, bei der Parteiführung der LINKEN handele es sich um einen "karrierebeseelten Apparat von BND-gestutzten Egomanen", gar nicht so Unrecht – was wiederum die überaus giftige Reaktion der Apparatschiks erklären dürfte.
Was man bei aller – in diesem Falle – wohlwollenden Berichterstattung im ZDF und bei den anderen Mainstream-Medien über die LINKE nicht bedacht hat, könnte Folgendes sein: Dass sowohl das Verfahren an sich als auch die gehässige mediale Kommentierung erstens Aufmerksamkeit, zweitens Unterstützung für Dehm gegen ungerechtfertigte Vorwürfe und drittens für Zulauf sorgen könnten, falls Dehm und Wagenknecht tatsächlich eine neue Partei gründen oder einer anderen, bereits bestehenden beitreten sollten. Dies scheint auch in der Parteizentale im Karl-Liebknecht-Haus (im internen Jargon auch spöttisch "KL-Amt" genannt), wo man sich zunehmend panisch gegen den eigenen Untergang abstrampelt, übersehen worden zu sein.
Mehr zum Thema - Umfrage: Große Zustimmung der Bürger für mögliche Wagenknecht-Partei
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