Von Verschwörungsmythen und Meinungsfreiheit: Wie eine Umfrage das passende Resultat liefert
Von Dagmar Henn
Was ist die derzeit in Deutschland populärste Verschwörungstheorie? Die, dass jeder Protest gegen die Sanktionspolitik und die daraus folgende soziale Katastrophe das Ergebnis "russischer Desinformation" sei. Überhaupt kann jede Abweichung vom NATO-Narrativ vom "unbegründeten völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Russlands gegen die demokratische Ukraine" unter keinen Umständen das Ergebnis eigener Erkenntnisse und Gedanken oder gar eigener Erfahrungen sein, sondern muss auf dem Weg besonders bösartiger Propaganda die ansonsten naturgemäß NATO-treuen Gehirne braver Deutscher übernommen haben.
Interessant, dass die Vertreter einer solchen Auffassung gleichzeitig der Ansicht sind, sie stünden für Demokratie, schlimmer noch, sie wären geradewegs deren Speerspitze und Schirm. Die Firma CeMAS, ein von der Alfred-Landecker-Stiftung finanziertes Propagandazentrum, das sich selbst "Center für Monitoring, Analyse und Strategie" nennt, hat gerade ein frisches Beispiel dieser eigenartigen Weltsicht geliefert. Und weil die Umfrage, die sich diese Firma gegönnt hat, ein zumindest aus NATO-Sicht unerfreuliches Ergebnis liefert, wurde dieses von den Medien gerne aufgegriffen, um die populärste Verschwörungstheorie wieder einmal zu befeuern.
Wobei es durchaus Elemente von Humor dabei gibt. Eine der Thesen, die vermeintlich eine Neigung zu "russischen Verschwörungserzählungen" belegen soll, lautet: "Putin geht gegen eine globale Elite vor, die im Hintergrund die Fäden zieht." Witzig daran ist nicht die steigende Zustimmung, witzig ist, dass eine solche Aussage von Leuten als Verschwörungserzählung eingestuft wird, deren Tätigkeit von der Familie Reimann finanziert wird, der die Alfred-Landecker-Stiftung gehört. Was noch einmal besonders dadurch interessant wird, dass die Oligarchenfamilie Reimann, die es mittlerweile auf die Pole Position unter Deutschlands Milliardären geschafft haben soll, ihren Aufstieg entscheidend durch große Nähe zu den Nazis und ausgiebige Nutzung von Zwangsarbeit erreichte, während die CeMAS-Chefin Pia Lamberty, eingefleischte Antideutsche, hinter jeder "Verschwörungserzählung" immer gleich Antisemitismus wittert … und bereitwillig die Vorstellung einer solchen "globalen Elite" im Auftrag von Mitgliedern ebendieser Elite zur Fantasie erklärt.
Es wäre wirklich interessant, zu wissen, wie die Ergebnisse aussähen, wäre den Befragten genau diese Frage in einer durchaus rationalen Variante vorgelegt worden wie "Russland geht gegen die US-Hegemonie und deren finanzielle Nutznießer vor" oder "die Auseinandersetzung Russlands mit dem Westen ist im Interesse des Globalen Südens". Das sind andere Formulierungen für die gleiche Aussage, die sich aber, anders als die Version mit "Putin" und den "globalen Eliten", weitaus schwerer ins Lächerliche ziehen lassen.
Die Ergebnisse der Umfrage dokumentieren zumindest einen Geländegewinn der Vernunft, denn die gleichen Fragen waren bereits im April gestellt worden. So stimmten damals nur zwölf Prozent der Aussage zu, die NATO habe Russland so lange provoziert, dass es in den Krieg habe ziehen müssen, im Oktober waren es neunzehn Prozent. Mit teils, teils antworteten im April siebzehn und im Oktober einundzwanzig Prozent, was bedeutet, die Zahl der Befragten, die dem NATO-Narrativ voll und ganz zustimmten, sank von einundsiebzig auf sechzig Prozent.
Ehe man sich allerdings darüber freut, sollte man berücksichtigen, dass die Umfrage vom 03. bis 11. Oktober stattfand, also bereits nach den Anschlägen auf Nord Stream, die eigentlich die Zuneigung zur NATO deutlich hätten verringern müssen. Obwohl vermeintliche Freunde den Deutschen gerade gewaltsam die Option genommen hatten, heil durch den Winter zu kommen und die Deindustrialisierung aufzuhalten, glaubten immer noch sechzig Prozent der Befragten, das Handeln der NATO habe mit dem russischen Militäreinsatz in der Ukraine nichts zu tun.
Eine faschistische Regierung in der Ukraine hatten im April nur fünf Prozent gesehen, neun Prozent antworteten mit teils-teils, im Oktober waren es neun und fünfzehn Prozent. Wie gesagt, dieses "Research Paper" erklärt jede Veränderung in der Meinung der Befragten mit "russischer Desinformation", aber zwischen April und Oktober können noch ganz andere Gründe zu einer geänderten Meinung geführt haben. Die Begegnung mit lebenden Exemplaren der ukrainischen Ideologie beispielsweise, oder schlicht die Tatsache, dass zum 9. Mai Dutzende sowjetischer Denkmäler in Deutschland nicht nur mit ukrainischen Farben, sondern auch mit Hakenkreuzen und SS-Runen verunstaltet wurden, was eine gewisse Verbindung zwischen diesen nahelegt. Das kann mit dazu beigetragen haben, dass die Zustimmung zu der Aussage "Der Krieg in der Ukraine war notwendig, um dort die faschistische Regierung zu stürzen" im Osten mit dreizehn Prozent eine deutlich höhere Zustimmung erfährt als im Westen mit neun Prozent. In der alten Bundesrepublik gibt es nun einmal nur wenige sowjetische Denkmäler, die geschändet werden könnten.
Es ist nicht ganz klar, wie aussagefähig diese Umfrage ist. Es wird erklärt, es handle sich um eine "bevölkerungsrepräsentative Umfrage" mit insgesamt 2.228 Befragten, und ein Blick auf die Webseite des Unternehmens, das die Umfrage durchgeführt hat, Bilendi & Respondi, ergibt, dass sich die Firma eines Pools von über 300.000 zu Befragenden in Deutschland preist. Es gibt zwar mathematische Möglichkeiten, Umfragewerte an ein wirkliches Zufallsergebnis "heranzurechnen", aber der Pool von Bilendi & Respondi wird von Menschen gebildet, die sich auf der Webseite Meinungsplatz.de gemeldet haben, um gegen Bezahlung an Umfragen teilzunehmen. Nachdem relativ schnell zu erkennen ist, dass die Teilnehmer, die sich melden, tendenziell eher jünger und in Großstädten beheimatet sein dürften, hängt der gesamte Wert dieser Umfrage an der Qualität der Rechenverfahren, die diese Schlagseite ausgleichen sollen. Zu diesem Punkt gibt es aber keine Informationen, sodass das Papier der Firma CeMAS zwar mit "Forschungspapier" getitelt ist, aber wissenschaftlichen Ansprüchen nicht genügt.
Die Fragen selbst sind sehr klar auf ein bestimmtes Ergebnis hin formuliert, wie schon bei jener zu "Putin" und den "Eliten" erkennbar war. "Die Ukraine hat historisch keinen eigenen Gebietsanspruch und ist eigentlich Teil Russlands" ist ein weiteres Beispiel dafür. Wie soll man auf diese Frage antworten, wenn man sich noch an die Sowjetunion erinnert, an die Umstände ihrer Auflösung, und vielleicht zusätzlich noch weiß, dass die ukrainische Sowjetrepublik aus völlig unterschiedlichen Gebieten zusammengesetzt wurde? Da sind wir noch nicht einmal bei den kniffligen Fragen, ob etwa Bevölkerungen, die zur Sowjetunion gehörten, ein Recht auf Wiedervereinigung hätten, oder ob nicht ein respektvoller Umgang mit Minderheiten die Voraussetzung für die Stabilität eines Staates ist, der von mehr als einer Sprach- und Kulturgruppe bewohnt wird. Differenzierungen sind nicht vorgesehen. Man kann nur entweder blank zustimmen, ablehnen oder mit "teils-teils" antworten. Immerhin, nur noch fünfundsechzig Prozent der Befragten sehen diesen Punkt so simpel, wie es die NATO gerne hätte. Aber wenn man wirklich wissen wollte, wie die Deutschen diese Fragen sehen, müsste man auf eine Weise fragen, die nicht von vorneherein auf die moralische Verdammung bestimmter Antworten abzielt.
"Die Ukraine hat zusammen mit den USA geheime Biolabore zur Herstellung von Biowaffen betrieben", wird schlicht pauschal zur Verschwörungserzählung erklärt, obwohl es nicht nur die von Russland vorgelegten Dokumente gibt, sondern sich die Echtheit dieser Dokumente jederzeit und von jedermann auf den Webseiten der beteiligten westlichen Institute überprüfen lässt. Es waren auch deutsche Institute an Forschungen in der Ukraine beteiligt, finanziert, interessanterweise, nicht vom Gesundheits-, sondern vom Verteidigungsministerium – überprüfbar und einsehbar, einschließlich der Forschungsobjekte. Einzig der Punkt, ob es sich um Forschung an Biowaffen handelt, kann versuchsweise bestritten werden, aber die Richtung der Forschungsprojekte (auch der deutschen) ist doch relativ eindeutig und selbst mit einer Zielrichtung auf Abwehr biologischer Angriffe schwer zu erklären. Ja, die Zustimmung zu der Aussage über Biolabore stieg von sieben auf zwölf Prozent, und die Aussage "teils-teils" von vierzehn auf einundzwanzig Prozent.
Der wirklich interessante Punkt hierbei ist natürlich, dass solche Forschungen, die völkerrechtlich auch den USA verboten sind, weil sie die entsprechende Konvention unterzeichnet haben, wenn sie in der Ukraine stattgefunden haben, eine gültige Legitimation für einen Militäreinsatz darstellen. Das sagt CeMAS natürlich nicht. Das Ziel ist schließlich, abweichende Meinungen in Summe zur "Verschwörungserzählung" zu machen, was den völlig unbedeutenden Nebeneffekt hat, die eigene Existenz für unabdingbar zu erklären, die schließlich gesichert bleiben soll, wenn die momentane dreijährige Finanzierung durch die Oligarchenfamilie Reimann ausläuft.
Die letzte Frage, die gestellt wurde, ist wirklich eigenartig, weil mir diese Position schlicht noch nicht begegnet ist. "Der Krieg in der Ukraine dient nur der Ablenkung von der Corona-Pandemie." Wenn überhaupt, dann kenne ich die Version, es ginge um Ablenkung von der Maßnahmenpolitik und den Impffolgen, aber von der Pandemie? Immerhin, es gibt tatsächlich eine Zustimmung von acht Prozent für diese Aussage, deren einzige Funktion ist, die Ernsthaftigkeit der anderen Aussagen zu diskreditieren. Aber vermutlich müsste man weit mehr über den Ablauf dieser Befragung wissen, wie und ob sie überhaupt separat durchgeführt wurde, oder in ein Paket gehängt, in dem zusätzlich noch der liebste Weichspülergeruch und die benutzte Hautcreme abgefragt wurden.
Es gibt keine Information darüber, wie viele Teilnehmer auf wie viele Fragen zustimmend geantwortet haben, was mehr damit zu tun hat, das Bild erzeugen zu wollen, dass eine in sich geschlossene Gruppe einer ganzen Reihe von Aussagen zustimmt, die für Frau Lamberty und Co. "Verschwörungserzählungen" sind, als damit, einen wirklichen Eindruck von der Meinungslage in der Bevölkerung gewinnen zu wollen. Denn es ist bei Weitem nicht gesagt, dass nur jene, die in der Ukraine ein faschistisches Regime sehen, sich Sorgen über mögliche Biowaffenforschung der USA machen.
Aber es sind diesmal nicht mehr diejenigen, die den Aussagen zustimmen, die Lamberty tatsächlich ins Visier nimmt. "Desinformation", eine solche Kernaussage, ziele "nicht nur darauf ab, zu überzeugen, sondern auch Unsicherheit hervorzurufen. Wer nicht sicher ist, ob Impfungen wirken, wird sich weniger wahrscheinlich impfen lassen. Wer unsicher ist, ob nicht eigentlich die NATO Schuld am Krieg trägt, wird weniger klar Sanktionen unterstützen."
Diese Formulierung "weniger klar Sanktionen unterstützen" muss man auf sich wirken lassen. Die unausgesprochene Anforderung an den braven Bürger lautet also nicht mehr nur, die Augen vor dem Zusammenhang zwischen Sanktionen und Energiepreisen und Inflation zu verschließen, die Sprengung von Nord Stream klaglos hinzunehmen und nicht gegen das verordnete Zähneklappern zu protestieren – nein, der gewünschte Untertan friert mit Begeisterung. Er geht mit wehenden Fahnen unter, den Blick treu zur NATO-Windrose und den Eurosternen erhoben.
Die "vergleichsweise hohen teils-teils-Werte sind dabei nicht zu unterschätzen. Denn antidemokratische Akteure zielen mit Desinformationskampagnen nicht nur darauf ab, zu überzeugen, sondern auch, Zweifel in der Bevölkerung zu säen. Es geht ihnen darum, die in Krisenlagen ohnehin große subjektive Unsicherheit in der Bevölkerung zu verstärken, um letztlich das Vertrauen in die Demokratie zugunsten der eigenen Ziele zu erschüttern."
Der Demokratiebegriff solcher Akteure wie CeMAS ist notwendigerweise bizarr. Das Volk ist der Souverän, möchte man zurufen, es hat jedes Recht zu zweifeln, und es ist die Regierung, die sich nach dem Volk richten sollte, und nicht umgekehrt, sofern man von einer Demokratie reden will.
Es ist seit Jahren das gleiche Schema. Seit 2014 wird jede Kritik, ohne jeden Beweis, für "rechtsextrem" erklärt, und daraus dann der Schluss gezogen, dass gegen diese Kritik vorgegangen werden müsse. Schlimm ist, dass dank der weitverbreiteten Neigung des akademischen Milieus Stellen für die nachrückende Generation zu schaffen, indem man Themen erfindet, inzwischen eine ganze Reihe von Lambertys auf gut bezahlten Stellen sitzen und im eigenen Interesse immer lauter rufen. "Auch eine tiefergreifende gesellschaftspolitische Debatte zu der Frage, wie der zunehmenden Flut an Desinformationskampagnen begegnet werden kann, ist erforderlich. (…) Desinformation darf nicht nur als ein Informations- oder Sicherheitsproblem verstanden werden. Es ist ein Angriff auf die Demokratie als solches."
Wir wollen jetzt nicht näher auf den sprachlichen Fehler eingehen, der aus "die Desinformation" und "die Demokratie" "das Desinformation" und "das Demokratie" macht. Darauf würde vermutlich geantwortet, woher man denn wisse, dass die Desinformation weiblich gesehen werden wolle, oder daran erinnern, dass "sich verfangen" und "etwas verfängt" Unterschiedliches bedeutet. Das sind im Vergleich zur an den Haaren herbeigezogenen Argumentation Lappalien, auch wenn eine studierte Literaturwissenschaftlerin wie Lamberty zumindest imstande sein sollte, einen Text Korrektur zu lesen.
Nein, das wirklich Schlimme an diesem Elaborat ist, dass seine Autorinnen für eine ganze Meute Gleichgesinnter stehen, die unisono abweichende Meinungen zur Bedrohung der Demokratie erklären, eigenständig Denkende zu Opfern von Desinformation machen und ihr täglich Brot mit nichts anderem als dem kontinuierlichen Angriff auf Meinungsfreiheit und Demokratie verdienen, deren Grundprinzip sie nicht ansatzweise begriffen haben.
Mehr zum Thema – Für die NATO auf Konfrontation mit den Bürgern – Antirussische Hysterie und Transatlantizismus
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