Die EU im Kampf um die dominante Rolle auf dem Westbalkan
Von Marinko Učur, Banja Luka
Die letztwöchige Reise der Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, in die Westbalkanregion war eine neue Gelegenheit, alte Hoffnungen zu hegen. Die Post-Konflikt-Region, die im ewigen Vorhof der Europäischen Union steht, konnte schon wieder die mehrmals wiederholten Sätze hören, wie in etwa "dass Europa ohne die Länder des Westbalkans nicht vollständig ist". Konkrete Hinweise auf eine bevorstehende Erweiterung der Union um die Länder der Region gab es jedoch nicht. Aber deshalb gab es viel mehr Hoffnung und noch mehr Versprechungen.
In einigen Ländern, vor allem in Serbien, sind europäische Hoffnungen deutlich geschwunden und nun treten Euroskeptiker in den Vordergrund. Der fanatische Wunsch nach einem EU-Beitritt war bis vor kurzem die gemeinsame Bestrebung aller Balkanvölker, denen nun bewusst geworden ist, dass die Europäische Union zumindest in naher Zukunft für sie nur ein Traum ist. Europa ist mit seinen eigenen Problemen beschäftigt und der Balkan ist nur eine Bürde, die es belastet, aber das wird in Brüssel niemand öffentlich verkünden. Deshalb ist es Ursula von der Leyens Mission, neue Impulse zu setzen und alte Hoffnungen zu bekräftigen. Die Präsidentin der Europäischen Kommission kam daher nach Tirana, Skopje, Sarajevo, Pristina und Belgrad nicht "mit leeren Händen", sondern vergab Zuschüsse in Form eines "Energiepakets zur Budgethilfe der Westbalkanstaaten".
Nordmazedonien und Albanien erhielten jeweils 80 Millionen Euro, Bosnien und Herzegowina 71 Millionen Euro, Serbien 160 Millionen Euro und Pristina 75 Millionen Euro. Die Chefin der Europäischen Kommission kündigte zusätzliche Mittel in Höhe von rund 500 Millionen Euro für den Westbalkan an, die im nächsten Jahr als Zuschüsse für Investitionen zur Abmilderung der hohen Energiepreise zur Verfügung gestellt werden, um Bürgern und Unternehmen zu helfen.
Von der Leyen ließ es sich nicht nehmen, Russland und seinen "militärischen Sondereinsatz in der Ukraine" für die aktuelle Energielage verantwortlich zu machen. Ansonsten haben alle genannten Länder, mit Ausnahme Serbiens, Sanktionen gegen Russland verhängt und folgen blindlings der Politik Brüssels gegenüber Moskau. Nur Serbien gelingt es, seine nationalen und staatlichen Interessen an die Spitze seiner eigenen Prioritäten zu stellen und betont, dass das europäische Engagement Serbiens unbestreitbar sei, aber die Einführung von Sanktionen gegen Russland "nicht auf der Tagesordnung" stehe. Der freundliche Gastgeber Aleksandar Vučić ließ der Präsidentin der Europäischen Kommission keinen Raum für Hoffnung, dass Serbien seine Haltung gegenüber Russland in der kommenden Zeit ändern werde, obwohl von der Leyen während des Treffens mit dem serbischen Präsidenten erklärte, dass "es wichtig ist, sich an die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik zu orientieren", da, wie sie sagte, "die Mitgliedschaft in der EU bedeutet, dieselben Werte zu teilen".
Obwohl es auf den ersten Blick scheint, dass die Position Serbiens durch die Isolation Russlands geschwächt wurde, hat sie im Wesentlichen ebenso viel Gewicht gewonnen wie die Argumente für die Achtung des Grundsatzes der "territorialen Integrität", für das Serbien sich grundsätzlich einsetzt, sowohl im Fall seines selbsternanntes Territoriums Kosovo als auch im Falle der Ukraine. Die EK-Präsidentin demonstrierte ihre Unterstützung und ihr Vertrauen in "Serbiens europäischen Weg", formulierte aber auch ihre eigenen Erwartungen hinsichtlich der weiteren Angleichung an die Energiepolitik und die EU-Werte. Die neue Regierung von Ministerpräsidentin Ana Brnabić hat es sicher gefreut, aus dem Mund des hochrangigen Gasts aus Brüssel vernommen zu haben, dass "Serbien eines der am weitesten fortgeschrittenen Länder auf dem Weg in die EU ist". Ursula von der Leyen sollte am Ende ihrer Balkantour auch Montenegro besuchen, was aber nicht geschah, angeblich wegen des Nebels und der Schwierigkeiten beim Abflug des Flugzeugs der Chefin der Europäischen Kommission von Belgrad nach Podgorica.
Am Ende blieben alle in ihren Überzeugungen, dass von der Leyen ihre Aufgabe erfüllt hat, und dass das Zuckerbrot in Form von Finanzhilfen ein ausreichender Köder war, um alle auf dem berühmten "europäischen Weg" zusammenzubringen. Die Peitsche in Form von ständig neuen Bedingungen für die Mitgliedschaft im schon längst geschlossenen EU-Club liegt ohnehin parat.
Die Erwartungen liegen noch auf dem Tisch: Serbien hofft, dass Brüssel Verständnis für seine Position der Nichtbeteiligung an der "Anti-Russland-Koalition" zeigen und Pristina unter Druck setzen wird, die Bestimmungen des Brüsseler Abkommens von 2013 einzuhalten. Pristina hingegen erwartet eine Visaliberalisierung, der sich einige wichtigen Ländern der Europäischen Union widersetzen. Bosnien und Herzegowina will den vollen Kandidatenstatus für die EU statt des derzeitigen Status eines Bewerberlandes, während Albanien, Nordmazedonien und Montenegro sich mit ihren umfangreichen Reformen als reife potenzielle Mitglieder der Europäischen Union empfehlen.
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