Meinung

Posthegemoniale Welt: Russland schafft eine neue internationale Ordnung

Vor den Augen der ganzen Welt trat Russland in eine offene Konfrontation mit dem Westen, um dessen Monopol zu brechen. Es besteht keine Zweifel, dass der Westen dieses am Ende verlieren wird. Die Frage ist nun, ob Russland in der Lage sein wird, daraus Vorteile zu ziehen.
Posthegemoniale Welt: Russland schafft eine neue internationale OrdnungQuelle: www.globallookpress.com

Von Timofei Bordatschow

Die Rede von Wladimir Putin vor in- und ausländischen Teilnehmern des Waldai-Klubs ist ein einzigartiges Phänomen in der internationalen Politik und noch mehr im Leben der Expertengemeinschaft. Nie zuvor hat das Staatsoberhaupt, das sich in einem akuten Konflikt mit so vielen Gegnern befindet, Zeit für ein ausführliches Gespräch mit Wissenschaftlern und Meinungsführern aus verschiedenen Ländern gefunden.

Dies ist in der Tat ein Zeichen der modernen Zeit: Sich mit einer Koalition westlicher Länder anzulegen, bedeutet nicht, dass Russland isoliert ist und aufhört, die wichtigsten Probleme der Welt mit denen zu diskutieren, die zu einem solchen Gespräch bereit sind. Und gleichzeitig ist es ein Merkmal der russischen Politik, unabhängig von außenpolitischen Umständen und Konflikten für den Dialog offen zu sein.

Der Präsident konzentrierte sich in seiner Rede vor einem internationalen Publikum auf das Wesentliche: die Bedeutung des Zusammenstoßes zwischen Russland und dem kollektiven Westen für die Entwicklung der Welt und gleichzeitig die Erläuterung, wie widerstandsfähig Russland angesichts der sich abzeichnenden Konfrontation eigentlich ist. Es ist kein Zufall, dass Putin dies betont hat: Russland wird sich nicht für irgendwelche abstrakten Ideale opfern. Es arbeitet jetzt gerade an Stärkung seiner Souveränität und der Fähigkeit, sich selbst zu entwickeln. Diese Ziele sind konkret und spiegeln die wichtigsten Aufgaben wider, vor denen das Land steht.

Aber gleichzeitig decken sich die Interessen Russlands mit den Bestrebungen eines Großteils der Menschheit. Das ist eine Tatsache, auch wenn von den Ländern der Weltmehrheit (Staaten mit einer Bevölkerung von 85 Prozent der Weltbevölkerung) jetzt niemand in einer Einheitsfront gegen das neokoloniale System des Westens handeln wird. Sie alle sind am Recht auf Entwicklung interessiert, vom großen China bis zu den Golfmonarchien, von Indien bis zu den kleinen Ländern in Afrika. Im Rahmen des Systems, das die USA und Europa nach dem Kalten Krieg geschaffen haben, ist jedoch die Möglichkeit der Entwicklung für die meisten Staaten der Welt zum schwierigsten, unlösbaren Problem geworden.

Praktisch jedes Land hat seinen Platz in der "Nahrungskette" gefunden, in der die Vereinigten Staaten an der Spitze stehen. Die alten Eliten und eine kleine Oberschicht der Bevölkerung waren damit recht zufrieden. Die ihnen vom Westen zugewiesene Stellung bringt diesen Ländern zwar einige Vorteile aus der Globalisierung, bietet ihnen aber keine Chance, aufzusteigen. Die Kehrseite selbst eines relativen Wohlstands innerhalb der liberalen Weltordnung bleibt trotzdem Stagnation. Daher erkennen selbst konservative politische Regime wie Saudi-Arabien jetzt, dass sie ohne Flucht aus der vom Westen geschaffenen "Komfortzone" stagnieren und schließlich explodieren werden.

Die innenpolitische Krise in den USA und Europa zwingt sie dazu, immer weniger durch wirtschaftliche Vorteile und immer mehr durch rohe Gewalt und Zwang zu handeln. Wir sehen, dass die Vertreter Washingtons selbst bei Verhandlungen mit ihren Verbündeten ständig auf Drohungen zurückgreifen und selten in der Lage sind, von der wirtschaftlichen Vernunft ihrer Partner auszugehen. Die US-Amerikaner verhalten sich so, weil sie keinen anderen Weg kennen, um ihr Monopol aufrechtzuerhalten.

Man könnte Putin in diesem Zusammenhang widersprechen, wenn er sagt, dass niemand den Westen herausfordert, sondern alle sich nur weiterentwickeln wollen. Die moderne Welt war bis vor Kurzem so aufgebaut, dass allein die Tatsache, dass sich die anderen entwickelten, eine Herausforderung für die Monopolstellung der USA und Europas darstellte, eine Bedrohung für ihre Fähigkeit, eine parasitäre Existenz im globalen Maßstab zu führen. China, das mit seinen kolossalen Humanressourcen eine mächtige Wirtschaft aufbauen konnte, ist die größte Bedrohung für ein solches Monopol. Dies ist der Weg, den die Mehrheit der Welt jetzt geht.

In der Praxis wird ein entstehendes globales Finanz- und Handelssystem, das nicht an eine oder zwei westliche Währungen gebunden ist, eine entscheidende Rolle in der neuen internationalen Ordnung spielen. Zu diesem Zweck gehen Russland und seine Partner nun zu gegenseitigen Abrechnungen in nationalen Währungen über – ein Thema, dem der Präsident besondere Aufmerksamkeit geschenkt hat. Ein großer Teil der Monopolstellung des Westens liegt in seiner Fähigkeit, das globale Finanzwesen und die Abwicklungen zu kontrollieren, die das Funktionieren der gesamten Weltwirtschaft gewährleisten. Es ist kein Zufall, dass die ersten heftigen Schläge des Wirtschaftskriegs gegen Russland darin bestanden, es von den Transaktionsmechanismen zu trennen, die die Vereinigten Staaten und Europa kontrollieren.

Dieses Verhalten führte jedoch sofort zu dem Wunsch anderer Länder auf der ganzen Welt, sich vor einer solchen Behandlung in Zukunft zu schützen. Der Einsatz solcher Methoden gegen Russland bedeutet, dass der Westen bereit ist, die drastischsten Maßnahmen zu ergreifen, gleichzeitig aber andere Mittel ausgeschöpft hat, die anderen an der Richtigkeit seines Handelns zu überzeugen.

In Zukunft wird das globale Finanzsystem aus mehreren unabhängigen Zentren bestehen, die den anderen die notwendige Wahlfreiheit und den Wettbewerb ermöglichen. Je mehr es sind, desto besser, denn in den letzten 30 Jahren hatten wir reichlich Gelegenheit zu sehen, dass Monopolismus nicht nur ein Übel ist, sondern ein absolutes Übel, wenn die Inhaber einer solchen Position politische Interessen verfolgen.

Mit anderen Worten: Der internationale Kontext ist nun auf der Seite Russlands, das, wie es das Schicksal will, als Erstes mit dem Westen in einem militärisch-diplomatischen Konflikt um die ukrainische Frage konfrontiert wird. Die Frage ist jetzt nicht, ob der Westen verlieren wird – er ist historisch dazu verdammt, seine Monopolstellung auf der Welt zu verlieren. Das Wichtigste für Russland ist, wie es selbst aus dieser Konfrontation hervorgehen wird, wie der Staat, die Gesellschaft und die Volkswirtschaft standhalten und stärker werden.

Hier sieht sich Russland mit einer Reihe von Problemen konfrontiert – Gesellschaft und Staat haben sich in den letzten Jahrzehnten in einem Zustand relativer Bequemlichkeit und mangelnder Notwendigkeit zur Mobilisierung entwickelt. Der Platz des Landes in der künftigen internationalen Ordnung hängt davon ab, wie gut diese Probleme bewältigt werden können. Dies muss jedoch geschehen, ohne die Errungenschaften der freien Marktwirtschaft, der Demokratie und der ideologischen Vielfalt aufzugeben. Sich in eine militarisierte Gesellschaft zu verwandeln, um den Westen zu besiegen, ist keine Option – das haben unsere Vorgänger bereits getan, und das Ergebnis war die Niederlage im Kalten Krieg.

Aber auch in der Außenpolitik ist die Konfrontation mit dem Westen an sich nicht das Wichtigste in strategischer Hinsicht. Viel wichtiger ist, wie Russland seine Beziehungen zur Weltmehrheit gestalten wird. Erstens sind sie notwendig für die Entwicklung neuer Außenwirtschaftsbeziehungen, die von der nationalen Industrie und anderen Sektoren benötigt werden. Zweitens ist die Zusammenarbeit mit der nicht-westlichen Welt bereits Teil der Bemühungen, das Monopol der USA und Europas zu brechen, das das Überleben Russlands bedroht. Jede Transaktion oder jedes Handelsabkommen, das vom Westen unabhängig ist, ist ein Schlag gegen seine Hegemonie in der Weltpolitik und -wirtschaft. Drittens: Je mehr unabhängige Staaten es auf der Welt gibt, desto besser für Russland – seine Interessen und Werte lehnen Versuche ab, alles zu vereinheitlichen und gemeinsame Standards zu schaffen.

Für Russland wird daher die Unterstützung der autonomen Entwicklung anderer Länder zu einem zentralen Element seiner außenpolitischen Strategie. Dies bedeutet, dass Möglichkeiten für den freien und gegenseitigen Transfer von Ideen, Technologie und Bildung geschaffen werden müssen. In gewisser Weise war dies die Politik, die die UdSSR in ihren besten Zeiten verfolgte. Nur waren damals ideologische Dogmen ein Hindernis. Heute ist Russland pragmatischer und gleichzeitig offen dafür, die Werte anderer so zu akzeptieren, wie sie sind.

Es geht nicht darum, den anderen Ideen oder Bündnisse aufzuzwingen – das braucht niemand auf der Welt. Der Westen hat, wie seinerzeit die UdSSR, bereits versucht, alle zu zwingen, in einer Linie zu gehen – und die Ergebnisse sind ganz offensichtlich. Erfolgreich wird eine Politik sein, die in der Lage ist, die Interessen unserer Partner aus den Ländern der Weltmehrheit ständig zu berücksichtigen, ihnen zu größerer Entscheidungsfreiheit zu verhelfen und systematisch darauf hinzuwirken, dass die nun entstandene objektive Interessenkonvergenz zur Grundlage unserer Beziehungen und einer neuen, gerechteren internationalen Ordnung wird.

Übersetzt aus dem Russischen.

Zuerst erschienen in der Zeitung Wsgljad.

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