Megaprojekt für "grünen" Wasserstoff und Methanol in Uruguay: Süßwasser-Reserven in Gefahr
Von Maria Müller
Die in Deutschland als Energieunternehmen tätige Firma ENERTRAG will im südamerikanischen Uruguay mitten in einem weiträumigen Naturgebiet ein groß angelegtes Industrieprojekt umsetzen. Dabei geht es um die Produktion von "grünem" Methanol und Wasserstoff, dem sogenannten Treibstoff der Zukunft. Partner ist die uruguayische Firma SEG Ingeniería, die zusammen mit ihrem Ableger Belasay S.A. das Unternehmen im Ort Tambores vorantreibt.
ENERTRAG hat bereits Erfahrung im Bereich der erneuerbaren Energien: In Deutschland und Frankreich betreibt die Firma gut 80 Windparks. Zurzeit will das Unternehmen auf dem Gelände der Raffinerie Schwedt eine Anlage für die Herstellung von Wasserstoff errichten.
Projekt in Uruguay
Die Kosten für das Projekt in Uruguay wurden auf rund 700 Millionen US-Dollar veranschlagt. Die Anlage soll 13.000 Tonnen Wasserstoff und 70.000 Tonnen Methanol pro Jahr produzieren. Das sei laut Firmenangaben ungefähr die Menge, die Deutschland als Industriestandort benötige. Nach Ansicht von ENERTRAG besitze das kleine Land dafür "ein sehr großes Potenzial".
Schon seit mehreren Jahrzehnten wird in Deutschland an Wasserstoff für Fahrzeuge geforscht, um die herkömmlichen, als "Klimakiller" kritisierten fossilen Kraftstoffe zu ersetzen. Heute könnten Autos, Überseefrachter und Flugzeuge mit Wasserstoff betrieben werden, technische Probleme seien inzwischen überwunden.
Doch warum will eine deutsche Firma für den deutschen oder gar europäischen Energiemarkt den Treibstoff im fernen Südamerika herstellen?
Die Bezeichnung "grüner" Wasserstoff steht für die Erzeugung von Wasserstoff aus ausschließlich erneuerbaren Energiequellen (Wind, Sonne, Wasser). Die riesige Elektrolyseanlage, die den Wasserstoff in Uruguay produzieren soll, müsste daher durch einen großen Windkraft- und Solarpark mit Strom versorgt werden. Klimatisch könnte das funktionieren, denn Uruguay deckt schon heute seinen Strombedarf mit 30 Prozent Windenergie, die in bestimmten Teilen des Landes kontinuierlich vorhanden ist. (Nicht zu vergessen: Das Land von der Größe der Schweiz hat nur knapp drei Millionen Einwohner und keine stromfressenden, großen Industrieanlagen.)
Extremer Wasserverbrauch
Doch das Projekt hat einen Haken: einen enormen Wasserverbrauch. Nach Angaben der Firma Belasay S.A., die für dieses Vorhaben in Uruguay gegründet wurde, benötigt das Verfahren täglich zwischen 500.000 und 700.000 Liter Wasser. Diese Mengen sollen aus dem unterirdischen Süßwasserreservoir "Guaraní" entnommen werden.
Das riesige Grundwassergebiet gehört zu den wenigen großen Trinkwasserreserven der Erde. Es erstreckt sich vom Norden Brasiliens bis zum Süden Uruguays und reicht bis Paraguay und Argentinien. Laut der Firma gäbe es also genügend sauberes Wasser für das Projekt, obwohl sie bis jetzt keine technischen Studien vorlegte, die das belegen.
Da für das Elektrolyseverfahren reines Wasser benötigt wird, hat die Nutzung von Grundwasser einen offensichtlichen wirtschaftlichen Vorteil. Das Säubern von Salz- oder verunreinigtem Süßwasser verursacht hohe Kosten. In Deutschland belaufen sich die Kosten für die Wasseraufbereitung auf etwa 2.432 US-Dollar pro Tonne Wasserstoff. In Uruguay ist die Nutzung von sauberem Grundwasser bis jetzt gratis.
Doch uruguayische Wissenschaftler melden Bedenken an. Die tägliche Entnahme großer Mengen Wasser könnte das Reservoir nachhaltig beeinträchtigen. Denn es handelt sich bei dem "Acuifero Guaraní" um ein in weiten Teilen Südamerikas verzweigtes und voneinander abhängiges System von überirdischen Flüssen und unterirdischen Seen. Angesichts des Klimawandels mit zunehmendem Regenmangel müsse der Umgang mit sauberem Süßwasser neu definiert werden. Auch in Uruguay hat sich die Niederschlagsmenge auf ein Drittel ihres früheren Niveaus vermindert.
Wissenschaftlerinnen warnen vor den Schäden an einmaligen Süßwassersystemen in Südamerika
Graciela Piñeiro ist Paläontologin, Dozentin und Forscherin in Biologie und Geowissenschaften an der Fakultät für Naturwissenschaften in Uruguay und blickt auf mehr als 30 Jahre Forschung am Guaraní-Grundwasserbecken zurück. Maria Paula Collazo ist Hydrogeologin und hat einen Master im "Management kontaminierter Gebiete". Auf einem Informationstreffen über das Wasserstoffprojekt erläuterten die Wissenschaftlerinnen:
"Es muss deutlich gesagt werden, dass dieses Projekt Trinkwasser verwendet, es verwendet keine Abwässer, wie es in anderen Projekten der Fall sein kann, in denen grüner Wasserstoff aus Residualwasser hergestellt wird. In diesem Fall handelt es sich um Trinkwasser",
erläuterte Paula Collazo hinsichtlich des Wasserstoff-Methanol-Projekts.
"Fast jeder spricht über die Bedeutung erneuerbarer Energien, nur sehr wenige sprechen über die Auswirkungen auf die Wasserressourcen oder darüber, was der wichtigste Rohstoff des Projekts ist", fügte die Forscherin hinzu.
Graciela Piñeiro erklärte, dass das Guaraní-Grundwasser kein einzelnes Reservoir ist, sondern ein Netzwerk von Grundwasserleitern mit unterschiedlichen Eigenschaften, die miteinander kommunizieren. Das gesamte Reservoir wird deshalb das Guaraní-Aquifer-System (SAG) genannt.
Im Jahr 2019 trockneten die wichtigsten Flüsse Südamerikas und insbesondere die mit dem Guaraní-Aquifer verbundenen Flüsse in Argentinien, Brasilien und Uruguay gleichzeitig aus. Das hatte man schon seit Langem nicht erlebt.
"Die Flüsse hängen von den Grundwasserleitern und dem Regen ab. Wenn der Grundwasserspiegel sinkt, trocknet der Fluss aus, egal, wie viel Regen fällt",
kommentierte Piñeiro. Sie informierte darüber, dass laut dem Programm der UNO für den globalen Wasserhaushalt das Grundwasser etwa die Hälfte des weltweiten Trinkwassers bereitstellt. Daher müsse es als geschützter, strategischer Rohstoff gelten.
Das Gleichgewicht zwischen Entnahme und Wiederauffüllung der Reserven müsse aufrechterhalten werden. Denn bis sich die Grundwassermenge erholt, könne es mehrere Jahrzehnte dauern.
"Wenn wir über Grundwasser sprechen, sollten wir nicht über eine sich unmittelbar regenerierende Ressource sprechen", sondern über einen "nicht erneuerbaren lebenswichtigen Grundstoff, dessen Erneuerung viele Jahre dauert."
Die Wissenschaftlerinnen mahnten an, dass die Priorität im Umgang mit Wasser die Versorgung der Menschen und die Produktion von Lebensmitteln sein muss. Bedrohliche Dürreperioden machen dieses Thema zu einer Überlebensfrage der Menschheit.
Weiter kritisieren die Wissenschaftlerinnen, dass sich die Betreiber des Projekts die geringe oder gar nicht vorhandene Reglementierung der Süßwasserreserven in Uruguay zunutze machen.
"Das Projekt erwähnt in seiner Beschreibung mit keinem Wort, was sein wichtigster Rohstoff ist – nämlich das Grundwasser. Trinkwasser für die Menschen. Der 'grüne' Wasserstoff und das Methanol dürfen nicht damit hergestellt werden. Sonst machen wir Brennstoff aus Trinkwasser."
Bedenken des Umweltministers
Auch der Umweltminister Uruguays, Adrian Peña, meldete inzwischen Bedenken an:
"Für das Projekt werden relativ bedeutende Mengen an Wasser benötigt. Da muss man vorsichtig sein, denn es könnte für andere Nutzungen knapp werden."
Nach öffentlicher Kritik stellte die Firma klar, den Wasserbedarf der künftigen Fabrik nicht aus der Guaraní-Reserve decken zu wollen. Vielmehr solle das benötigte Wasser mittels Bohrungen in einer 150 Meter dicken Basaltschicht unter dem Grundwassersee gewonnen werden. Das Projekt stützt sich in dieser zentralen Frage allerdings nicht auf wissenschaftlich fundierte Studien, sodass die Bedenken bislang nicht zweifelsfrei ausgeräumt werden konnten.
Wasserstofferzeugung auch in Europa
Auch in Europa stellten mehrere Wasserstofferzeuger ihre Projekte vor. Dänemark will dafür beispielsweise die Insel Bornholm ausbauen.
In Deutschland und in Spanien denkt man an künstliche Inseln oder Meeresplattformen, wobei auch ehemalige Ölförderplattformen umgenutzt werden könnten. Die Kosten für die Entsalzung des Meerwassers sollen dabei durch Windparks verringert werden.
In Deutschland werden am Industrie- und Chemiestandort Leuna bereits rund 700.000 Tonnen Methanol pro Jahr mit fossilen Rohstoffen hergestellt – mit dem Anspruch, "klimaneutral" zu produzieren.
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