Meinung

Donau-Trio: Serbien, Ungarn und Österreich beraten über Gaskrise und Migration

Im Rahmen eines Treffens haben die Staatschefs Ungarns, Österreichs und Serbiens über die Gaskrise und die illegale Migration in Europa beraten. Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán übernahm die Führungsrolle beim Donau-Trio. Entsteht ein neues Österreich-Ungarn?
Donau-Trio: Serbien, Ungarn und Österreich beraten über Gaskrise und MigrationQuelle: AFP © Attila Kisbenedek

Von Kirill Benediktow

Was haben Belgrad, Budapest und Wien gemeinsam? Alle drei Hauptstädte liegen an der Donau, dem großen europäischen Strom, der einst den Flickenteppich des österreichisch-ungarischen Reiches verband. Der Geist eines scheinbar längst vergangenen Österreich-Ungarns schwebte über dem Budapester Burggarten-Basar, wo sich am Montag Serbiens Präsident Aleksandar Vučić, Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán und Österreichs Bundeskanzler Karl Nehammer trafen. Die erste Geige des Trios spielte eindeutig der Staatschef Ungarns. Nicht weil er der Gastgeber war. Die Autorität und der Einfluss Orbáns werden durch seine entschlossene politische Haltung gestärkt und, was in den derzeitigen turbulenten Zeiten besonders wichtig ist, durch seine guten Beziehungen zu Moskau.

"Der Winter ist nah", lautet das Motto des Hauses Stark aus George Martins Epos "A Song of Ice and Fire". Bei dem Treffen in Budapest wurde Ned Stark eindeutig von Vučić verkörpert. "Dieser Winter wird kein leichter sein", sagte er auf einer Pressekonferenz. "Ich bin nicht optimistisch gestimmt, ich denke, dass der nächste Winter noch schwieriger werden wird."

Mit seiner Prognose liegt Vučić kaum falsch. Der Verzicht der EU, Gas aus Russland zu importieren, die steigenden Energiepreise, die Vorgänge an den Pipelines Nord Stream 1 und Nord Stream 2 – all dies verheißt einen harten und kalten Winter für die Balkanländer.

Serbien sei ein armes Land mit einer wirtschaftlichen Situation, die bei weitem nicht an das Niveau der führenden westlichen Länder heranreiche, betonte Vučić. Das Hauptproblem liege nicht darin, dass die Menschen in diesem Winter nichts zum Heizen haben werden, sondern in der Hilflosigkeit des Staates gegenüber der Wirtschaft. "Die Menschen nehmen die Krise nicht so wahr, wie wir es im Staatsapparat tun", sagte Vučić.

"Die Situation ist katastrophal. Wir verbrauchen die gesamten Ersparnisse des letzten Jahrzehnts. Die Handelszentren in unserer Region werden schließen, weil die Menschen ihre Stromrechnungen nicht mehr bezahlen können. Wir können nicht mit den Deutschen und Franzosen konkurrieren, die in der Lage sind, Unternehmen zu subventionieren."

Die einzige Hoffnung in einer solchen Situation sind Freunde und Nachbarn, vor allem in Budapest. Ungarns Ministerpräsident Orbán enttäuschte seinen serbischen Freund nicht. Das Land verfüge über Gasreserven für fünf bis sechs Monate, sagte er, und Budapest sei bereit, Belgrad in dieser Zeit mit Energie zu versorgen, aus Dankbarkeit für den Transit von russischem Gas. Ungarn kann es sich leisten. Noch im Sommer hatte das Land 141 Prozent seines Winterbedarfs an Gas angesammelt, und Ende August unterzeichnete Budapest einen Vertrag mit Gazprom über die Lieferung von zusätzlich 5,8 Millionen Kubikmetern Gas pro Tag über South Stream.

Selbstverständlich hat Ungarns Freundschaft zu Russland diesen Luxus ermöglicht. Die ungarische Regierung hat sich konsequent gegen antirussische Sanktionen ausgesprochen. "Wir in Europa sind die Energiezwerge und verhängen Sanktionen gegen den Energieriesen. Das ist ein absolut außergewöhnliches Phänomen", spottete Orbán über die Brüsseler "Intelligenzia".

Ungarn unterhält normale Geschäftsbeziehungen zu Moskau, selbst inmitten der russophoben Ausschweifungen, von denen die EU besessen ist. Serbien und Ungarn sind zwei mitteleuropäische Länder, die sich der EU-Dressur durch ihren Widerwillen, das Verhältnis zu Russland zu stören, grundsätzlich entziehen. Es ist schwer zu sagen, wer von den beiden dem Druck der Euro-Atlantiker am leichtesten standhält.

Serbien ist kein Mitglied der EU und wird ständig damit erpresst, dass es auch niemals eines sein wird, sollte es sich weiterhin auf die Seite Russlands stellen. Allerdings nimmt die Wirksamkeit dieses Druckmittels stetig ab. Glaubt man den jüngsten Umfragen, so sind nur noch 36,2 Prozent der Menschen im Land für einen EU-Beitritt und 43,6 Prozent sind dagegen. Früher war das Verhältnis umgekehrt.

Auch Ungarn sollte sich den Brüsseler Beschlüssen unterordnen, widersetzt sich aber dreist. Und das nicht nur bei Fragen der Energiezusammenarbeit mit Russland. Budapest wehrt sich seit vielen Jahren gegen die EU-Migrationspolitik der "offenen Tür", welche die Ungarn für selbstmörderisch halten. Daher überrascht es nicht, dass bei dem Treffen in Budapest das Donau-Trio intensiv über Migrationsfragen diskutierte.

"Wir leiden alle unter der illegalen Migration", sagte Orbán unverblümt. Die Grenzschutzbeamten aller drei Länder führten "einen heroischen Kampf gegen die nach Europa drängenden Migrantenmassen", es werde aber zunehmend schwieriger, diesem Ansturm standzuhalten. Insbesondere, weil der Migration "im internationalen Umfeld nicht genügend Aufmerksamkeit geschenkt wird". Dies, obwohl eine der Hauptrouten für Flüchtlinge aus dem Nahen Osten und Zentralasien über den Balkan verlaufe.

Dem ungarischen Ministerpräsidenten zufolge sollten drei Dinge getan werden: Erstens sollte eine sogenannte Verteidigungslinie weiter nach Süden an die Grenzen Nordmazedoniens verlegt werden. Zweitens sollten alle Illegalen dorthin abgeschoben werden, "wo sie herkommen". Und drittens sollten "Zugangspunkte" zur EU außerhalb der EU-Grenzen selbst geschaffen werden. Richtig wäre es, betonte Orbán, wenn Asylanträge nur an solchen Stellen gestellt werden könnten und bis zu einem positiven Bescheid die Einreise in die EU unmöglich wäre.

Bezüglich der Idee von Zugangspunkten zeigte sich Vučić jedoch besorgt. Natürlich sei es wichtig, mit Asylbewerbern, die ein schweres Schicksal hätten, solidarisch zu sein, jedoch wolle Serbien nicht, dass sich ein solcher Zugangspunkt auf seinem Territorium befinde. "Wir wollen kein Lager für Migranten werden", betonte er. Man kann Vučić verstehen: Serbien ist für Syrer und Afghanen, die vom reichen Deutschland oder Frankreich träumen, wenig interessant, doch die schmuddeligen Zeltlager in den Straßen serbischer Grenzstädte, die vor zwei Jahren auch in Belgrad zu sehen waren, bereiten den Grenzschützern und der Polizei große Kopfschmerzen. "Seit 2015 flehe ich die EU an, eine klare Position zur Migration zu beziehen", beschwerte sich der serbische Präsident. "Es hat uns niemand kritisiert, eine klare Position habe ich aber auch nicht gehört."

Während man aber in Brüssel lieber die Augen vor dem Problem der Migrationsströme verschließt, hat Vučić in der Führung Ungarns und Österreichs verständnisvolle Verbündete gefunden. "Es ist in unser aller Interesse, dass Serbien seine Südgrenze so gut wie möglich verteidigen kann", sagte Orbán. Zu diesem Zweck werde unter anderem in naher Zukunft eine gemeinsame Konferenz einberufen, auf der konkrete Maßnahmen zum Schutz der südlichen Grenze Serbiens erörtert würden. Hierbei handele es sich bekanntlich um die teilweise anerkannte Republik Kosovo und Nordmazedonien. Über die Vorschläge, die auf der Konferenz erarbeitet würden, werde man Brüssel informieren.

Die türkische Nachrichtenagentur Anadolu zitierte Orbán mit den Worten:

"Ungarn, Serbien und Österreich schützen nicht nur sich selbst, sondern auch Europa. Die Verteidigungslinie des heutigen Europas ist die serbisch-ungarische Grenze, und es liegt im Interesse aller Länder, diese weiter nach Süden zu verschieben."

Unterstützung fand Serbien auch beim österreichischen Bundeskanzler. Vor kurzem unterhielten sich Vučić und Nehammer am Rande der UN-Generalversammlung in New York. Wie der österreichische Bundeskanzler nach dem Treffen sagte, war eines der Hauptthemen die illegale Migration. Österreich erlebe einen starken Anstieg der Zahl von Asylbewerbern aus Ländern wie Indien und Tunesien, die über die Balkanroute kämen. Diese überquerten hauptsächlich die serbische Grenze, weil die ungarische Grenze dank Orbáns Bemühungen "mehr oder weniger dicht ist.

Für Österreich sei Serbien "ein wichtiger Partner im Kampf gegen illegale Migration und Menschenhandel", betonte Nehammer und fügte hinzu, es sei eine dringende Notwendigkeit, das Asylsystem in der EU anzupassen.

Was sehen wir? Die drei Staatschefs der Donauländer gründen eine informelle Gruppe, um die momentan dringendsten Probleme anzugehen: Energie und Kontrolle der Migrationsströme. Genau jene Probleme, welche die EU nicht lösen kann – und vielleicht auch gar nicht lösen will.

Dass der Brexit einen Dominoeffekt auslösen könnte, darüber schrieb seinerzeit nur ein Faulpelz nicht. Diese Vorhersagen haben sich jedoch nicht bewahrheitet. Weder Frankreich noch Italien haben es eilig, dem britischen Beispiel zu folgen. Stattdessen sehen wir einen Zusammenschluss von einzelnen Ländern, die versuchen, innerhalb der EU auf der Grundlage eigener Werte und Interessen zusammenzuarbeiten, anstatt auf der Grundlage von Weisungen aus Brüssel. Das Donau-Trio ist auch deshalb interessant, weil zu den beiden EU-Mitgliedsstaaten Ungarn und Österreich noch der "ewige Kandidat" Serbien hinzukommt. Und Ungarn, das führende Land dieses Blocks, ist bestrebt, seinen Einfluss auf andere Länder in der Region auszudehnen.

Zur gleichen Zeit, als Orbán, Vučić und Nehammer in Budapest von Journalisten belagert wurden, entwickelten sich im malerischen Bosnien und Herzegowina auf dem westlichen Balkan noch dramatischere Ereignisse.

Am Sonntag fanden in den beiden Entitäten dieses seltsamen Staates Wahlen der Parlamentsmitglieder und des Präsidiums sowie des Präsidenten der Republika Srpska und der Föderation Bosnien und Herzegowina statt. Auch hier nicht ohne Überraschungen. Bakir Izetbegović, Vorsitzender der Partei der Demokratischen Aktion und Vertreter der einflussreichen muslimischen Dynastie Izetbegović, die Bosnien seit dem Jahr 1990, als es noch Teil der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien war, regiert hatte, wurde nicht in das Präsidium gewählt. Allein dies kommt einem politischen Erdbeben gleich.

In der Republika Srpska, wo der langjährige Russlandfreund Milorad Dodik und Jelena Trivić, ein pro-europäischer Sprössling einer deutschen Nichtregierungsorganisation, gegeneinander antraten, ist die Situation noch prekärer. Noch vor Bekanntgabe der Ergebnisse verkündete Trivić ihren Sieg. Am Montag wurden die endgültigen Zahlen bekannt: 52,7 Prozent stimmten für Dodik und nur 46,94 Prozent für Trivić.

Allerdings waren die Millionen Euro an Investitionen der Konrad-Adenauer-Stiftung in die Trivić-Kampagne nicht dafür gedacht, dem "pro-russischen" Dodik den Sieg zu schenken. So hat Trivić ihre Niederlage nicht eingestanden und fordert nun eine Wiederholung der Wahlen. Während des ersten Maidan in Kiew im Jahr 2004 war es zu einer ähnlichen Situation gekommen.

Während aber Trivić eine Pressekonferenz einberief, sprach Orbán seine Gratulation an Milorad Dodik zu dessen Sieg bei den Präsidentschaftswahlen in der Republika Srpska aus und versicherte, dass er sich bemühen werde, "die ausgezeichnete politische Zusammenarbeit" der beiden Länder fortzusetzen. Dodik bedankte sich herzlich bei dem ungarischen Ministerpräsidenten und erklärte sich umgehend zu einem Treffen "in naher Zukunft" bereit. Dieses Treffen "wird eine ausgezeichnete Gelegenheit sein, die Diskussion über Möglichkeiten und Wege der weiteren Stärkung und Vertiefung der Zusammenarbeit zwischen der Republika Srpska und Ungarn fortzusetzen", schrieb das Staatsoberhaupt der Republika Srpska auf Twitter.

Diese Eposide aus Bosnien zeigt, dass sich Budapest zunehmend als Hauptgegner nicht nur von Brüssel, sondern auch von Berlin begreift. Und die Allianz Budapests mit dem "fröhlichen Wien" bereichert die neue mitteleuropäische Konstellation mit einer Prise pikanter historischer Anspielungen. Vor unseren Augen formen sich aus der Asche der gefallenen Reiche die Konturen eines neuen "Österreich-Ungarn", das einem neuen "Preußen" gegenübersteht. Allerdings wird die Donaukoalition heute nicht mehr von der Macht der Habsburger zusammengehalten, sondern von den Interessen der Völker. Deshalb könnten die Endergebnisse dieser Konfrontation anders ausfallen als vor eineinhalb Jahrhunderten.

Übersetzt aus dem Russischen

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