Unmaskiert: Steinmeier unterwegs – zur Feldforschung im Osten
Von Mirko Lehmann
Wie das Bundespräsidialamt auf seiner Webseite mitteilt, hat Frank-Walter Steinmeier für drei Tage seine Amtsgeschäfte nach Neustrelitz in Mecklenburg-Vorpommern verlegt. Von der Mecklenburgischen Seenplatte aus sollen bis einschließlich 13. Oktober die dienstlichen Verpflichtungen des Staatsoberhaupts mit demonstrativer Offenheit erfüllt werden, einschließlich des Empfangs seines slowenischen Amtskollegen. Die Fahrt in die vermeintliche Provinz – Neustrelitz gilt schließlich als (ehemalige) Residenzstadt – ist nicht die erste des Bundespräsidenten, sondern die vorläufig letzte einer Reihe von Besuchen, die unter der Bezeichnung "Ortszeit" laufen. Der hohe Anspruch dieser Übung wird folgendermaßen formuliert:
"Der Bundespräsident verlässt Berlin und das Schloss Bellevue, er fährt raus ins Land, um mit Bürgerinnen und Bürgern zu reden: über aktuelle Herausforderungen, Wünsche, Sorgen und unsere Demokratie – offen und interessiert, kontrovers und respektvoll."
Hehrer Anspruch
Der präsidiale Ausflug dient also, wie betont wird, dazu zu zeigen, wie sehr der Bundespräsident sich um die Sorgen und Nöte der Bürger kümmert:
"Er möchte sich einen tieferen Eindruck verschaffen, wie die Menschen angesichts des andauernden Krieges gegen die Ukraine, dramatisch steigender Preise sowie nach mehr als zwei Jahren Pandemie auf ihren Alltag und unser Land blicken."
Bei den Gesprächen vor Ort soll es diesmal um die hohen Lebenshaltungskosten und die Energiekrise gehen, auch der Mittelstand wurde nicht vergessen. Denn die "oftmals noch strukturschwachen Gebiete" im Osten seien besonders von den hohen Energiepreisen betroffen, die – was sonst? – eine Folge des "russischen Angriffskrieges auf die Ukraine" seien. Wie es weiter heißt, sei der Bundespräsident während seines Aufenthalts in Neustrelitz "ansprechbar", er bringe Zeit mit und suche "spontane Begegnungen". Sozusagen mit dem Ohr an der Stimme des Volkes. Oder hochtrabend wissenschaftlich gesprochen: Der Bundespräsident auf Forschungsreise – zu den kaum bekannten "Ossis", die einer weiteren teilnehmenden Beobachtung durch den Präsidenten unterzogen werden sollen. Soziologisch-ethnologische Feldforschung eben.
Tücken der Inszenierung
Doch die schöne Exkursion in den rätselhaften Osten der Republik begann mit einem Missgeschick. Wie sich erweisen sollte, mit einem geradezu pandemischen. Das Staatsoberhaupt reiste mit der Bahn nach Mecklenburg. Dieser Umstand mag, für sich genommen, noch nicht als so außergewöhnlich erscheinen. Dokumentiert ist allerdings, dass der Bundespräsident einen Regionalexpress wählte und – auf dem oberen Deck eines Doppelstockwagens – offensichtlich 1. Klasse fuhr. Woher man das weiß? Es existiert mindestens eine fotografische Aufnahme, die vom Bundespräsidialamt selbst veröffentlicht wurde. Sie zeigt den Herrn Bundespräsidenten im breiten, bequemen (Kunst-?) Ledersessel sitzend, vor sich ein Tischchen, darauf verschiedene Papiere ausgebreitet, er selbst ganz vertieft in das Studium einer Aktenmappe oder anderweitig bedeutsamer Schriftstücke, und seine sonst so ernste Miene wirkt beinahe hell, durchzogen von einem leichten, fast schon schelmischen Lächeln.
Hat der präsidiale Lichtbildner etwa eine Röntgenkamera verwendet? Nein, zu solchen Hilfsmitteln musste er nicht greifen. Der volksnahe Bundespräsident hat es dem Mitarbeiter des Presse- und Informationsamts der Bundesregierung einfach gemacht – und, anders als die Mitreisenden, keine Mundnasenbedeckung getragen. So ist Steinmeier auf der Fotografie gut zu erkennen, wie auch der Umstand, dass der Fahrgast hinter dem Präsidenten die vorgeschriebene Maske trug, zu sehen am weißen Gummibändchen um das linke Ohr. Soweit aus der Szene ersichtlich, hat der Bundespräsident zum Zeitpunkt der Aufnahme weder Speisen noch Getränke zu sich genommen, was ein Abnehmen der medizinischen oder FFP2-Maske rechtfertigen könnte.
Die denkwürdige Fotografie ist inzwischen nicht mehr auf der Webseite des Bundespräsidenten aufzufinden. Aber die Sache mit der 1. Klasse hat der stets wohlwollend berichtende NDR bestätigt.
Der Vollständigkeit halber sei noch erwähnt, dass der Rechtsanwalt Markus Haintz Anzeige wegen des Verdachts einer Ordnungswidrigkeit gegen Steinmeier erstattet hat.
Meine #Ordnungswidrigkeitenanzeige gegen #Bundespräsident#SteinmeierDie #Maskenpflicht gilt offenbar nicht für den #Bundespräsidenten. Künftig sollte man bei jeder Maskenkontrolle in der #Bahn das Bild von #Steinmeier vorzeigen. #FDP2Maske#Anzeige#MaskensindkeinmildesMittelpic.twitter.com/O0ds6P9vpP
— Markus Haintz (@haintz_markus) October 12, 2022
In Erinnerung gerufen sei auch, dass Bundespräsident Steinmeier schon 2020, also zu Beginn der Corona-Krise, durch nonchalanten Umgang mit der Maskenpflicht aufgefallen war. Zuerst im Mai bei der Eröffnung eines Berliner "Corona-Behandlungszentrums" und dann während seines Südtirol-Urlaubs im Juli. Bekanntlich sind vor dem Gesetz alle gleich, doch manche gleicher.
Probe aufs Exempel
Für die Rückfahrt von Neustrelitz nach Berlin empfiehlt sich übrigens ein Abstecher in das, je nach Route, knapp 140 Kilometer entfernte Schwedt an der Oder, gelegen im benachbarten Brandenburg. Dort, in der Uckermark, dürften die Sorgen angesichts der aktuellen Ereignisse noch größer geworden sein, als sie es ohnehin schon waren. Denn die Zukunft der PCK-Raffinerie – mithin auch die der Arbeitsplätze und die künftige Belieferung mit Ölprodukten aus Schwedt – ist seit Anfang des Jahres infolge der selbstzerstörerischen EU- und deutschen Sanktionspolitik völlig unklar, allen Versprechungen der Politik zum Trotz. Gerade jetzt einmal bei der Belegschaft nachzufragen, das wäre eine gute Gelegenheit für die vollmundig angekündigte "spontane Begegnung" – wenn es denn wirklich um die "aktuelle[n] Herausforderungen, Wünsche, Sorgen" geht. Und wäre ein Zeichen über Schwedt hinaus, nicht nur in den östlichen Bundesländern.
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