Meinung

Nach dem Anschlag auf Nord Stream: Wozu noch demonstrieren?

Es gibt für Russland keine ernstzunehmenden Motive dafür, die Nord-Stream-Pipelines zu beschädigen. Wohl auch deshalb wird zwar in Berlin und Brüssel über "härteste Konsequenzen" gesprochen, sollte es sich um eine "Sabotageaktion" handeln. Warum ausgerechnet Russland so etwas tun sollte, wird aber wohlweislich nicht diskutiert.
Nach dem Anschlag auf Nord Stream: Wozu noch demonstrieren?Quelle: www.globallookpress.com © Cover Images/Keystone Press Agency

Von T. J. Wellbrock

Die Idee mit den "härtesten Konsequenzen" und der "Sabotageaktion" kam von Ursula von der Leyen höchstpersönlich. Womit schon jetzt in Stein gemeißelt ist, dass die blau-gelbe Mode-Fee in Brüssel nicht von einer Beteiligung der US-Amerikaner ausgeht. Würde sie diesen Gedanken auch nur vorsichtig ins Auge fassen, wäre ganz sicher nicht die Rede von derart konsequenten Maßnahmen, was auch immer sie damit meinen mag. Denn eine von der Leyen droht doch den nicht den USA!

Wenn mögliche Täter über mögliche Täter spekulieren

Der deutsche Blätterwald ist kreativ, das ist bekannt. Sanft, aber doch mit Nachdruck, saugt er sich Fantasien aus den Fingern, die einzig Russland für den Angriff auf Nord Stream verantwortlich machen. Russland wolle den Gaspreis in die Höhe treiben, Russland wolle die Versorgung in Europa zerstören, Russland wolle (noch) eine Klimakatastrophe auslösen.

Wohlwollend ignorant gehen die deutschen Medien dagegen mit dem "Thank you, USA!" vom ehemaligen polnischen Verteidigungsminister Radosław Sikorski um. Der Mann muss sich wohl für irgendwas anderes als den Terrorakt bedankt haben. Völlig unverdächtig scheint auch dieser kleine Dialog zu sein, der im Februar 2022 zwischen einer Journalistin von Reuters und dem wie immer schläfrigen, aber trotzdem freundlich lächelnden US-Präsidenten Biden stattfand:

Biden: "Es wird kein North Stream 2 mehr geben. Wir werden dem ein Ende setzen."

Reuters: "Aber wie wollen Sie das genau machen, da die Kontrolle über dieses Projekt in Deutschland liegt?"

Biden: "Ich verspreche Ihnen, wir werden es schaffen."

Nun sind die USA nicht unbedingt dafür bekannt, alle Versprechungen einzuhalten, aber in diesem Fall könnte man vielleicht mal nachfragen oder sich zumindest ein paar Gedanken machen. Oder überprüft all das bereits Ursula von der Leyen, um dem dann "härteste Konsequenzen" folgen zu lassen? Man riskiert im Falle einer Wette nicht viel, wenn man diese Möglichkeit kategorisch ausschließt.

Ebenfalls eine Überlegung wert wäre die Tatsache, dass Russland nach den bisherigen Verträgen sein Geld in jedem Fall bekommt, ob nun Gas geliefert wird oder nicht. Wenn aber die technische Möglichkeit einer solchen Lieferung nicht mehr besteht, dann ist auch der Anspruch an diese Zahlungen endgültig futsch.

Diese drei kleinen Details würden jeden Kriminalbeamten auf die Fährte zu den USA oder zum Westen allgemein führen, was den Tatverdacht betrifft. Die USA haben also ein Motiv, auch die Möglichkeiten, also die technischen Mittel, und haben sogar bereits angekündigt, dass Nord Stream 2 nicht in Betrieb gehen wird.

Wozu noch demonstrieren?

Die Lecks führen zu einer weiteren Konsequenz. Zwar hatten es bislang jene Stimmen schon sehr schwer, die sich immer wieder für Verhandlungen über Gaslieferungen mit Russland aussprechen – aber es gab und gibt sie. Ein paar Unbeirrbare wurden nicht müde, darauf hinzuweisen, dass ohne russisches Gas hierzulande bald nicht mehr viel wie bisher laufen kann.

Und jetzt? Dieses Argument zumindest hat sich gewissermaßen in Luft aufgelöst. Wenn uns also jetzt noch ein heißer Herbst bevorsteht, dann wird er sich mit anderen Forderungen als der nach Öffnung von Nord Stream 2 (und Nutzung von Nord Stream 1 gleich mit) aufstellen müssen. Dumm gelaufen, liebe Demonstranten!

Da hartnäckig das völlig absurde Gerücht verbreitet wird, Russland sei für die Sabotageaktion verantwortlich, wird das Argumentieren noch schwieriger. Denn ob Russland die Tat begangen hat oder nicht, ist nach hinreichend vielen gebetsmühlenartigen Wiederholungen in den Medien, dass es so sei, auch bald irrelevant. Wenn nämlich das Wort "Butscha" fällt, assoziieren wahrscheinlich mittlerweile ebenfalls 9 von 10 Bundesbürgern damit Russland als angebliche Täter.

Was kann man also jetzt noch fordern? Nord Stream 2 reparieren? Verhandlungen und Frieden mit Russland? Entlastungspakete, bis der Arzt kommt? Und der wird kommen, und sei es mit der Qualifikation eines Psychotherapeuten, der die Traumata der Bevölkerung zu heilen versucht. Es ist schwierig.

Und während unsere "Qualitätsmedien" eine Verschwörungstheorie nach der anderen basteln, fragt sich der Pragmatiker: Cui bono? Doch damit sind wir beim nächsten Problem, denn die Frage danach, wem etwas nutzt, ist längst dauerhaft auf die "Stille Treppe" verbannt worden.

Krieg der Medien

Ganz ohne Umschweife: Die Medien in Deutschland führen einen Krieg gegen die Medienkonsumenten. Denn sie kommen nicht nur ihrer Aufgabe nicht nach, sondern haben sich offenbar einer völlig neuen Mission verschrieben. Sie lassen alles verschwinden, was dem geltenden Narrativ widerspricht. Damit verabschieden sie sich von Professionalität, Objektivität und – was am schwersten wiegt – von ihrem Anspruch zu informieren und aufzuklären.

Die bereits genannten Hinweise, die mindestens zum Verdacht der US-Urheberschaft der Sabotageaktion führen müssten, werden folglich konsequent ausgeblendet und ins Gegenteil verkehrt. Damit wird ein informativer Gewaltakt an den Lesern, Hörern und Zuschauer verübt. Denn denen wird vorenthalten, was sie wissen müssten. Und das wird bewusst und vorsätzlich getan. Es ist diese Mischung aus Verschweigen, Umdeuten und Konstruieren, die die Glaubwürdigkeit und Unabhängigkeit der meisten Medien zu einem Kollektiv von Propagandisten verkommen lässt, welches seine Aufgabe lediglich als Pressesprecher von einigen machtversessenen Politikern betrachtet.

Es geht hier übrigens nicht ums Spekulieren oder Verurteilen der einen oder anderen Seite. Es geht um die bitter nötige Ausgewogenheit, die man von Medien erwarten kann und erwarten muss. Eine Medienlandschaft, die nur Laubbäume zeigt und alle Nadelbäume als nicht existent behandelt, hat ihren Informationsauftrag nicht erfüllt und somit den Anspruch auf Seriosität verwirkt.

Heißer Herbst?

Zurück zum Ausgangspunkt und somit zu meiner ganz persönlichen Spekulation: Der Sabotageakt gegen Nord Stream 2 nützt in erster Linie den USA. Sie werden ihr schmutziges Gas nun noch leichter nach Europa und insbesondere Deutschland verkaufen können. Bestand bisher zumindest noch die theoretische Möglichkeit, mit Russland eine gewisse Einigung zu erzielen, ist das nun vorbei. In Anbetracht dieser Tatsache wäre es unverzichtbar, die Hintergründe für diese Tat(en) unaufgeregt und mit der nötigen Distanz zu allen möglichen Beteiligten zu ergründen. Daran haben, wie beschrieben, die meisten Medien in Deutschland kein Interesse (erfreuliche, aber wenig öffentlichkeitswirksame Ausnahmen bestätigen die Regel). Die herrschenden Politiker agieren jedoch mit der gleichen Ignoranz, und man fragt sich inzwischen, wer hier wen vor sich hertreibt: diese Medien die Politiker oder diese Politiker die Medien?

Fakt ist, dass jeder mögliche Widerstand gegen die suizidale Wirtschaftspolitik dieser Bundesregierung schon vor Wochen so sehr diffamiert wurde, dass sogar der gewaltsame Einsatz gegen Bürger medial und rhetorisch vorbereitet und gerechtfertigt wurde. Die Tatsache, dass nun Nord Stream (womöglich dauerhaft) nicht mehr funktionsfähig ist, erlaubt den Politikern eine perfide Argumentation: "Auf die Straße zu gehen, ergibt keinen Sinn mehr – wir bekommen ohnehin kein Gas mehr aus Russland. Bleibt also zu Hause und haltet euch von den Rechtsextremen fern."

Die wirtschaftlich sowieso schon desaströse Lage wird sich also weiter verschlimmern, Entlastungspakete und vergleichbare Maßnahmen werden den Schaden nicht einmal ansatzweise abfedern können. Gleichzeitig können sich Habeck und Konsorten auf dem Argument ausruhen, dass sie rein gar nichts mehr ändern können, selbst wenn sie es wollten.

Die wirtschaftliche Zerstörung des Landes – initiiert von denen, die jetzt großspurig Entlastungen für die selbst angerichtete Politik ankündigen – schreitet also unaufhaltsam voran. Sehenden Auges und bei vollem Bewusstsein werden die Menschen also an den Abgrund geführt, in den sie blicken können, bevor der letzte Schubs von hinten erfolgt.

Man kann der Bevölkerung nur zurufen: Jetzt erst recht! Geht auf die Straße, leistet Widerstand, kämpft gegen den Zerfall des Wirtschaftsstandortes Deutschland. Gründe dafür gibt es auch weiterhin noch mehr als genug.

Tom J. Wellbrock ist Autor und Texter. Er betreibt den Blog Neulandrebellen.

Mehr zum Thema - Erkenne deinen Feind: Wie eine deutsche Regierung auf die Nord-Stream-Angriffe reagieren müsste

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