Meinung

"Cleverländ"-Kampagne – oder: Wie die Politik mündige Bürger zu Kleinkindern degradiert

Das Bundesland Baden-Württemberg will "zusammen Energie sparen". Dafür wird eine teure Kampagne entwickelt, die dem doofen Bürger erklären soll, warum er im Monat zu viel Geld verschwendet. Die wahre Not der Menschen – ausgehend von einer destruktiven Politik – wird so erneut ins Lächerliche gezogen.
"Cleverländ"-Kampagne – oder: Wie die Politik mündige Bürger zu Kleinkindern degradiertQuelle: Gettyimages.ru © picture alliance / Kontributor

Von Bernhard Loyen

Winfried Kretschmann (Grüne), Ministerpräsident von Baden-Württemberg, gilt als bodenständiger Politiker alter Couleur. Das bedeutet, dass der Landesvater natürlich auch mal markige Sätze oder Empfehlungen an seine Untertanen richten kann. Er meint es ja nur gut mit seinen Mitbürgern. Im August erklärte er den Menschen: "Auch der Waschlappen ist eine brauchbare Erfindung." Dies galt der Ermahnung, doch bitte im Rahmen der sich abzeichnenden Energiekrise weniger zu duschen. 

Kretschmann meinte das vollkommen ernst, also nicht irgendwie mit Augenzwinkern. Von sich und seiner argumentativen Politik sowieso überzeugt wurde im Anschluss anscheinend gleich eine erweiterte Belehrungskampagne in Auftrag gegeben. Finanziert vom Steuerzahler, weil sie ja auch der Dummheit entgegenwirken soll, also die der Menschen im Ländle. Gebauchpinselt von seiner Cleverness, wurde sein Königreich gleich umbenannt – in Cleverländ. So der Name der Kampagne. "Zusammen Energie sparen" heißt es weiter im Slogan. Zusammen?

Die Gründe der stetig wachsenden Sorgen der Menschen im ganzen Land finden sich natürlich nicht bei der hiesigen Politik. Der Schuldige wird seit März medial wie auch politisch klar benannt. Es ist DER Russe. Wladimir Wladimirowitsch Putin. Daher muss es zu Beginn auf der Kampagnen-Webseite auch erklärend heißen:

"Der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine zeigt uns in aller Deutlichkeit, welche Folgen eine große Abhängigkeit in Sachen Energie für uns haben kann."

Kann, weil es noch einen weiteren Grund gibt, der bitte auch nicht bei der Bundespolitik zu suchen ist. So heißt es:

"Gleichzeitig sehen wir auch in Baden-Württemberg bereits drastische Auswirkungen des Klimawandels."

Deswegen wurden in Baden-Württemberg auch schon Ende der 1990er die Forschungsprogramme KLIWA (Klimaveränderung und Konsequenzen für die Wasserwirtschaft) und KLARA (Klimawandel – Auswirkungen, Risiken, Anpassung) ins Leben gerufen. Gebracht haben sie anscheinend bisher nichts, denn jetzt muss Kretschmann wirklich aktiv werden und den Bürgern mal erklären, wo an der Heizung gedreht werden muss. Es folgt nicht Die Sendung mit der Maus, auch nicht der Kindersendungsklassiker 1, 2 oder 3. Es folgt der Erklärbar Kretschmann, der den naiven und fahrlässigen Mitbürgern praktische Tipps für den Alltag vermittelt. So heißt es todernst, aber lächerlich verkauft zum Thema Wohnraumtemperaturregelung und Geldsparen in dem Cleverländ-Clip:

"Einfach vorm Insbettgehen den Thermostat runterdrehen. Ein Grad weniger heizen spart sechs Prozent Energie; zwei Grad weniger sparen zwölf Prozent; vier Grad schon ein Viertel der Heizkosten. Das lohnt sich also."

Einfach toll, danke. Kretschmann nutzt aktuell zum Vorleben dabei jedoch löblicherweise nicht die ihm zustehende Dienstvilla mit insgesamt 15 Zimmern auf 450 Quadratmetern Wohnfläche inklusive Schwimmbad. "Das Haus ist für mich und meine Frau einfach zu groß", ließ er bei Amtsantritt wissen. Er wohnt lieber in einem ehemaligen Gasthof, den einst die Familie seiner Ehefrau bewirtschaftet hat. Der Spiegel schrieb jüngst über Kretschmann:

"Seit 25 Jahren erhitze er sein Wasser zu 70 Prozent solar, außerdem habe er eine Pelletheizung bestellt. Kretschmanns Tipp: 'Wir heizen in der Regel nur ein Zimmer. Es ist auch gesünder, wenn man im Haus nicht überall die gleiche Temperatur hat.'"

Eine Pelletheizung ist ein Wärmeerzeuger, der die Energie für Heizung und Warmwasser aus der Holzverbrennung gewinnt. Handelspreise für den Gesamteinbau liegen je nach Nennleistung des Kessels zwischen 14.000 Euro und 21.000 Euro. Realisierbar bei einem monatlichen Salär von knappen 16.489,20 Euro.

"Gemeinsam ein Zeichen setzen" soll das Ziel der Kampagne darstellen. Du, Bürger, in deiner Zweizimmerwohnung. Ihr, vierköpfige Familie, in einer Dreizimmerwohnung, und ich, der Ministerpräsident, in meinem Gasthof. Gibt es noch weitere lebensnahe Empfehlungen aus der Gedankenwelt des Winfried Kretschmann? Gibt es – unter der Kampagnen-Rubrik: "10 Tipps, um clever Energie zu sparen". Clever & Smart wie auch Klaas Klever hätten ihre helle Freude:

"Clever heizen, clever lüften, clever kochen, clever kühlen, clever waschen, clever elektrisieren, clever mobil sein, clever Wärme erzeugen, clever dämmen, das kann man sich noch sparen."

Daraus ergeben sich dann insgesamt 34 Aufforderungen an die Menschen, mal bitte nachzudenken, bevor der Alltag einfach so hingeschludert gelebt wird. Der Punkt "Clever kochen" soll exemplarisch die Arroganz, die Abgehobenheit der politischen Kaste und ihrer Marketing-Helfershelfer darstellen. So heißt es wortwörtlich:

  1. Jedem Topf den passenden Deckel und jeder Herdplatte den passenden Topf, dann benötigen Sie zwei Drittel weniger Energie. Leicht verdientes Geld ...
  2. Benutzen Sie nicht den Backofen zum Brötchenaufbacken. Ein Toaster mit Aufsatz braucht 70 Prozent weniger Energie als ein Backofen ...
  3. Nehmen Sie zum Wasserkochen, etwa für Kaffee oder Tee, einen elektrischen Wasserkocher und nicht die Herdplatte – kochen Sie nur so viel Wasser, wie Sie brauchen ...

Wo er recht hat, hat er recht? Beim Punkt "Clever waschen" lautet die Ermahnung:

"Bei gering verschmutzter Wäsche reichen Waschtemperaturen um die 30 Grad meist aus. Kaltaktive Waschmittel reinigen sogar bei geringeren Temperaturen. Oftmals kann auf die Vorwäsche verzichtet werden."

Darf das bitte der mündige Bürger noch für sich entscheiden? Droht die Renaissance des kontrollierenden Blockwarts, der nicht mehr mit Block und Stift, sondern mit digitalem Mehrzweckgerät das "Social Scoring"-System aktualisiert? Was findet sich unter dem Punkt "Clever mobil sein"?

"Häufiges Bremsen und Schalten kostet beim Autofahren Energie. Vorausschauend und niedertourig fahren Sie besser. Es schont Umwelt, Nerven und Tankbudget."

Berufsverkehr in Ballungszentren, Stress durch Zeitmanagement (alleinerziehend, mehrere Berufe), Lieferdienste im Dauerstress, Baustellenchaos, Grün initiierte Verkehrsberuhigungen/Fahrradstraßen etc. – alles nervenraubende Alltagsrealitäten eines gesellschaftlichen Bodensatzes, aber nicht die der einfordernden Politiker. Den Punkt "Das kann man sich noch sparen", habe ich mir erspart.

Was die Politik sich eindeutig sparen kann, ist die Belehrung der mündigen Bürger durch solche Pipifax-Kampagnen. Millionen Menschen machen sich mehr als berechtigt ernsthafte Sorgen darüber, wie sie in den kommenden Wochen ihr Leben finanzieren und realisieren, Miete und Nebenkosten zahlen sollen. Tausenden Unternehmen und Betrieben droht das Ende, die Insolvenz, ausgehend von einzig und allein der destruktiven und zerstörerischen Politik der Ampel-Regierung. 

"Zusammen Energie sparen" ist ein bewusster verbaler Schlag in das Gesicht der Menschen im Land, die ihre körperliche Energie wohlwissend maßvoll einsetzen müssen, um das tägliche Dasein überhaupt noch meistern zu können. Wir leben nicht im "Cleverländ". Made in Germany wird mutwillig demontiert und zerstört. Solche Kampagnen irritieren nicht, sie schockieren mit dem Wissen, wie die ausführende Politik über die Menschen im Land anscheinend denkt. "Zusammen" soll auf billigste Art ein "Wir-Gefühl" suggerieren. Davon sind die verantwortliche Politik und der Bürger durch sich stetig vertiefende Gräben meilenweit voneinander entfernt.

Clever Politik gestalten! heißt daher die eindeutige Forderung an die Verantwortlichen – nicht nur in Stuttgart, sondern vor allem in der Bundeshauptstadt Berlin. Noch besser und wichtiger wäre es jedoch, endlich wieder intelligente und verantwortungsvolle politische Entscheidungen zu treffen. Im Sinne und zum Wohle der Menschen im Land.

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