Meinung

Ist im heutigen Amerika ein Bürgerkrieg möglich?

Mit dem anscheinend unüberbrückbaren Abgrund, der die Gesellschaft trennt, verdichten sich düstere Vorhersagen eines bewaffneten Konflikts. Aber die heutigen USA sind nicht mehr die des Jahres 1861, und obwohl der Riss tief ist, dürfte er sich anders auswirken.
Ist im heutigen Amerika ein Bürgerkrieg möglich?© https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/6/69/Battle_of_Gettysburg%2C_by_Currier_and_Ives.png

Von Robert Bridge

Verglichen mit dem politischen Hintergrund, der zum Bürgerkrieg von 1861-65 führte, als die Nation an der Sklaverei zerriss, ist es heute schwierig, nur ein einziges beherrschendes Thema zu nennen, das Amerikaner heute trennt. Sind die Vereinigten Staaten dazu verdammt, die Geschichte zu wiederholen?

Kein anderes entwickeltes Land auf der Welt sorgt sich mehr um die Möglichkeit eines Bürgerkriegs als die Vereinigten Staaten. Vielleicht, weil die Erinnerung an den ersten, die tödlichste militärische Auseinandersetzung in der amerikanischen Geschichte, so verheerend war, dass sie unmöglich abgeschüttelt werden kann. Oder vielleicht sehen die Amerikaner tatsächlich keinen anderen Weg aus dem Patt, dem sie sich gerade gegenübersehen, als gegeneinander in den Krieg zu ziehen.

In einer weiteren dieser jährlichen Umfragen, die entschlossen scheinen, eine sich selbst erfüllende Prophezeiung anzuregen, befragten der Economist und YouGov US-Amerikaner über Veränderungen im politischen Klima der USA. Zwei von fünf antworteten, dass sie einen Bürgerkrieg im nächsten Jahrzehnt zumindest für "irgendwie möglich" halten; Republikaner erwarten eher als Demokraten einen Bürgerkrieg. Wenige gehen davon aus, dass sich die Dinge in den nächsten Jahren verbessern; 62 Prozent erwarten eine Verschärfung der politischen Teilung.

Man könnte fast behaupten, dass die Vereinigten Staaten, die einen langen, heißen Sommer der Proteste von Black Lives Matter erlebten, der von der Erstürmung des Kapitols am 6. Januar gefolgt wurde, bereits einen Bürgerkrieg erleben, der nur noch nicht offiziell erklärt wurde. Ist es nötig, eine weitere Schlacht von Gettysburg zu haben, mit stehenden Armeen und Tausenden von Toten, damit die Definition eines "Bürgerkriegs" erfüllt wird? Die Durchsuchung des FBI in Mar-A-Lago, Donald Trumps Anwesen in Florida, hat gewiss das Klima politischer Spaltung als Vorspiel für größere Unruhen unterstrichen. Die Republikaner sahen darin den jüngsten Beleg, dass das Establishment kein Interesse daran hat, nach den Regeln zu spielen. Die "als Waffe eingesetzten Bundesbehörden", die so schnell und hart gegen die Rechte vorgehen, zeigen nie, betonen Konservative, den gleichen Enthusiasmus, wenn sie es mit vermeintlichen Untaten der Linken zu tun haben.

Währenddessen ist die Lage an der kulturellen Front ebenso wenig haltbar. Wir reden von einem Land, das zu 65 Prozent christlich und zu 50 Prozent konservativ ist, das versucht, mit einer Explosion höchst kontroverser Ideen zu Rande zu kommen – von der Kritischen Rassentheorie, die versucht, die Weißen aller Probleme zu beschuldigen, die jetzt Minderheiten plagen, zum Transgenderismus, der die Idee vertritt, dass das soziale Geschlecht nicht durch das physische Geschlecht eines Individuums bestimmt wird, sondern vielmehr durch das, was er oder sie (oder es oder irgendeines der offenen Liste von Pronomen) selbst zu sein glaubt. Und wie viele Drag Queen-Geschichtserzählstunden kann das öffentliche Bewusstsein vertragen, ehe etwas nachgibt?

Was viele Amerikaner so unhaltbar finden, ist, dass es keinen Fluchtweg gibt, keinen Weg, sich auszukoppeln, keinen Weg, auch nur die Kinder vor der kulturellen Gezeitenwende zu bewahren, die geschieht. Letztes Jahr konfrontierte Stacy Langton, Mutter von sechs Kindern aus Virginia, Lehrer auf einem Treffen der Schulleitung mit Büchern, die Kinder in der Schulbücherei finden. Sie trugen Titel wie "Rasenjunge" und "Geschlecht queer: Memoiren"; die Bücher zeigten Sex zwischen Männern und Jungen, eines davon beschrieb einen Viertklässler, der an einem erwachsenen Mann Oralsex vollzog. Trotz des Aufruhrs, den die Enthüllungen auslösten, weigerte sich der Schulbezirk, die Bücher aus den Regalen zu entfernen, während die politische Temperatur in den Vereinigten Staaten um einen weiteren Grad anstieg.

Während es also nicht schwer ist, zu zeigen, dass ein wahrer Abgrund gerade das amerikanische Volk teilt, beweist das, dass ein Bürgerkrieg am Horizont liegt? Niemand weiß das. Der genaue Bruchpunkt, der Menschen dazu bringt, "Es reicht" zu sagen und gegen ihre Brüder zu den Waffen zu greifen, muss erst noch bestimmt werden. Vielleicht sind die Bedingungen für einen Bürgerkrieg jetzt noch reifer als sie es in der Zeit Lincolns waren, aber die Amerikaner sind schlicht zu bequem und selbstzufrieden geworden, um zu kämpfen. Auch wenn es immer einige impulsive Jugendliche geben wird, die nichts zu verlieren haben, wenn sie sich Unruhen anschließen, scheint es doch sehr unwahrscheinlich, dass die Mehrheit der US-Mittelschicht zu überzeugen wäre, ihren kuschligen Netflix-Lebensstil aufzugeben, nur um für eine Sache zu kämpfen. Der rohe Pioniergeist, der die Zeit um 1861 definierte, ist weit von seiner modernen Inkarnation entfernt. Heute sind viele Amerikaner damit zufrieden, einen "Bürgerkrieg" in den sozialen Netzwerken auszutragen und die Themen gegen geschichtslose Gegner zu debattieren, während das Land hinter ihren Fenstern ein immer gewaltträchtigerer Ort wird.

Obwohl es unwahrscheinlich scheint, dass die Vereinigten Staaten in näherer Zukunft in heftige Gefechte zerfallen, kann man nicht vergessen, dass es in den Schränken der Nation mehr Gewehre als Konten im Internet gibt. Das gibt diesen frustrierten Individuen die Möglichkeit, sich ohne Ruf zu den Waffen "selbst auszudrücken". Die Amerikaner können also statt einer Wiederholung von Fort Sumter eher mit einer Reihe individueller Akteure rechnen, die verzweifelt auf eine Gesellschaft einschlagen, die sie nicht mehr verstehen.

Wie ein Weiser einmal sagte: "Geschichte wiederholt sich selten, aber sie reimt sich."

Übersetzt aus dem Englischen.

Robert Bridge ist ein US-amerikanischer Schriftsteller und Journalist. Er ist der Autor von "Midnight in the American Empire" (Mitternacht im amerikanischen Imperium) und "How Corporations and Their Political Servants are Destroying the American Dream" (Wie Konzerne und ihre politischen Diener den amerikanischen Traum zerstören).

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