Meinung

Baerbock, Empathie und der Unwille zu verhandeln

Gibt es im Westen eine Chance für die Einsicht? Wenn man Bundesaußenministerin Annalena Baerbock lauscht, nein. Sie ist felsenfest überzeugt, das Richtige getan zu haben, während "der russische Präsident" ein "unschuldiges Land" überfallen habe.
Baerbock, Empathie und der Unwille zu verhandelnQuelle: www.globallookpress.com © Mika Savolainen

Von Dagmar Henn

Schon mal ein Interview mit Bundesaußenministerin Annalena Baerbock ohne Ton betrachtet? Das ist sehr eigenartig. Abgesehen von einem gelegentlichen unterdrückten Zucken in Richtung des bekannten Grinsens ein sehr emotionsloses Gesicht; Augenpartie und Stirn, die normalerweise kleine Regungen anzeigen, und sei es die Konzentration auf das Gesagte oder minimale Versuche, einen Kontakt zum Gegenüber aufzunehmen, bleiben völlig unbewegt, als wäre Botox gespritzt. Man vergleiche einmal die Mimik von Baerbock mit der sehr kontrollierten, aber wesentlich lebhafteren Mimik von Maria Sacharowa.

Der eigentliche Grund für mein Interesse an Baerbocks Mimik war die Frage, ob sie bewusst lügt oder es nicht besser weiß. Denn in ihrem Interview mit dem Heute-Journal des ZDF hat sie faustdick gelogen. Aber Baerbocks Mine scheint keinen Unterschied zwischen Wahrheit und Lüge zu kennen.

Bei diesem Auftritt ist sie sorgfältig zurechtgemacht. Eine Bluse, die dunkler ist als ihre sonst übliche Kleidung, und fast hochgeschlossen, damit sie etwas ernsthafter aussieht, die Frisur strenger als üblich, und sie wird stehend auf einem Flur befragt, als gäbe es nicht ums Eck einen Schreibtisch, hinter dem sie sitzen könne, um zum einen den Eindruck zu erwecken, sie sei "auf dem Sprung", weil ungeheuer beschäftigt, und zum anderen, um sie an der körperlichen Entspannung zu hindern.

Das, was sie lieferte, blieb auf dem üblichen Kindergartenniveau. Die Interviewerin Marietta Slomka will selbst von Baerbock immer noch mehr Aggression; spricht von "zerschlagenem Porzellan" zwischen den baltischen Staaten und Deutschland, und davon, "sogar ein lettischer Verteidigungsminister sagt, das Vertrauen zu Deutschland ist close to zero", worauf jeder Außenpolitiker noch vor zwanzig Jahren, wenn auch diplomatisch, zu verstehen gegeben hätte, dass die Meinung eines lettischen Außenministers für Deutschland ungefähr so relevant ist wie die desjenigen von, sagen wir einmal, Myanmar, weil in Lettland schlicht keine deutschen Interessen liegen und das Land winzig ist.

Aber es ist Baerbock, die weder das Wort Interessen kennt noch die schlichte Tatsache anerkennt, dass die Größe eines Landes durchaus eine Rolle spielt, wenn es um die Bedeutung geht. Das Einzige, wozu diese baltischen Staaten gut sein können, ist, als Stachel wider Russland zu dienen, und die logische Reihenfolge geht da anders herum – erst wird in Ländern wie Deutschland die Entscheidung gefällt, eine Stellung gegen Russland einzunehmen, dann werden die Balten plötzlich wichtig. Baerbock aber entschuldigt sich fast, weil "wir mit unserem Festhalten an Nord Stream 2 als Bundesrepublik damals nicht auf die Sorgen unserer baltischen Nachbarn und Freunde gehört haben".

Wie gesagt, Kindergartenniveau. Nachbarn und Freunde. Dabei ändert die Vorführung von Baerbock nichts daran, dass ein großes Land wie Deutschland grundsätzlich nicht "auf die Sorgen" von Zwergstaaten "hört". In Wirklichkeit hört Baerbock, hört diese Bundesregierung auf Uncle Sam.

Die Atmosphäre in der Ampel muss übrigens besonders kuschlig sein. Wenn Baerbock von Bundeskanzler Olaf Scholz spricht, spricht sie von "Herrn Scholz." Die naheliegendere Formulierung wäre schlicht "der Kanzler". "Herr Scholz" klingt, als rede sie von jemand völlig Fremden, was nach einem Dreivierteljahr Koalitionssitzungen sehr eigenartig ist.

Natürlich wäre es in einem Interview unangemessen, von "Olaf" zu sprechen, doch ihre Redeweise, die die gleiche Distanz zu "Herrn Scholz" wie zu "Herrn Kuleba" gebraucht, deutet an, dass sie nicht einmal per Du sind. Das Klima muss eisig sein. Und die Umgehung der Amtsbezeichung ist ein Indiz dafür, dass die grünen Vertreter nach wie vor der Meinung sind, eigentlich müssten sie den Kanzler stellen dürfen. Ich habe schon viele Koalitionspartner übereinander sprechen hören, aber "Herr Kohl" oder "Frau Merkel", daran kann ich mich nicht erinnern. Wenn nicht der Titel genutzt wurde, waren es "Helmut Kohl" oder "Angela Merkel".

Aber blicken wir auf die Passage, die mich zu meiner Betrachtung ihrer Mimik veranlasst hat. Der letzte Abschnitt des Interviews. Über "die furchtbarsten Monate, die sich Menschen in der Ukraine überhaupt vorstellen konnten, weil viele, viele Menschen gestorben sind, weil wir Gräueltaten gesehen haben, die wir uns niemals hätten vorstellen können auf dem europäischen Kontinent".

Ginge es nicht um Baerbock und wäre nicht die gesamte Medienlandschaft auf dem Russlandfeldzug, dieser Satz hätte einen Skandal auslösen müssen. Gräueltaten, die wir uns niemals hätten vorstellen könnten? Fangen wir doch mal oben an: Auschwitz, Treblinka, die Belagerung von Leningrad, Babi Jar, das Pogrom von Lemberg, Kommissarbefehl. War das nicht auf dem europäischen Kontinent? Müsste das nicht irgendwo im Gedächtnis selbst einer Annalena Baerbock lagern? In dieser Zeit liegen übrigens auch die "furchtbarsten Monate, die sich Menschen in der Ukraine überhaupt vorstellen konnten" versteckt; zumindest für jene Ukrainer, die sich nicht mit dem Bataillon Nachtigall identifizieren.

Die Sicht auf die Gegenwart ist nicht realistischer als die Sicht auf die Geschichte. Und es ist nicht auszuschließen, dass sie wirklich glaubt, was sie sagt. "Die Wahnvorstellung, die der russische Präsident hatte, nämlich, dass er in ein paar Tagen Kiew einnehmen kann, und in den Panzern von russischen Soldaten waren ja schon die Paradeuniformen drin." Paradeuniformen sind eine ganz neue Erfindung. In Wirklichkeit nennt sich das Ausgehuniform, im Gegensatz zum Kampfanzug. Und auch in Russland geschieht nichts, weil ein Präsident eine "Wahnvorstellung" hat.

Das Zusammenspiel zwischen Slomka und Baerbock ist bizarr. Slomka fragt, es gebe ja Stimmen, die verhandeln wollten; aber sie fragt es mit dem unverkennbaren Ziel, diesen Wunsch zurückgewiesen zu bekommen, und Baerbock antwortet entsprechend. "Zum jetzigen Zeitpunkt halte ich das nicht für richtig", und zwar wegen der Balten und der Polen; das verbirgt sich hinter ihrer etwas verklausulierten Antwort.

Es scheint sich nicht bis zu ihr herumgesprochen zu haben, dass die Verhandlungsposition nicht nur des Westens, sondern insbesondere der Ukraine vom Verlauf an der Front abhängig ist, der deutlich in eine andere Richtung weist. Wenn man sich nicht gleich der Einschätzung einiger kompetenter Beobachter anschließt, dass die Ukraine diesen Krieg bereits in den ersten Wochen verloren hat, und alles seither im Grunde nur Aufräumarbeiten wären. Eigentlich müsste der Westen sich seit Monaten mit Verhandlungsangeboten überschlagen, um zumindest noch zu retten, was zu retten ist. Er tut das nicht, und Baerbock begreift noch nicht einmal, warum er das eigentlich tun sollte.

"Niemand hat sich diesen Krieg gewünscht; bis zum 23. Februar, vor einem halben Jahr, haben wir alles dafür getan, diesen Krieg zu verhindern." Alles dafür getan zu haben schlösse, so ist "alles" nun einmal definiert, Bemühungen ein, die Ukraine zur Umsetzung der Minsker Vereinbarungen zu bewegen. Dafür hat Baerbock mit Sicherheit nichts getan; im Gegenteil, ihre Aussagen bei ihrem Besuch in Kiew widersprachen diesen Vereinbarungen direkt, weil sie die Notwendigkeit direkter Verhandlungen zwischen Kiew und den Donbassrepubliken leugnete. Sie erklärte auch bereits vor dem Beginn der russischen Militäroperation, "wir" seien "bereit, einen hohen Preis zu bezahlen". Die meisten deutschen Bürger dürften zu diesem Zeitpunkt noch keine Ahnung davon gehabt haben, wie hoch er werden würde.

"Ich war selber ein paar Wochen davor noch in Moskau, beim russischen Außenminister, habe gemeinsam darüber gesprochen, wie wir mit Blick auf die Krim, auf die Ostukraine endlich wieder Verhandlungen aufnehmen können." Ja, sie war in Moskau (und wieder verrät sie mit ihrem "ich habe darüber gesprochen", dass sie nicht verhandlungsbereit war). Aber mit diesen Formulierungen bestätigt sie selber, dass sie eben mitnichten "alles" getan hat. "Mit Blick auf die Krim" "Verhandlungen aufnehmen"? Da ist nichts zu verhandeln. Allerdings ist dieses Detail eine subtile Andeutung, dass sie über die ukrainischen Angriffspläne sehr wohl informiert war. Und ihre Aufgabe bei ihrem Besuch bei Lawrow im Januar eher als Vertreterin ukrainischer denn als Vertreterin deutscher Interessen sah.

Denn das deutsche Interesse hätte tatsächlich darin bestanden, einen Krieg zu verhindern, aber nicht, der Ukraine die Krim zurückzubeschaffen, gegen den Willen ihrer Bewohner. Zudem können Verhandlungen immer nur auf den Fakten beruhen, nicht auf Wünschen. Fakt ist allerdings: die Krim ist seit acht Jahren Teil der russischen Föderation. Und in Bezug auf die "Ostukraine", also den Donbass, ging es gar nicht darum, "Verhandlungen aufzunehmen", sondern die Ergebnisse bereits stattgefundener Verhandlungen umzusetzen.

"Aber der russische Präsident hat beschlossen, genau diese Friedensgespräche zu zerstören." Nein, es war nicht der russische Präsident, und es waren keine "Friedensgespräche". Das russische Parlament hatte die Anerkennung der Donbassrepubliken beschlossen und aufgetragen, ihre Sicherheit zu schützen; der Präsident hat nur, wie es seine Pflicht ist, diesen Beschluss ausgeführt.

Das einzige Handeln des russischen Präsidenten bestand darin, diesmal nicht mehr zu versuchen, einen solchen Beschluss politisch zu verhindern; entsprechende Anträge gab es im Verlauf der Jahre seit 2014 immer wieder. Es war gerade das Verhalten des Westens in den im Januar geführten Gesprächen, das deutlich machte, dass keinerlei Interesse an der Umsetzung der Minsker Vereinbarungen existiert, die tatsächlich den Donbass in die Ukraine zurückgeführt hätten.

"Jetzt zerstört er seit sechs Monaten ein unschuldiges Land." Das ist eine sehr aufschlussreiche Formulierung. Ein unschuldiges Land. Also sind Länder schuldig oder unschuldig, nicht Personen, oder Regierungen? Und die Ukraine ist "unschuldig", trotz der acht Jahre Krieg im Donbass? Was ist dann ein "schuldiges" Land? Wie "unschuldig" wäre dann Deutschland, als dessen Außenministerin sie ihre Weltsicht verbreitet, angesichts der oben angerissenen Liste der wirklichen "Gräueltaten, die wir uns niemals hätten vorstellen können auf dem europäischen Kontinent"? Entweder, man nimmt diese Frau schlicht nicht ernst, oder man ist entsetzt angesichts der Wirrnis in ihrem Denken.

"Sich darauf verlassen, irgendwann wird das schon aufhören, das kostet Menschenleben, und deswegen unterstützen wir militärisch in dieser Situation, um bestmöglich Menschenleben in der Ukraine zu retten."

Ein Krieg kann nur auf drei Weisen enden. Ein Sieg der einen Seite über die andere, völlige Erschöpfung beider Seiten, oder ein Friedensschluss. Ein russischer Sieg ist der wahrscheinlichste Ausgang.

Die beste Möglichkeit, Menschenleben in der Ukraine zu retten, wäre die sofortige Kapitulation Kiews. Irgendwie zählen die ukrainischen Soldaten bei ihr nicht als Menschenleben. Denn es ist klar und inzwischen, gelegentlich, sogar von westlicher Seite eingestanden – die westlichen Waffenlieferungen ändern nichts am Ergebnis der Kämpfe, können gar nichts daran ändern, sie bewirken nur eine Verlängerung.

Das mag ein Ziel der NATO sein, und Teil der vermutlich auch von Frau Baerbock geteilten Fantasie, Russland zu schwächen ("zu ruinieren"), aber eines tut es mit Sicherheit nicht – Menschenleben retten. Unschuldige schon gar nicht. Sofortige Verhandlungen mit den längst unvermeidlichen territorialen Zugeständnissen, die könnten Menschenleben retten. Sogar in Deutschland selbst, denn auch das vorbereitete Winterchaos wird Leben kosten.

In Baerbocks Gesicht ist nichts zu erkennen, während sie diese Sätze sagt. So pathetisch sie ihre verzerrte Sicht auf die Welt formuliert, so sehr sie ein Engagement vorgibt, das es niemals gegeben hat, in beidem, ihrer Mimik und ihren Aussagen, fehlt nicht nur jeder Hinweis auf analytischen Verstand, mehr noch fehlt jeder Hinweis auf Empathie. Schwer zu sagen, welches von beidem schlimmer ist.

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