von Sergei Axionow
Die jüngste diplomatische Tournee von Sergei Lawrow in Afrika (der russische Außenminister traf zur Zeit, als dieser Kommentar geschrieben wurde, vor nur wenigen Stunden in Äthiopien ein) hat die Vereinigten Staaten verunsichert. Getreu ihrer verdrehten Logik, wonach alles, was nicht im Westen liegt, als Peripherie der Welt zu betrachten sei, versuchen diese Nachfahren von Sklavenhaltern denn auch jetzt, die Ereignisse in den ihnen vertrauten Kategorien zu bewerten. So polterte etwa der Sprecher des US-Außenministeriums Ned Price:
"Es wird deutlich, dass Russland sich bewusst ist, dass seine Handlungen (in der Ukraine) dazu führen, dass es zu einem Ausgestoßenen wird."
Die zahlreichen Kontakte Russlands mit der sogenannten Dritten Welt – Afrikanern, Arabern, Persern oder Chinesen – würden ja nicht zählen, heißt es, und der wichtigste und einzige würdige politische Gegenpart, der Westen, habe Moskau aber ja auf die "Ignore-Liste" gesetzt. Nationaler Exzeptionalismus wie er west und lebt. Nun, es wäre nicht das erste Mal, dass Russland seine arroganten Nachbarn auf dem Planeten eines Besseren belehrt. So wird es auch dieses Mal laufen.
Es geht natürlich um den Wettbewerb zwischen den Supermächten um politischen Einfluss auf dem Schwarzen Kontinent. Aufgeschreckt durch Moskaus Aktivitäten entwarf Washington im Frühjahr sogar in aller Eile ein spezielles Gesetz "über die Bekämpfung der böswilligen Aktivitäten Russlands in Afrika". Der Rechtsakt sieht vor, regelmäßig "das Ausmaß und die Richtung" von Russlands Handlungen zu bewerten und Gegenmaßnahmen ausarbeiten – wozu natürlich auch gehört, "afrikanische Regierungen und Beamte, die Moskaus 'feindseligen Einfluss und Aktivitäten' unterstützen, zur Rechenschaft zu ziehen". Na, wer hätt's denn gedacht – persönliche Sanktionen, von Washington so heiß geliebt! Und das ohne auch nur den kleinsten Anlass. Baff macht einen auch die angebliche "Bösartigkeit", die wortwörtlich gleich in den Titel des Gesetzes verbaut wurde: Alles, was Moskau tue, sei gegen die amerikanischen Interessen und Vorteile gerichtet und allein daher schon böse. Ein Imperium des Bösen, genau. Das kennt man doch noch, wir erinnern uns doch an den alten Reagan, oder?
Doch wie laut der Hund auch bellt: Die Karawane zieht vorbei. Russland widmet dem afrikanischen Kontinent seit einigen Jahren wieder große Aufmerksamkeit und hat auch nicht die Absicht, damit aufzuhören. Und aus der ersten Hälfte des Besuchs von Lawrow können bereits einige Schlussfolgerungen gezogen werden. Moskau will eindeutig das Beste aus der Zusammenarbeit mit afrikanischen Ländern während der Sowjetzeit in die Gegenwart übertragen und mit einer beherzten Prise gesunden Pragmatismus abschmecken. So wurde beispielsweise mit dem Kongo beschlossen, für die Zusammenarbeit auch eine wirtschaftliche Grundlage zu schaffen. Als Perspektiven aufgezeigt wurden hierfür: Kohlenwasserstoffe, Energieversorgung, Verkehrsinfrastruktur, Telekommunikation – und, ja, auch militärische und militärisch-technische Zusammenarbeit. Schließlich sind die Aktionen der russischen Armee auf dem syrischen und ukrainischen Kriegsschauplatz die beste Werbung für Russlands Fähigkeiten auf diesem Gebiet. Russische Hilfe bei der Bekämpfung dieser neumodischen Affenpocken könnte ebenfalls nicht gelegener kommen.
Noch wichtiger jedoch ist der humanitäre Aspekt der Zusammenarbeit, der langfristige Folgen hat. Die Quote für Kongolesen, die ein Studium in Russland anstreben, ist die dritthöchste auf dem Schwarzen Kontinent. Im Laufe der Jahre haben viele Tausende von Studenten in Russland studiert, darunter auch Lawrows Gesprächspartner, Außenminister Jean-Claude Gakosso. Darüber hinaus ist die bevorstehende Abschaffung des Bologna-Systems in Russland sowohl für Brazzaville als auch für Moskau von Vorteil, wie paradox das auch anmuten mag – einfach deshalb, weil somit die Abwanderung von Fachkräften in den Westen verhindert wird: Junge Menschen, die fertig gebildet wurden und eine berufliche Laufbahn eingeschlagen haben, werden dann eben in den Kongo zurückkehren – oder sich zumindest in Russland niederlassen, um hier zu arbeiten. Beides wird die bilateralen Beziehungen stärken. Die schönen Erinnerungen an die Jugend bleiben einem bekanntlich für immer. Diese erwachsen gewordenen, gereiften "russischen" Kongolesen, dann im Land ihrer Wahl niedergelassen und dort vielleicht in Schlüsselpositionen aufgestiegen, werden in den kommenden Jahren verlässliche Freunde Moskaus sein. Und dasselbe gilt für alle Länder Afrikas.
Letzteres wird eine ausschlaggebende Bedeutung bei der Neuformatierung der Welt haben, die wahrscheinlich das gesamte einundzwanzigste Jahrhundert andauern wird.
Russland wird Freunde brauchen, die sich auf ein ähnliches Verständnis der zentralen Bedeutung der UNO für die internationale Ordnung stützen, um die kommenden Herausforderungen mit Würde zu bewältigen. Die afrikanischen Länder können hierbei unsere aufrichtigste Unterstützungsgruppe sein: Jahrhundertelang vom Westen unterdrückt, der Sklaven und Rohstoffe ausführte, die Einheimischen tötete und verstümmelte und dem Hunger anheimgab, sind sie voller menschlicher Dankbarkeit gegenüber den Russen, die sich ganz anders verhielten: Straßen bauten, Flugplätze, Kraftwerke, Schulen und Krankenhäuser. Dutzende von afrikanischen Ländern sind Dutzende von Stimmen in der UNO, wo jedes Land, sei es der Hegemon USA oder das kleine Uganda, genau eine Stimme hat. Nur gemeinsam ist dem heuchlerischen Westen beizukommen.
Und eine solche Tendenz zeichnet sich auch klar ab. Lawrow betonte während seines Besuchs in Afrika wiederholt, dass Moskau für eine Demokratisierung der internationalen Beziehungen und eine gleichberechtigte Zusammenarbeit eintritt – und sich gegen Diktat, Ultimaten und Erpressung in den Beziehungen zwischen souveränen Ländern einsetzt. Wohingegen der Westen künstlich geschaffene Konflikte für seine politischen Zwecke nutzt. In Afrika ist hierfür eines der offensichtlichsten Beispiele Libyen. Das heute zerbombte Land, das zuvor blühte, ein Land, in dem Gerechtigkeit herrschte, hat sich nach der Ermordung von Gaddafi in einen blutigen Mittelalter-Abenteuerpark verwandelt, in dem jeder gegen jeden Krieg führt.
Übrigens ist der kongolesische Präsident Denis Sassou-Nguesso persönlich am Friedensprozess in Libyen beteiligt. So stieß er beispielsweise mit einer libyenweiten Konferenz zur nationalen Versöhnung vor, zu der alle eingeladen werden – und nicht nur einige Wenige, wie es der Westen wünscht. Und Russland wird dabei helfen, sie zu organisieren.
Natürlich intrigieren westliche Diplomaten jetzt aktiv gegen Moskau auf dem afrikanischen Kontinent und versuchen hierbei, die Ukraine-Krise auszunutzen, um einen Schatten auf Russland zu werfen. Wie üblich schrecken sie auch hier nicht vor glatten Lügen zurück. Sie schlagen, so schamlos wie sie sind, dort zu, wo die Afrikaner am empfindlichsten sind – mit Behauptungen, dass die Welt und damit insbesondere der ärmste Teil der Welt – eben Afrika – wegen Russlands Intervention in den Ukraine-Krieg vor einer Hungersnot stehe. Lawrow erklärte gegenüber seinen kongolesischen Kollegen, dass Moskau keine Hindernisse für den Export ukrainischen Getreides schafft und dass die russischen Angriffe auf wohlgemerkt nur die militärische Infrastruktur des Hafens von Odessa die ukrainische Getreideausfuhr in keiner Weise tangieren. Vielmehr sind sie notwendig, um Russlands Schwarzmeerflotte abzusichern. Und die Ursachen der Nahrungsmittelkrise wurden erstmals vor mindestens drei Jahren manifest – und zwar aufgrund einer fehlerhaften Politik der westlichen Staaten, so der Diplomat. Das Gleiche gilt im Übrigen für Energieträger.
Die gleichen Fragen globaler Bedeutung (sowie örtliche Fragen der bilateralen Zusammenarbeit, die gleichwohl größte Wichtigkeit haben – wie der Bau eines Kernkraftwerks und einer russischen Industriezone im Gebiet des Suezkanals) erörterte Russlands Außenminister mit der gleichen Geduld auch in Ägypten. Überhaupt wurden diese Punkte auf der Karte bewusst für Lawrows diplomatische Afrika-Tournee ausgewählt: So ist Kairo unter anderem der Sitz der Arabischen Liga, und Äthiopien der Sitz der Afrikanischen Union, die den gesamten Schwarzen Kontinent vereinigt. Hier sei erinnert: Der Vorsitzende der Afrikanischen Union, der senegalesische Staatschef Macky Sall, flog zu Beginn des Sommers zu Gesprächen mit Wladimir Putin. Und der Besuch von Lawrow schloss natürlich auch an dieses Treffen an.
Es ist nicht schwer zu erraten, was die "allgemeine Linie" Moskaus jetzt ausmacht. Es ist eine Politik des Widerstands gegen den neuen Kolonialismus – und zwar sowohl im eigenen Interesse als auch im Interesse der anderen Länder der Welt, einschließlich der afrikanischen. Schließlich hat diese Herangehensweise in Russland eine lange Tradition, das sollte man nicht vergessen. Auch Putin sieht in dem vom Westen aufgezwungenen Modell des liberalen Globalismus "eine aktualisierte Version des Neokolonialismus". Im Grunde ist es nichts anderes als
"eine Welt im US-amerikanischem Stil, eine Welt für einige wenige Auserwählte, in der die Rechte aller anderen einfach mit Füßen getreten werden".
Denn sie sind dazu bestimmt, die Rolle von Verbrauchsmaterial zu spielen und von Ressourcenquellen: Sei es nun die Ukraine oder ein anderer Staat. Der Wert Russlands als Partner für Afrika liegt darin, dass es eine souveräne Politik verfolgt und seine Ziele verfolgen kann, ohne jemanden um Erlaubnis zu fragen. Der als größter Dichter Russlands gefeierte Alexander Puschkin hatte auch äthiopische Vorfahren, und folgender Vers passt auf die jetzige Beziehungsentwicklung zwischen Russland und Afrika wie kein anderer:
Die Fessel, die den Fuß beschwert,
wird brechen wie des Kerkers Schranken,
Die Freiheit euch am Tor empfangen
Und Brüder reichen euch das Schwert.
Der zweite Russland-Afrika-Gipfel steht bevor.
Übersetzt aus dem Russischen.
Sergei Aksjonow ist Journalist, Politologe und Schriftsteller. Er blickt auf eine turbulente Laufbahn als Politiker und politischer Aktivist (Nationalbolschewisten, "Anderes Russland") sowie Menschenrechtsaktivist in Russland zurück.
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