Meinung

Was wäre, wenn ... die Deutschen die Sanktionen leid sind?

Bisher haben sie alles brav hingenommen, die Deutschen. Nicht nur die ganzen Corona-Maßnahmen, auch die Ankündigung des regierungsamtlich verpassten Kältewinters. Aber was, wenn sich das ändern sollte? Ein Gedankenspiel.
Was wäre, wenn ... die Deutschen die Sanktionen leid sind?Quelle: www.globallookpress.com © Pedro Nunes

von Dagmar Henn

Inzwischen sind sie offiziell, die Sanktionsfolgen für die Deutschen, die im März noch abgestritten wurden. Die höheren Gaspreise werden bereits weitergereicht, und die ersten Betriebe haben geschlossen oder stehen vor der Schließung. Bisher gab es nur einzelne, begrenzte Proteste wie in Schwedt; man könnte den Eindruck haben, dass die deutsche Bevölkerung den verordneten Niedergang widerspruchslos hinnimmt.

Aber was wären die Optionen, sollte dem nicht so sein? Sollte ein zumindest beträchtlicher Anteil der Bevölkerung zu dem Schluss kommen, dass weder Frieren für die Ukraine noch eine Zerstörung der deutschen Industrie zum Wohle der USA seinen Wünschen entspricht? Da werden die Dinge kompliziert, weil Meinung nichts ändert und nichts bewirkt. Das gilt weiterhin, obwohl inzwischen Meinungen zum Ziel strafrechtlicher Verfolgungen werden, was den Eindruck erwecken könnte, schon eine Meinung sei gefährlich. Verhältnisse materieller Macht lassen sich aber nicht wegdenken.

Was sind die momentanen Voraussetzungen? Die Sanktionspolitik, die für große Teile der Bevölkerung eine Verelendungspolitik ist, wird von so gut wie allen Parteien im Bundestag getragen. Das bedeutet leider auch, dass weder die eine in diesem Jahr noch anstehende Landtagswahl in Niedersachsen noch ein wie auch immer entstehender Bruch in der augenblicklich regierenden Koalition daran etwas ändern werden. Jede auch nur denkbare neue Konstellation würde den Weg in den Abgrund fortsetzen.

Das bedeutet schon einmal, dass jeder "weiche" Wechsel unmöglich ist. Und zwar egal, ob es zu Massendemonstrationen käme oder gar zu Streiks und Unruhen – unter einem kompletten Austausch des politischen Personals ist nichts zu haben.

Dieser Zustand ist nicht vom Himmel gefallen, sondern hat sich über Jahre hinweg entwickelt. Wer die Massenproteste in anderen europäischen Ländern im Zeitraum nach dem Jahr 2008 beobachtet hat, konnte sehen, dass ihre Wirksamkeit immer weiter abnahm. Im ersten Quartal 2013 beispielsweise gab es in Portugal Proteste, bei denen über ein Zehntel der Bevölkerung auf der Straße war, an ein und demselben Tag. Noch in den 1980ern wäre das Ergebnis ein sofortiger Rücktritt der Regierung gewesen. Das Ergebnis 2013: Nichts!

Oder nehmen wir die Proteste der Gelbwesten, die über Jahre hinweg andauerten und zeitweise noch zusätzlich von Streiks begleitet wurden. Letzteren gelang es zwar, eine Rentenverschlechterung aufzuhalten, aber das Verhältnis zwischen Aufwand und Ergebnis?

Wenn man sich ins Gedächtnis ruft, wie die Proteste gegen die Corona-Maßnahmen in Deutschland verlaufen sind, kann man einige Dinge schon vorab annehmen:

Zum einen, dass spätestens im Herbst all diese Maßnahmen reaktiviert werden, was faktisch einem völligen Verbot von Versammlungen und Demonstrationen gleichkommt. Die Schwelle, selbst einen existenziellen Unmut kundzutun, liegt also hoch. Zum anderen wurde im Zusammenhang mit Corona auch jede Form von Organisation sofort attackiert. Es wurde unmöglich gemacht, Busse zu mieten, was man für zentrale Demonstrationen tun muss. Es wurde unmöglich gemacht, Geld zu sammeln, das für jede Form von politischem Protest benötigt wird, und auch alle sichtbaren Personen wurden mit allerlei Problemen überzogen. Mehr noch, das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu den Corona-Maßnahmen belegt, dass man von der Justiz kein Eintreten für irgendwelche Grundrechte erwarten darf.

Die vielen kleinen Spaziergänge, die Ende letzten Jahres stattfanden, waren durchaus eine passende taktische Antwort auf diese Lage, weil viele gleichzeitig begangene Proteste weitaus schwerer unter Kontrolle zu bringen sind als wenige zentrale. Aber auch sie hatten keine Wirkung außer der Selbstvergewisserung, dass die Zustimmung zu diesen Maßnahmen bei Weitem nicht so einheitlich war wie von den Medien behauptet.

Die "normale" Form der Entwicklung wäre nun, dass sich eine Partei gründet, die zumindest diese eine und lebenswichtige Position aufgreift – die Aufhebung der Sanktionen mit allen gegebenenfalls erforderlichen Konsequenzen bezogen auf EU und NATO. Dabei gibt es allerdings einige Probleme: Das erste ist, wie oben schon im Zusammenhang mit den Corona-Protesten erwähnt, die Tatsache, dass jeder Versuch einer Organisierung sofort angegriffen wird,

Das zweite ist allerdings noch etwas wirkungsvoller, das ist die Zeit. Jeder Wandel der deutschen Position bezogen auf die Sanktionen ist nur solange tatsächlich wirkungsvoll, bis sich die Handelsströme umorientiert haben und dann eben dauerhaft an Europa vorbei führen. Diese Entwicklung hat bereits begonnen. Wenn sie einmal abgeschlossen ist, würde selbst eine Freigabe von Nord Stream 2 nichts mehr ändern, weil es für dieses Erdgas längst andere Abnehmer gibt. Der maximale Zeitraum wären zwei bis drei Jahre. Für den Aufbau einer politischen Organisation, Partei oder nicht, ist das ein sehr kurzer Zeitraum. Für die "normale" Schiene einer parlamentarischen Durchsetzung von neuen Positionen, soweit das überhaupt je funktioniert hat, sind zwei, drei Jahre gar nichts, für die Rettung der ökonomischen Lebensbasis Deutschlands sind sie alles.

Was ist mit Streiks oder Aktionen zivilen Ungehorsams? Beides ist nicht so einfach. Die Wirksamkeit von Streiks in einer Rezession ist weitaus schwächer als jene in einem Aufschwung. Und diese Sanktionen werden eine Rezession auslösen, die mit jener in den Jahren 1929 und folgend sowie dem Abschwung 2009 auf Turbo gewissermaßen, mithalten kann. Automobilfabriken, die ohnehin stillstehen, weil sie keinen Strom mehr bekommen oder Bauteile fehlen, können nicht bestreikt werden. Die einzigen Bereiche, in denen Streiks im Falle eines voll erblühten Rezessionsszenarios wirkungsvoll sind, wären genau im Bereich der Energieversorgung selbst. Da allerdings muss man nicht sehr hellsichtig sein, um zu erkennen, dass die Reaktion darauf gewaltsam wird.

Ziviler Ungehorsam? Der wundeste Punkt dafür ist immer das Geld. Abhängig Beschäftigten wird die Steuer aber automatisch vom Lohn abgezogen, oder sie zahlen sie mit den Verbrauchsgütern. Die Möglichkeit, den Staat bei den Finanzen zu treffen, haben die meisten nicht. Bleiben die Mittel, die die Klimajünger so gern einsetzen, Verkehrsblockaden beispielsweise. Aber auch hier gibt es wieder zwei Punkte, die das schwierig machen. Wer den Verkehr blockiert, um die Sanktionen los zu werden, wird nicht mit der Rücksicht rechnen können, mit denen den Klimajüngern begegnet wird, die schließlich die Verzichtserzählung befördern und nicht bekämpfen. Und dann – auch so etwas braucht Organisation –, mit welchem Etikett solch eine Organisation versehen würde, ist klar: In diesem Falle wäre das der Terrorismus.

Örtliche Abgeordnete darf man übrigens inzwischen auch nicht mehr aufsuchen, um ihnen kundzutun, dass ihre Politik nicht auf Gegenliebe stößt. Natürlich ist das Ausüben von Druck, aber eigentlich ist das der Druck des Souveräns auf seine Vertreter, ein Vorgang, der genauso legal sein müsste wie die Anwesenheit der vielen Lobbyisten im Bundestag. Aber so wird das in der Wirklichkeit nicht gehandhabt – Hausbesuche sind also auch keine Lösung.

Ein Teilboykott der Strom- und Gasrechnungen wäre eine Option, wenn sich tatsächlich eine große Menge einem solchen Vorgehen anschließen würde. Das hieße, von der Rechnung wird nur jener Teil bezahlt, der vor den Preissteigerungen fällig gewesen wäre. Aber woher soll man wissen, dass sich genug Menschen daran beteiligen, um damit wirklich Druck aufzubauen? Das, was in den Medien als öffentliche Meinung sichtbar wird, hilft nicht weiter.

Ohne eine klare Perspektive wird sich eine Ablehnung der Sanktionen nur in chaotischen Protesten äußern, die leicht unter Kontrolle zu bringen sind. Vorbereitungen zum Einsatz der Bundeswehr im Inneren laufen ja bereits und die Polizei ist in Deutschland ohnehin hoch gerüstet. Und das Muster, nach dem jeder, der von der Linie abweicht, zum Feind erklärt wird, ist längst etabliert.

Dennoch, die Maßnahmen gegen Meinungen zeigen, dass die Regierung dem Volk nicht mehr traut. Sie fürchtet ein Brechen der Kooperation. Denn nicht die bewaffneten Organe sind die Hauptstütze staatlicher Macht, sondern die alltägliche Mitwirkung der Beherrschten. Die zunehmende Kontrolle über das, was gesagt und gedacht werden darf, soll eine Kooperation, die nicht mehr freiwillig ist, weiter erzwingen. Leider ist die erodierende Kooperation erst einmal ein passiver Zustand, der sich nur eruptiv Geltung verschafft, was von keinem der Beteiligten geplant werden kann.

Was bleibt unter diesen Bedingungen als denkbare Strategie? Langsames, kontinuierliches Sägen an dem anderen Pfeiler staatlicher Macht. Die Corona-Maßnahmen haben auch da schon Risse hinterlassen: Nicht die gesamte Polizei fand es lustig, den Abstand zwischen Fußgängern zu messen oder Maskenatteste zu kontrollieren. Wenn sie, zumindest zu größeren Teilen davon überzeugt wären, dass es die Politik der Regierung ist, die die Sicherheit und Ordnung bedroht – was sie objektiv tut –, und daraus die entsprechende Konsequenz zögen und wenn Gleiches für die Bundeswehr zuträfe – dann, und leider nur dann –, bestünde eine Aussicht, dass Proteste gegen die Sanktionen und die Verelendungspolitik ihr Ziel erreichen könnten.

Aber noch sieht es so aus, als würden die Meisten das über sie Verhängte klaglos hinnehmen; noch wird nicht jeder Uniformierte auf den Straßen oder in der Bahn in Debatten über Sinn und Unsinn des deutschen Harakiris verwickelt, und die Berliner werden bei ihren Untergangsplanungen nicht gestört. Und alle Überlegungen von "was wäre, wenn" sind ein kleiner, unschuldiger Zeitvertreib zum Wochenende.

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