von Dagmar Henn
(Teil 1 finden Sie hier, Teil 2 hier.)
Eine wiedergewonnene Liebe
Was momentan die schlimmsten Befürchtungen auslöst, ist diese transatlantische Nibelungentreue. Man könnte natürlich sagen, bei einer Partei, deren Stiftung nach einem Schriftsteller benannt ist, der für die CIA tätig war (wenn auch ohne sein Wissen), ist das kein Wunder. Dennoch – im Programm dieser Partei stand einmal "Raus aus der NATO". Noch 1990 wäre wohl die Mehrheit in dieser Partei für ein neutrales Deutschland gewesen. Was hätte alles anders sein können damals; was wäre alles anders gekommen, wäre nicht während des Wahlkampfes dieser Anschlag auf Lafontaine … Hätte Kohl die Wahlen verloren, und das hätte er, gäbe es heute überhaupt noch eine NATO?
Acht Jahre später jedenfalls war der Anschluss gelaufen, der Osten ruiniert, und die Grünen längst bereit, alles und jeden zu verraten, um endlich mitregieren zu dürfen. Man muss sich das vorstellen wie einen großen sabbernden Hund. Da rinnt die Spucke die Lefzen herunter und hinterlässt eine Pfütze auf dem Fußboden, so sehr lockt der Fressnapf. Ein wenig so, wie bei den Resten der Linkspartei heute, nur dass deren Chancen wesentlich schlechter sind, weil so wenig übrig ist, das noch zu verraten wäre. Die jetzige Koalition hat da eigentlich für eine ganze Generation abgeräumt.
Zumindest bei den Wählern der Grünen dürfte die Liebe zu den USA zum Teil dem Clinton-Effekt geschuldet sein. Ein US-Präsident, der nicht aus dem Geheimdienst oder sonst irgendwelchen stramm antikommunistischen Vereinen kam, der endlich nicht mehr vom "Reich des Bösen" schwadronierte, der für die Baby-Boomer-Generation eine Identifikationsfigur war. Dass Clinton außenpolitisch aggressiver agierte als Bush zuvor, dass er eine Anpassung der Rhetorik vornahm, die es ermöglichte, die gegen den Vietnamkrieg sozialisierten wieder einzufangen, dass mit ihm die Osterweiterung der NATO begann, das wurde gut übertüncht mit all dem Gerede von Change und Menschenrechten, und dass unter seiner Ägide der Gefängnis-Industrie-Komplex in den USA zur Blüte gelangte und damit eine ganz neue Ära von institutionellem Rassismus begann, das musste man in Europa nicht wissen.
Clinton galt als Guter, schließlich gab es keinen Kalten Krieg mehr, und irgendwie war es doch erleichternd, mal mit dem Strom zu schwimmen. Die neue Zuckerhülle um den alten Imperialismus namens Menschenrechte schmeckte deutlich besser, und endlich stand My Lai der Liebe zu Woodstock, Jeans und Hollywood nicht mehr im Wege. Der Vietnamkrieg hatte diese Liebe enttäuscht; dass ein einstiger Gegner dieses Krieges jetzt dort regierte, schien alle Wunden zu heilen.
Die Wirklichkeit wurde keinen Deut besser, aber die Werbefassade war hip und die Überreste der politisch bewegten Siebziger waren, in die Jahre gekommen, auf der verzweifelten Suche nach einem Feld, auf dem trotz der neoliberalen Dogmen politische Siege zumindest vorgetäuscht werden konnten. Menschenrechte klingt immer gut, und dass die Ursprungsversion der Vereinten Nationen auch soziale Rechte benennt – nun, man kann nicht alles haben. Es war nicht die eigene Klientel, die unter dem industriellen Kahlschlag im Anschlussgebiet zu leiden hatte, und nicht die eigene Klientel, denen Hartz IV das Leben zur Hölle machte. Immerhin war Politik jetzt quotiert und es gab Frauenparkplätze.
Grüne Normalität
Das plätscherte lange Zeit so hin; der Unterschied zwischen dem gewollten Guten und dem erzielten Schlechten wurde hingenommen und das inzwischen sehr gutbürgerliche Publikum holte sich seine Sündenvergebung per Wahlzettel treulich weiter. Die Grünen, das war so etwas wie Stammesnarben oder Giraffenhälse – schmerzhaft, nicht wirklich nützlich, aber irgendwie identitätsstiftend.
Inzwischen hatten sich weite Teile der politischen Landschaft an dieses Politikmodell angepasst. Es boten sich ja auch praktische Ausreden. Nach wie vor wird nicht wirklich etwas gegen den Wohnungsmangel unternommen; die realistischen Antworten, wie "das ist uns egal" oder "dafür gibt es keine Baukapazitäten" oder "die Bodenpreise sind zu hoch" könnten doch den einen oder anderen verärgern und erkennen lassen, wie tief unsozial die politische Szene inzwischen ist. So etwas wie "wir sind gegen weitere Bodenversiegelung" oder "dann würden wir unsere Klimaschutzziele verfehlen" wirkt weit unschuldiger.
Natürlich verbirgt sich dahinter derselbe Kunstgriff des permanenten Notstands. So, wie die Flut im Ahrtal eigentlich auch die Klimahysterie verstärken sollte, aber dann dummerweise das Versagen der politischen Ebene bekannt wurde, ehe die Erzählung vom bösen Klimawandel weit genug etabliert war. So, wie Waldbrände in Brandenburg immer Klimafolge sind und niemand mehr nachfragt, warum sich in den privatisierten Wäldern zehn Jahre lang das Totholz sammelt und man selbst aus dem durchfahrenden Zug den Bruch mehrerer Stürme sehen kann.
Aus dem grünen Labor wurden weiter neue "Fortschritte" ausgeworfen, die den Verfall, der sich immer tiefer in die Infrastruktur und das Sozialsystem grub, verdeckten. Sie verdrängten selbst die Erwähnung der sozialen Zustände aus den Medien und halfen, eine Kulisse fortwährender Besserungen zu schaffen, die desto lauter propagiert wurden, je weniger Relevanz sie für die Gesellschaft insgesamt besaßen. Und dann? Dann legte der simulierte Fortschritt seinen Griff ums Herz.
Der antideutsche Beitrag
Dass ausgerechnet die Ukraine den Moment bringt, an dem die tribalistische Zier zur existentiellen Bedrohung wird, hängt an einem weiteren Punkt, der die Versuchung zum simulierten Gutsein so stark machte. Die Bundesrepublik war nie entnazifiziert worden, und diese Tatsache war einer der Auslöser für die starken politischen Bewegungen der 1970er. Denen es dennoch nicht gelang, daran etwas zu ändern. Die historischen Untersuchungen, die in den folgenden Jahrzehnten entstanden, belegen für die Bundesrepublik einen derart hohen Anteil ehemaliger NSDAP-Mitglieder in den Ministerien, dass er während des Hitlerfaschismus kaum höher gelegen haben dürfte.
Aber zu Beginn der 1980er verschwanden zumindest die Personen, wenn auch nicht die Traditionen, in Pension. Und dann kam 1989 und die einzigartige Gelegenheit, sich ein für alle Mal dieser Verstrickung zu entledigen, indem man auf der einen Seite mit dem Finger auf die böse DDR wies und sich auf der anderen durch Überidentifikation mit den US-Amerikanern quasi rückwirkend selbst befreite.
Es war ausgerechnet die Bewegung der Antideutschen, deren Gründungsimpuls ursprünglich die Befürchtung war, die erweiterte Bundesrepublik könne wieder Großmachtpläne hegen, die genau dafür den Weg freimachte. Denn die ganze Phase der Auseinandersetzung von Globke bis Seidl hatte einen Bereich nicht berührt – den Krieg im Osten. Eine Aufarbeitung dieser Verbrechen hatte noch nicht einmal begonnen. Die Antideutschen, ebenfalls eine Bewegung, bei der sich die Frage stellt, wie viel davon echt und wie viel davon erzeugt war, identifizierten sich erst mit dem Staat Israel (als Vertretung der Opfer) und dann mit den USA. Sie lösten für sich das Problem, in der nicht beendeten Auseinandersetzung mit dem deutschen Faschismus eine Position zu beziehen, indem sie sich gewissermaßen aus der Nation entfernten.
Man möge sich nur einmal, einen Augenblick lang, vorstellen, die Antideutschen hätten sich in die andere Richtung gewandt und die deutschen Verbrechen in der Sowjetunion zum Kernstück ihrer Ideologie gemacht. Die letzten Jahre wären völlig anders verlaufen. Nicht, dass es erstrebenswert wäre, aber allein der Gedanke, "Correctiv" und ähnliche Zensurtrupps würden tagtäglich antisowjetische Verschwörungstheorien anprangern … und die Verbundenheit mit Russland würde als Konsequenz aus der deutschen Geschichte zur Staatsdoktrin …
Aber so ist die Geschichte nicht verlaufen. Die Verleugnung der Nation an sich, die der ökologischen Notstandsideologie und dem Menschenrechtsimperialismus das antideutsche Element hinzufügte, wurde zum Schlussstein einer Entwicklung, die jede soziale Verantwortung verleugnete und sich zum willigen Instrument geopolitischen Machtstrebens machte.
Heroischer Verrat
Vielleicht hat der Verlust eines zur Zeit des Kalten Krieges notwendigen Realismus dazu beigetragen, dass heute die Grünen zur Speerspitze der Preisgabe nationaler Interessen wurden. Denn so tief die Westorientierung auch in die bundesdeutsche Politik eingegraben war, es blieb immer noch die objektive Tatsache, dass ein kleiner Fehltritt, eine simple Idiotie US-amerikanischer Politik bedrohlich werden konnte. Ein existentielles Misstrauen war in diesem Verhältnis also unverzichtbar.
Dann war, über Jahrzehnte hinweg, die US-Politik etwas, dem man, von gelegentlicher moralischer Empörung abgesehen, entspannt zusehen konnte, denn bei der Unterwerfung Osteuropas war man sich einig, und die Kolonialkriege waren weit weg. Die ökonomische Konkurrenz wurde zwar nach wie vor erbittert ausgetragen, zumindest auf dem Feld der industriellen Produktion (Siemens gegen General Electric und Airbus gegen Boeing), aber man sprach nicht darüber. Zum ersten Mal in der bundesdeutschen Geschichte war das Verhältnis zu den USA tatsächlich entspannt.
Das schließt natürlich ein langfristiges Wirken entsprechender Dienste nicht aus, zumal sie sich auch hinter den diversen Stiftungen verbergen können, so, wie das in Deutschland auch der Fall ist – der Übergang zwischen privater Stiftung, Industriespionage und politischer Agententätigkeit ist fließend. Es sind aber immer vorhandene Widersprüche, die genutzt werden, und das war im Fall der Grünen nun einmal die enttäuschte Liebe der 68er-Generation.
Und jetzt? Hüllt sich dieses Grün in Blau-Gelb, posiert als das absolute Gute und predigt den Heroismus des Verzichts. Das transatlantische Liebedienern vereint sich mit dem Wunsch, das heimische Volk zu züchtigen, für seinen Benzinverbrauch, seinen Fleischkonsum, seine Sündhaftigkeit. Gut vorstellbar, dass die grünen Akteure den Verrat jeglichen deutschen Interesses gar nicht als solchen wahrnehmen können, sondern dass sie eher die Verlockung am Horizont aufsteigen sehen, dem Land das präindustrielle Ideal, das ihnen immer noch vorschwebt, durch einen gewaltsamen Glücksgriff aufnötigen zu können.
Der Anblick, wie den transatlantischen Betschwestern Marie-Luise Beck und Rebecca Harms in der Nähe ukrainischer Faschisten im Jahr 2014 Tränen der Rührung in die Augen schossen, hätte vielleicht davor warnen müssen, dass die Dynamik, die von den verschwiegenen Verbrechen gegen die Sowjetunion ausgeht, nicht weniger komplex und gefährlich ist als jene, die einmal vom Verbrechen an der jüdischen Bevölkerung Europas ausging (dass sie in der DDR bekannt waren, ist einer der Gründe, warum die antirussische Propaganda dort nicht so gut funktioniert).
Während Letzteres durch die immerwährende Heiligsprechung der Opfer gelöst wurde, endete Ersteres in der Identifikation mit den Tätern. Ein Melnyk darf deshalb ungestraft herumpöbeln, weil er die unbewussten Wünsche ausspricht, die aus dieser Identifikation entspringen. Die Mischung aus Heldenmut und Untergang, die Kamikaze-Mentalität, die erzeugt wird, um die für Deutschland verheerenden Sanktionen zu stützen, sollte eigentlich aufmerken lassen. Die Begeisterung für außergesetzliche Macht, die die Grünen immer noch lauter zeigen als der folgsame Rest, ebenfalls. Die Bewunderung für eine ukrainische Kriegsführung, die die eigenen Truppen so bedenken- wie sinnlos opfert, lässt ahnen, wie viel Mitgefühl die deutschen Rentner in einem heizungslosen Winter erwartet.
Um die Grünen wirklich als das zu erkennen, was sie heute sind, muss man sich nur noch ins Gedächtnis rufen, dass auch die rassistischen und eugenischen Theorien, die die Nazis umsetzten, zu ihrer Zeit modern waren, geradezu als Stand der (westlichen) Wissenschaft galten. Es gibt nur einen Weg, solchen Sirenengesängen zu entrinnen: das konkrete Wohl konkreter Menschen, die Menschlichkeit, als Maßstab anzulegen.
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