Suizidale Ökonomie: Die EU erdrosselt die eigene Wirtschaft

Sechs Sanktionspakete der EU konnten den Krieg nicht beenden und Russland auch nicht zur Änderung seiner politischen Ziele bewegen. Also soll es ein siebtes Paket richten. Dabei wird mit jedem Tag klarer: der Schaden ist für die EU und für Deutschland deutlich höher als für Russland.

von Gert Ewen Ungar

Das sechste Sanktionspaket wurde gerade beschlossen, da wird bereits das siebte auf den Weg gebracht. Dabei zeigt schon das sechste, dass die EU mit ihrem Sanktionsregime an eine Grenze gekommen ist. Das geplante Ölembargo, das in seiner ursprünglichen Fassung vorsah, künftig den Import von russischem Öl vollständig zu verbieten, hat große Lücken. Der Import über die Druschba-Pipeline bleibt weiterhin erlaubt, denn Ungarn hat seine Position in den Verhandlungen durchgesetzt. 

Der deutsche Wirtschaftsminister Habeck dagegen will trotz der damit eröffneten Möglichkeit, weiterhin per Pipeline russisches Öl zu beziehen, auf diese Option für Deutschland freiwillig verzichten. Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock hat das zwar ehrgeizige, faktisch aber vollkommen unrealistische und zudem wirtschaftspolitisch unsinnige Ziel formuliert, dass Deutschland möglichst schnell und dann auch "für immer" auf russische Energieträger verzichten solle. Das wird die rohstoffabhängige und exportorientierte deutsche Wirtschaft natürlich hart treffen. Es wird auch den Lebensstandard der Deutschen deutlich senken.

Wirtschaftsminister Habeck führt schon einmal vor, was die Bundesbürger erwartet, denn er ist bereit, für die Idee eines Ölembargos einerseits die Arbeitsplätze der Raffinerie in Schwedt zu opfern, andererseits gibt er damit die Versorgungssicherheit großer Teile Ostdeutschlands in Bezug auf Treibstoffversorgung auf. Er verheimlicht das auch gar nicht. Bei einem Ölembargo wird es zu Kraftstoffmangel in der deutschen Hauptstadt und in Brandenburg kommen, lässt er die Deutschen wissen. Das ist ein Preis, den er allem Anschein nach für gerechtfertigt und vor allem sogar für zumutbar hält.

Das Beispiel der Raffinerie in Schwedt macht deutlich, dass die Sanktionen die deutsche Wirtschaft und die deutsche Versorgungssicherheit direkt treffen. Ob das Öl-Embargo dagegen auch sein eigentliches Ziel trifft und welche Auswirkungen es tatsächlich auf Russland und dessen Wirtschaft hat, bleibt dagegen fraglich. Zum einen steigen, angeheizt von der Sanktionswut der EU und des Westens, die Weltmarktpreise für Energieträger, zum anderen findet Russland in einer Welt mit steigendem Energiebedarf natürlich Abnehmer für sein Öl und Gas. So hat sich der Import Indiens von russischem Erdöl zwischenzeitlich vervielfacht. Auch die USA haben ihre russischen Importe deutlich gesteigert. Dass die Handelsbeziehungen zwischen Russland und China aktuell trotz der Sanktionen ohnehin als gut bewertet werden müssen, braucht hier nicht gesondert erwähnt werden. Durch die westlichen Sanktionen werden die beiden Volkswirtschaften noch enger aneinander gebunden. Russlands Einnahmen aus dem Verkauf von Rohöl übertreffen dank der enorm gestiegenen Preise schon jetzt alle Prognosen und Erwartungen.

Vor diesem Hintergrund wirken die Sanktionen der EU nicht nur reichlich unüberlegt, sondern wie ein wirtschaftspolitischer Selbstmordversuch. Es mehren sich daher auch die kritischen Stimmen, die ein grundsätzliches Überdenken der Sanktionen fordern. Beispielsweise führt der Kolumnist Eric Bonse in seiner Rubrik "Brief aus Brüssel" in dem wirtschaftspolitischen Magazin Makroskop aus, welch enormen Risiken für Wirtschaft und Bürger der EU mit den Sanktionen verbunden sind, wie sie das Erreichen der eigentlich sakrosankten Klimaziele konterkarieren und dass sie offenbar nichts zur angeblich beabsichtigten Unterstützung der Ukraine beitragen. 

Die Annahme, die hinter den Sanktionen steckt, wirkt erschreckend naiv. Als würde der globale Rohstoffmarkt wie ein Supermarkt funktioniert, aus dessen breitem Angebot sich der Verbraucher nach seinen individuellen Kriterien eine Marke seiner Wahl auswählen kann. So funktioniert es natürlich nicht. Dies scheint aber die vielen politischen Entscheidungen zugrundeliegende Überlegung zu sein.

Auch hier liegt den aktuellen Fehlentscheidungen deutscher und europäischer Politiker wieder die neoliberale Fehleinschätzung zugrunde, dass "der Verbraucher" mit seinem Verhalten "den Markt" steuern könne.

Die Annahme, es gebe im Rohstoffsektor eine Art Überproduktion, die überhaupt erst eine Markenwahl ermöglicht, ist nämlich falsch. Es ist falsch anzunehmen, es gäbe eine Konkurrenzsituation unter den Anbieterländern, welche die Verbraucherländer für sich nutzen könnten. Es wird täglich nahezu ganz genau so viel an Rohöl und Erdgas gefördert, wie auch verbraucht wird. Denn es gibt keine Lagermöglichkeiten in nennenswertem Umfang, gemessen am Verbrauch. Zudem ist jede der Raffinerien auf die von ihnen jeweils zu verarbeitenden Rohölvarianten spezialisiert. Die Umstellung auf eine andere Rohstoffvariante ist gar nicht ohne weiteres möglich und wäre darüber hinaus mit hohen unvorhergesehenen Kosten verbunden. Es ist nicht möglich, heute auf russisches Öl zu verzichten und den Betrieb der dafür bestehenden Raffinerien einfach und reibungslos auf andere Rohölsorten umzustellen. 

Auch die Idee, die jetzt vorhandene Infrastruktur zum Transport von Erdgas könnte ohne große Umstände auf Wasserstoff umgestellt werden, ist ein naiver Irrglaube jenseits naturwissenschaftlichen Grundwissens. Die Vorstellung, es ließen sich innerhalb eines kurzen oder auch nur mittelfristigen Zeitrahmens Produktionskapazitäten zur Produktion von "grünem" Wasserstoff mit der dazu notwendigen Infrastruktur zum Transport und Verteilung aufbauen, ist eine Wunschvorstellung. Bei den dafür notwendigen Investitionen sollte man weder in Milliarden und schon gar nicht nur mit Millionen rechnen. Die für diesen Umbau notwendigen Investitionen übersteigen alles, was es bisher gab. Die bisherige Pipeline-Infrastruktur kann nicht genutzt werden, da der Transport von Wasserstoff andere Bedingungen stellt. Das, was die EU mit ihren Sanktionen veranstaltet, wurzelt in reiner Traumtänzerei. Diese "Europäische Union" sitzt gegenüber Russland als von Energieimporten und Rohstoffimporten abhängig schlicht am kürzeren Hebel.

Die Sanktionen haben aber weitere, globale Auswirkungen und schädigen ebenso wie die deutsche Wirtschaft auch die Weltwirtschaft. Dennoch halten die heute verantwortlichen deutschen Politiker und die Beamten und Politiker der EU die fatale Illusion aufrecht, die Sanktionen würden sich vor allem gegen Russland richten und zielgenau die russische Wirtschaft schädigen. Das ist falsch. Sogar die USA werden von den Rückwirkungen der Sanktionen getroffen, was für einen kurzen Moment zu einer paradoxen Umkehr des Kräfteverhältnisses geführt hat. Es gibt in den USA derzeit einen Mangel an Babynahrung. Ausgerechnet der weißrussische Präsident Lukaschenko hat großmütig Hilfe angeboten. Er bot den USA an, Babynahrung zur Überbrückung des Engpasses zu liefern. 

Weiterhin hat Biden als Präsident der wichtigsten, aber im Abstieg befindlichen Volkswirtschaft den Notstand ausgerufen, weil die Versorgungssicherheit im Energiebereich gefährdet ist. In den USA gehen die Lichter aus?

Die Sanktionen greifen in ein fein abgestimmtes, internationales Geflecht von Handelsbeziehungen ein – und stören es erheblich. Dabei wird deutlich, wie abhängig nicht nur Deutschland und die EU, sondern faktisch die ganze Welt auch von Russland, von russischen Rohstoffen und russischen Vorprodukten ist. Während schon Sanktionen gegen weniger gewichtige Player nicht in der Lage waren, Ziele wie einen Regime Change oder Änderungen des politischen Weges zu erreichen, ziehen die Sanktionen gegen Russland die ganze Weltwirtschaft in Mitleidenschaft, ohne dass dadurch der Westen seinem Ziel eines Machtwechsels in Russland einen Schritt näher kommt. 

Leider unterbleibt nach wie vor eine umfassende Analyse, die zu Einsicht und zur Umkehr des eingeschlagenen Weges und insbesondere den Westen zurück an den Verhandlungstisch führen würde. Dies aber wäre die einzige Lösung, den Konflikt zu beenden. Russische Sicherheitsinteressen müssen berücksichtigt werden, es muss eine diplomatische Lösung gefunden werden. Passiert das nicht, leidet die ganze Welt. Und Russland wird der EU die Regeln vorgeben. Die Schuldigen aber sind klar zu benennen. Sie sitzen nicht in Russland, es ist nicht Putin – sie residieren im Westen, der die Verantwortung für die von den Sanktionen ausgelösten Katastrophen trägt.

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