Meinung

Gegen das Imperium der Lügen wird Julian Assange kein Gebet helfen

Dem Mitbegründer von WikiLeaks droht ein Schauprozess, angestrebt von Politikern, die verzweifelt um Wählerstimmen ringen. Julian Assange erwartet in den USA keine Gerechtigkeit, geschweige denn Mitleid.
Gegen das Imperium der Lügen wird Julian Assange kein Gebet helfenQuelle: AFP © Joe Klamar

Ein Kommentar von Robert Bridge

Nach Jahren der Flucht vor verschiedenen Regierungen, scheint Julian Assange nun auf dem Weg in die Vereinigten Staaten zu sein, wo ihm im Zwischenwahljahr ein Schauprozess bevorsteht, der auf einem Berg von Lügen aufgebaut ist, die von den Konzernmedien bereitwillig verbreitet wurden.

Vergangene Woche kündigte das britische Innenministerium – völlig frei von Ironie – an, dass die Auslieferung von Assange an die Vereinigten Staaten, wo er wegen seiner Rolle beim Aufdecken sensibler Regierungsgeheimnisse zur Haft ausgeschrieben ist, sein "Recht auf ein faires Verfahren und Meinungsfreiheit nicht beeinträchtigen würde".

Das ist erfrischend, wenn man bedenkt, dass es gerade das Thema der "Meinungsfreiheit" ist, was den in Australien geborenen Journalisten und Aktivisten überhaupt zum meistgesuchten Mann der Welt gemacht hat. Es ist schwer abzuschätzen, welche Auswirkungen die Auslieferung von Assange, sollte sie erfolgen, auf die Pressefreiheit auf der ganzen Welt haben wird. Das Wort "Gänsehaut" kommt mir in den Sinn.

Der große Auftritt von Julian Assange auf der Weltbühne fand im Jahr 2010 statt, als WikiLeaks fast 750.000 geheime militärische und diplomatische Dokumente veröffentlichte, die von der ehemaligen Geheimdienstanalystin der US-Armee, Chelsea Manning, bereitgestellt wurden.

Die wohl verheerendsten der veröffentlichten Dokumente waren "The Iraqi War Logs" (Die Protokolle des Irakkriegs), die das größte militärische Datenleck in der Geschichte der Vereinigten Staaten darstellen. Die Aufzeichnungen lieferten unwiderlegbare Beweise dafür, dass amerikanische und britische Regierungsbeamte die Welt getäuscht hatten, als sie behaupteten, es gebe keine offizielle Zählung der zivilen Todesfälle im Irakkrieg. Auf einer benutzerfreundlichen Übersichtsseite ermöglichte WikiLeaks Millionen von Menschen, online 66.081 zivile Todesfälle von insgesamt 109.000 Todesopfern für den Zeitraum vom 1. Januar 2004 bis 1. Dezember 2009 zu lokalisieren. Dies ist die Art von Transparenz, die nur wenige Militärs reizvoll finden.

Die Enthüllungen über den Tod irakischer Zivilisten waren zwar schockierend, aber nicht unbedingt überraschend, schließlich hatte die westliche Öffentlichkeit zu diesem Zeitpunkt bereits schrille Orte wie Guantanamo Bay und Abu Ghraib kennengelernt. Diese humanitären No-Go-Zonen, hoben den Vorhang und ermöglichten den Blick auf Folter und Misshandlung von Insassen durch eine kranke und verdorbene Seite des Militärs, die sich die wenigsten vorstellen konnten. Darüber hinaus gab es für die Vereinigten Staaten keine Möglichkeit, sich aus diesen Anschuldigungen herauszureden, die für alle schwarz auf weiß zu sehen waren.

Was hat Julian Assange dann wirklich zu Amerikas meistgesuchtem Mann gemacht, dem bis zu 175 Jahre Gefängnis drohen, nur weil er der Bote der Nachrichten war? Vergessen wir nicht, dass andere Nachrichtenmedien, darunter The Guardian, die New York Times, der Spiegel und viele weitere, ebenfalls diese vernichtenden Informationen veröffentlicht haben, – aber es ist Assange, der in den Vereinigten Staaten wegen Spionage angeklagt ist.

Was ist der wahre Grund dafür, dass Julian Assange im Juni 2012 gezwungen war, in der ecuadorianischen Botschaft in London Zuflucht zu suchen, nachdem Schweden einen Haftbefehl gegen ihn wegen Vorwürfen sexuellen Fehlverhaltens erlassen hatte, der inzwischen fallengelassen wurde? Vielleicht hat es mehr mit seiner Enthüllung illegitimer Aktivitäten innerhalb der Demokratischen Partei zu tun als mit exzessiven Todesfällen und Gräueltaten auf den Schlachtfeldern im Irak und in Afghanistan?

Im Vorfeld des Präsidentschaftswahlkampfes im Jahr 2016 zwischen Hillary Clinton und Donald Trump veröffentlichte WikiLeaks eine verheerende Fundgrube von E-Mails, die entweder gehackt oder von Clintons Wahlkampf-E-Mail-Konto durchgesickert waren. Das Demokratische Nationale Komitee (DNC) versuchte, den Schaden einzudämmen, indem es die Geschichte verbreitete, dass "russische Hacker" die Computer der Organisation infiltriert hätten. Die eher "verschwörerische" Erklärung ist, dass sie über einen Mitarbeiter innerhalb des DNC an WikiLeaks geliefert wurden. Aber dazu später mehr.

Abgesehen davon, dass Clintons Kandidatur für die Präsidentschaft ernsthaft beschädigt wurde, war eine Folge dieser undichten Stelle, dass sie die DNC-Vorsitzende Debbie Wasserman Schultz zum Rücktritt zwang. In einer peinlichen Selbstdarstellung, entblößten diese E-Mails, dass Demokraten intern daran gearbeitet haben, die Kampagne von Bernie Sanders, einem weiteren demokratischen Kandidaten, zu untergraben, mit dem Ziel jene von Clinton zu stärken. Aber die Geschichte, zumindest für die Demokraten, wurde noch schlimmer.

Weniger als eine Woche vor den Präsidentschaftswahlen, veröffentlichte WikiLeaks eine weitere Reihe von E-Mails aus dem DNC, die dieses Mal aufzeigten, dass die Interims-Vorsitzende des DNC, Donna Brazile – eine Mitarbeiterin von CNN – einen Fragenkatalog zusammengestellt hatte, der an das Clinton-Lager geliefert worden war. Genau diese Fragen wurden während einer Debatte zwischen Clinton und Trump, die von CNN veranstaltet wurde, gestellt. Was die "Gefährdung der US-Demokratie" angeht, waren die Russen zumindest an dieser Sache nicht beteiligt. Tatsächlich forderten viele wütende Wähler, dass Clinton die Präsidentschaft an Trump abtritt, bevor überhaupt Wahlen abgehalten worden sind.

Eine gewichtige Fußnote zu dieser Geschichte ist, wie Julian Assange und WikiLeaks die DNC-E-Mails überhaupt erhalten haben. Auf der einen Seite steht die Geschichte, dass "russische Hacker" die Computersysteme des DNC geknackt hätten, auf der anderen Seite, dass eine interne Quelle innerhalb des DNC das Material weitergegeben habe. Was die zweite Möglichkeit betrifft, so wurde nur wenige Tage vor dem Bekanntwerden des DNC-E-Mail-Skandals, ein Wahlkampfmanager des DNC namens Seth Rich auf offener Straße in Washington niedergeschossen. Dies veranlasste Verschwörungstheoretiker zu Spekulationen, dass der junge Mann die Quelle des Datenlecks gewesen sein könnte. Rich wurde am 10. Juli ermordet, während WikiLeaks am 22. Juli das erste Material zur DNC-Affäre veröffentlichte.

Während Assange sich weigerte, die Quelle der DNC-E-Mails zu nennen, blieb nicht unbemerkt, dass WikiLeaks eine Belohnung von 20.000 US-Dollar für Informationen ausgesetzt hatte, die zur Verhaftung des Mörders oder der Mörder von Mr. Rich führten.

Schließlich ist es sicherlich der größte Zufall, dass Julian Assange ausgerechnet inmitten eines hochbrisanten Wahljahres (im November 2022 finden in den USA Senatswahlen statt – Anm. der Red.) in Ketten entlang der Pennsylvania Avenue vorgeführt werden soll. Also zu einer Zeit, in der die Demokraten dringend eine gute Ablenkung von den sich häufenden schlechten Nachrichten brauchen, die hauptsächlich aus der Wirtschaft kommen.

Und wie jeder weiß – und niemand besser als Donald J. Trump –, ist niemand enthusiastischer als die Demokratische Partei, Schauprozesse zu veranstalten. Sollte das Berufungsverfahren von Assange scheitern und er an die USA ausgeliefert werden, dann sollte sich niemand wundern, wenn die Mainstream-Medien, die der Demokratischen Partei treu ergeben sind, vergessen, dass der Gefangene vor ihnen ein Journalist ist, der seine Pflicht getan hat, ein Fehlverhalten einer Regierung anzuprangern und ihn stattdessen als jene Person betrachten, wegen der Hillary Clinton im Jahr 2016 gegen den abscheulichen orangen Kerl den Thron verloren hat.

Julian Assange kann in den USA keine Gerechtigkeit, ja nicht einmal Mitleid erwarten, weshalb London seiner Auslieferung an das Reich der Lügen erst gar nicht hätte zustimmen dürfen.

Übersetzt aus dem Englischen.

Robert Bridge ist ein US-amerikanischer Schriftsteller und Journalist. Er ist Autor von "Midnight in the American Empire", wie Konzerne und ihre politischen Diener den amerikanischen Traum zerstören. Er twittert unter @Robert_Bridge

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