Im Westen steht man den Regierungen skeptisch gegenüber, nicht aber ihren antirussischen Narrativen
Ein Kommentar von Rachel Marsden
Seit 2018 veröffentlicht die Stiftung Allianz der Demokratien unter der Leitung des ehemaligen NATO-Generalsekretärs und dänischen Ministerpräsidenten Anders Fogh Rasmussen in Zusammenarbeit mit dem Berliner Datenunternehmen Latana jährlich eine Studie zum aktuellen Zustand der Demokratie im Westen.
Es muss vorab angemerkt werden, dass die "Denkfabrik" nicht nur von einem ehemaligen NATO-Chef geleitet wird, sondern auch von der US-Regierung, der EU und anderen Quellen wie dem ukrainischen Oligarchen Wiktor Pintschuk finanziert wird und mit dem Atlantic Council, einer NATO-Lobbygruppe, verbandelt ist. Darüber hinaus ist der Fokus der Umfrage stark auf die europäischen Staaten ausgerichtet.
Über 50.000 Befragte in 53 Ländern gaben ihre Meinung über den Stand der Demokratie weltweit und über die aktuellen globalen Themen bekannt. Letztes Jahr hatte die Umfrage ergeben, dass 46 Prozent der Befragten, die in "freien Demokratien" leben, die Freiheitsbeschränkungen ihrer Regierungen inmitten der COVID-19-Krise für übertrieben gehalten hatten.
Es hatte sich auch herausgestellt, dass mit fortschreitender Pandemie immer mehr Bürger das Gefühl bekommen hatten, dass ihre Regierungen eher einigen wenigen Auserwählten dienen als dem Allgemeinwohl. Washingtons Einfluss wurde von 44 Prozent der Befragten als die größte Bedrohung für die Demokratie angesehen, verglichen mit 28 Prozent, die dieselbe Meinung über Russland und 38 Prozent über China teilten.
In diesem Jahr hat sich der Schwerpunkt auf die Bewertung der Ansichten zu Russland inmitten des anhaltenden Ukraine-Konflikts verlagert, wobei die Frage gestellt wurde, ob die Bürger verschiedener Länder wollen, dass ihre Regierungen die wirtschaftlichen Beziehungen zu Russland abbrechen. In 31 der 52 Nationen, deren Bürger befragt wurden, sprach sich eine Mehrheit der Befragten dafür aus. Länder der EU stellten 20 davon, während die restlichen elf Länder wie Kanada, Australien, die Schweiz und die USA sich aus traditionell engen westlichen Verbündeten zusammensetzten.
Aber ein Blick auf die Antworten ebendieser Bürger westlicher Demokratien auf die Frage, wie demokratisch sie ihr eigenes Land einschätzen, deutet auf eine tiefe Enttäuschung über ihre eigenen Regierungen hin. Nur 49 Prozent der US-Amerikaner halten ihr Land für demokratisch, 61 Prozent der Briten, 62 Prozent der Kanadier, 44 Prozent der Griechen, 44 Prozent der Polen, 53 Prozent der Italiener, 63 Prozent der Deutschen, 54 Prozent der Belgier und 47 Prozent der Franzosen. Im Gegensatz dazu gaben 83 Prozent der Chinesen an, in einer Demokratie zu leben.
Die Bürger im Westen betrachten auch Korruption und den globalen Einfluss von Unternehmen – zwei Faktoren, die zu mildern und zu kontrollieren in der Macht der derzeitigen westlichen Regierungen liegt – als erhebliche Bedrohungen für ihre Demokratien. Angesichts der Tatsache, dass das Vertrauen in die Demokratie in diesen Ländern offensichtlich so erschreckend erodiert ist, ist es rätselhaft, warum ihre Bürger dennoch dem konventionellen und typisch verzerrten antirussischen Narrativ des westlichen Establishments vertrauen, das im Laufe der Jahre verschiedene Formen angenommen hat, sei es mit der Hysterie um die "Einmischung bei Wahlen" bis hin zur lächerlichen Vorstellung, Russlands Militäraktion in der Ukraine sei nicht provoziert worden.
Die Liste der 20 Länder, deren Bürger den Abbruch der Wirtschaftsbeziehungen mit Russland nicht unterstützen, enthält einige Hinweise darauf, was hier vor sich gehen könnte: Griechenland, Kenia, die Türkei, China, Israel, Ägypten, Nigeria, Indonesien, Südafrika, Vietnam, Algerien, die Philippinen, Ungarn, Mexiko, Thailand, Marokko, Malaysia, Peru, Pakistan, Saudi-Arabien.
Die Menschen in Griechenland waren in der Frage der antirussischen EU-Sanktionen von Anfang an gespalten, wobei 66 Prozent der Griechen laut einer früheren Umfrage von Anfang Mai der Meinung waren, dass zwischen der russischen Regierung und dem russischen Volk unterschieden werden sollte. Die Umfrage zeigte auch, dass die Griechen – und vielleicht mehr als andere europäische und westliche Bürger – den europäischen und nationalen Behörden in Bezug auf Informationen über den Konflikt in der Ukraine sowie den Journalisten, den sozialen Medien und den NGOs misstrauen.
Gleichzeitig hat sich der mexikanische Präsident Andrés Manuel López Obrador geweigert, mit den antirussischen Narrativen seiner nordamerikanischen Verbündeten in Gleichschritt zu treten, und hat im Allgemeinen einen eher neutralen Ansatz zu diesem und anderen Themen gewählt. Ungarn hat innerhalb der EU dasselbe getan, während Marokko und die Türkei, die ebenfalls auf dieser Liste stehen, gegenüber ihren engen Verbündeten in Europa eine ähnlich unabhängige Haltung eingenommen haben. Das große Rätsel ist jedoch, warum die Bürger einiger Länder angesichts ihres wachsenden allgemeinen Misstrauens gegenüber genau diesen Regierungsmächten weniger geneigt sind, das antirussische Narrativ des westlichen Establishments in Frage zu stellen.
Wegen Krisen wie COVID-19 und jener in der Ukraine stehen wir am Rande einer globalen Polarisierung, während gleichzeitig die Bürger der ganzen Welt in zwei Lager zerfallen. Auf der einen Seite in das Lager der liberalen Demokratien, dessen Bürger erfolgreich gehirngewaschen und radikalisiert wurden und so den Narrativen glauben, die ihnen durch einen politisch-industriellen Komplex eingetrichtert werden, der von der Unterstützung oder Selbstgefälligkeit der öffentlichen Massen profitiert. Auf der anderen Seite in das Lager jener, die im Gegensatz nicht dazu bereit sind, sich mit politischen Slogans und Ränkespiele als Ersatz für unabhängiges kritisches Denken zufriedenzugeben.
Übersetzt aus dem Englischen.
Rachel Marsden ist eine Kolumnistin, politische Strategin und Moderatorin eines unabhängig produzierten französischsprachigen Programms, das auf Sputnik France ausgestrahlt wird. Ihre Webseite findet man unter rachelmarsden.com.
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